Der Köstinger-Moment

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 424

Armin Thurnher
am 22.05.2021

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Gestern nutzte ich den Sonnentag, um meine landwirtschaftlichen Flächen mit dem Balkenmäher zu scheren. Während mein Körper vom Motor duchvibriert wurde, dachte ich darüber nach, wie sich die Arbeit auf dem Land verändert hat; was früher Knochenabeit war, hat nun stets technischen Charakter. Landmaschinen und Landleute bilden die Symbiose, ohne die sich das Land nicht pflegen lässt. Beim besten Willen schaffe ich es nicht, so große Flächen mit der Sense zu mähen, wie ich es möchte. Ich kämpfe schon, anschließend mit Heugabel und Rechen die Mahd auf große Haufen zusammenzuführen, um sie verrotten zu lassen.

Heu zu machen, kommt nicht in Frage, und an lokalen Abnehmern fehlt es, da im Dorf nur noch wenige Vieh halten, auf dem Gelände die Arbeit mit Heuwendern kaum möglich ist, und Handarbeit nicht in Frage kommt. Landarbeit ist Maschinenarbeit, wer sie macht, muss das Gerät beherrschen und technisch versiert sein. Die Werkstätte des Lagerhauses sei gepriesen, ohne sie würden wir im Dschungel leben.

Während ich so mähte und vibrierte und über Landarbeit nachdachte, über Bilder von Bergbauern, die im steilen Gelände von Hand mähen und die Mahd in großen Ballen auf dem Rücken zu Tal trugen, ich habe es selbst noch gesehen, auch die Wiesen um das Haus meiner Kindheit wurden noch von Hand gemäht, fiel mir eine Szene von vor fast dreißig Jahren ein.

Meine Frau Irena Rosc stellte mit ihrer Kollegin Margit Denz im Schüttkasten Primmersdorf aus. Die Schau trug den Titel Baubo, einer orphisch-mythischen Fruchtbarkeitsgestalt (Baubo heißt griechisch Schoß) aus dem Demeter-Umkreis. Es war ein strahlender Sommer, Erntezeit, und die beiden Künstlerinnen wollten als Vernissageredner keinen städtischen Dandy-Kurator, sondern einen Bauern. Wer so etwas machen könnte, fragten sie, und man nannte ihnen den Name eines ÖVP-Abgeordneten, dessen Namen ich vergessen habe. Naturgemäß war ich skeptisch.

Aber der Mann erschien, sonnenverbrannt, nicht im Anzug, sondern in Hose und Hemd, erklärte, er komme gerade von der Feldarbeit und sei eben noch auf dem Traktor gesessen, zum Umziehen habe er keine Zeit gehabt. Er hielt eine einfache, glänzende, realitätsgesättigte Rede über Fruchtbarkeit, Ernte und Kult. Ich war beeindruckt.

Mit der Bauernverehrung hatte ich mir immer schwer getan. Es gab und gibt Leute, die sich vom einfachen Leben auf dem Land und von Landleuten eine heilende Kraft für die Krankheiten unserer Zivilisation erhoffen, und ja, es gab immer beeindruckenden bäuerlichen Widerstand und stolzen Eigensinn, nicht erst seit den Bauernkriegen. Im Angesicht dieses Bauernvertreters wurde vieles davon für mich anschaulich. Er sprach so einfach, so kraftvoll, so uneingebildet und doch so gebildet, dass man nicht umhin konnte, beeindruckt zu sein.

So dachte ich, während ich vor mich hin mähte und vibrierte, und dachte auch daran, dass bäuerlicher Widerstand gegen die Industrialisierung und Monetarisierung der Landwirtschaft weiterhin in vielen Formen existiert, und dann fiel mir ein, wie der Bauernstand heute politisch repräsentiert wird.

Elisabeth Köstinger. Ich sah sie vorgestern, am neuen österreichischen Nationalfeiertag, dem 19. Mai, dem Tag der pandemischen Freiheit, den die Regierung im Schweizerhaus beging. Vizekanzler Werner Kogler und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer saßen mit Kanzler Sebastian Kurz und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger an einem Tisch, beschützt von zahlreicher Polizei, während hinter der lebenden Absperrung Covidioten und Neonazis ihren Protest grölten. Das Quartett fremdelte angesichts von Stelze, Kartoffelpuffer und Bier. Vermutlich dachten einige von ihnen an Sushi.

Es war eine bizarre Szene. Das Schweizerhaus, jener Ort, der deswegen so schön ist, weil sich hier das Volk durchmischt und scheinbar unterschiedslos dicht an dicht drängt, wurde plötzlich zum Raum, da man einen Tisch isolierte, heraushob und beschützte. Und die meisten Leute an diesem Tisch schätzten weder eine einzige der deftigen Speisen, die das Haus zu bieten hat, noch das einzigartige kohlensäurefreie Budweiser. Besser könnte man Verlogenheit als Theaterszene kaum inszenieren.

Der Baubo-Redner hätte an diesem Tisch anders ausgesehen, dachte ich, während ich weiter mähte und vibrierte. Und dann fiel mir noch ein Radio-Interview ein, das ich gehört hatte und in dem sich Frau Köstinger wie so oft als Sprechpuppe des Amts für die Verlautbarung sprachlicher Wahrheit betätigte, wie das Kanzleramt unter Sebastian Kurz neuerdings heißt (an Feiertagen hissen er und Außenminister Schall- und Rauchenberg die Esperanto-Fahne zum Zeichen der Völkerverständigung).

Der Ö1-Redakteur Franz Renner stellte im Morgenjournal am Tag der pandemischen Freiheit Köstinger viele Fragen, und am Ende des Interviews folgte diese Passage, die sich mir ins Hirn eingebrannt hat, als Köstinger-Moment, als Augenblick, in dem die ganze unverschämte Oberflächlichkeit und hirnstoppende Arroganz des Systems Kurz in dieser seiner Adorantin offenbar wurde.

FRANZ RENNER: Frau Ministerin, zwei letzte Fragen wären… sie wären mit Ja oder Nein zu beantworten, worum ich sicher hiermit bitte. Die erste an Sie als ehemalige Nationalratspräsidentin. Die Wahrheitspflicht in U-Ausschüssen steht weiter zur Debatte, wie Sie gesagt haben?

ELISABETH KÖSTINGER: Es ist generell immer die Wahrheit zu sagen, aber das Instrument des Kontrollausschusses und des Untersuchungsausschusses muss weiterentwickelt werden. Das ist vollkommen klar.

RENNER: Und die zweite zur innenpolitischen Causa prima: Sollte – Betonung auf „sollte“ – Bundeskanzler Kurz wegen Falschaussage im Ausschuss verurteilt werden, tritt er dann zurück?

KÖSTINGER: Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass in Österreich jemand für etwas verurteilt wird, dass er nicht getan hat.

RENNER: Und wenn ja?

KÖSTINGER: Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand für etwas verurteilt wird, dass er nicht getan hat.

RENNER: Die Frage möchten Sie noch offen stehen lassen. Meine allerletzte Frage: Sie werden heute im Schweizerhaus mit der Bundesregierung zu Mittag essen? Stelze und Bier?

KÖSTINGER: Wir freuen uns alle schon unglaublich, dass es jetzt wieder losgeht, dass die Betriebe wieder öffnen.

Diese Freude stand ihr ins Gesicht geschrieben, während sie im Schweizerhaus Mineralwasser trank und vorsichtig am Rettich nippte (zu stark gesalzen). Da freuten sich ich, das Gras und der Balkenmäher alle ganz unglaublich.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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