Serie Fifty Shades of Fellner II. Alter Käse oder: Die Bewegung Österreichs
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 412
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„Wenn man von einem Tag auf den anderen in den Rang historischer Bedeutsamkeit erhoben wird, erfasst einen der Höhenrausch, und angesichts dieses Gefühls möchte man ausrufen: alles Schwindel! Aber man muss ruhig bleiben.“ So leitete ich meinen Seinesgleichen-geschieht-Kommentar in Falter 45/1992 ein. Soeben war die Fellner-Illustrierte News mit Pomp and Circumstance erschienen und hatte das Land mit zahlreichen epochalen journalistischen Neuerungen verblüfft, die Fellner aus Anregungen ferner Länder zusammengetragen hatte. Zum Beispiel mit der Rangliste. Ich kam auch darin vor, und erklärte mir das Ganze so:
»Spieglein, Spieglein an der Wand! Wer sind die wichtigsten Männer und Frauen im Land? Ich! Ich meine, ich auch. Aber schön der Reihe nach. Die soeben brandneu erschienene illustrierte News erfreute uns in ihrer allerersten superheißen zweiten Nummer mit folgender Schlagzeile auf dem Titelblatt: Die 500 wichtigsten. Österreicher, die unser Land bewegen.
Ich wusste nicht, dass sich unser Land bewegt, ich dachte immer, es steht. Klar, durchs All geht es flott voran, und die sporadischen Aktivitäten der Thermenlinie erinnern uns bisweilen an die dünne Kruste, auf der wir über dem Magma tanzen. Aber diese Art von Bewegung wäre eher mit Kosmos, Mutter Erde und allenfalls mit dem einen Namen in Verbindung zu bringen, als mit den 500 Wichtigsten.
Wir lassen uns also nicht ablenken und in philosophische Versuchungen führen, die einen bei diesem Thema beschleichen könnten. Denn es geht tatsächlich nicht um den Namen, sondern um die Frage: Wer sind wichtigsten Männer und Frauen im Land. Und weil News an der Geotektonik interessiert ist, bezeichnet es diese Rangliste als Seismograph, welches Instrument bekanntlich registriert, ob sich die Erde bewegt. Gleichzeitig nennt es seine Rangliste auch ein Barometer. Erstens, weil auch der Wetterfrosch die Erde erschüttert, wenn er nach dem Sprung auf ihr landet (Belcredi – der Markus Wadsak von damals, Anm. – trägt übrigens die Nummer 291). Zweitens weil außer neu die Sache auch heiß sein muss.
Damit man in die Liste von News aufgenommen wird, muss man am meisten in diesem Land bewegen, den größten Einfluss haben und die meisten Verdienste aufweisen. Es wäre nicht News, würde in der Einleitung zur Rangliste nicht der obligate Satz stehen: Die Idee ist neu für Österreich. Zugegebenermaßen muss die Idee, jede Verrichtung, und sei sie noch so alltäglich, als neu oder mindestens neu für Österreich zu bezeichnen, neu genannt werden. Es hat also alles seine Richtigkeit. Umgekehrt könnte alles auch ganz anders sein, denn die News Redakteure bekennen freimütig, ihre Liste sei eine höchst subjektive Sache – sonst hätten wohl, da es um Landbewegung geht, zahlreiche Baufirmen samt deren Baggerführern Aufnahme finden müssen.
Warum schreibt er überhaupt über so etwas Fades? Sie haben es erraten: weil er selbst darin vorkommt. Jawohl, meine lieben Leserinnen und Leser, ich bewege Österreich. Bisher hatte ich zwar nur das Gefühl, mich gegen Österreich zu stellen – ich darf Ihnen sagen, es war ein frustrierendes Gefühl –, aber jetzt weiß ich, ich habe nicht umsonst gestemmt. Und es bewegt sich doch.
Auch mit Franz Vranitzky darf ich mich verwandt fühlen, denn der hat immerhin Nummer zwei geschafft, und in der Begründung für seine Platzierung heißt es: Weil derzeit in Österreich keine Entscheidung an seinem Schreibtisch vorbei kann… Das behaupte ich von mir auch!
Um die Dinge ein wenig zu relativieren, sollte ich hinzufügen, dass ich nicht etwa den Platz vor Vranitzky belegt habe, sondern den auch noch sehr guten 468 Stan Rang. Immerhin: hinter mir befinden sich beispielsweise Johannes Voggenhuber, Gernot Rumpold, Lotte Tobisch und Udo Proksch, welcher bekanntlich augenblicklich in seinem Bewegungsspielraum etwas eingeschränkt ist. Zähle ich die Verleger, Medienmenschen und Journalisten auf der Liste, befinde ich mich in dieser Reihung gar auf Platz 45 oder 46 (zweimal zählen wäre doch zu aufwändig), was die Sache stark zu relativieren beginnt, vor allem, wenn man weiß, dass die Bescheidenheitskaiser von News sich selbst aus der Wertung genommen haben. Das ist neu! Wolfgang Fellner wäre allerdings 52. geworden, wenn nicht der Fairnesspokal im Weg gestanden wäre, und da er zwar fair ist, aber nichts verschweigt, weiß ich es und rutsche auf Platz 46 oder 47 zurück. Nicht traurig sein, Mama!
Es ist nicht leicht, Leistungsträger zu sein. Der Hohn, der einem in Österreich für jeden Erfolg sicher ist, ließ nicht auf sich warten. Hämische Telefaxe machten mich auf Möglichkeiten des Aufstiegs aufmerksam: Ulla Weigerstorfer liege zwar zwei Plätze hinter mir, aber Su Widl, sechs Plätze vor mir, die müsste doch zu packen sein. Andere verwiesen mich auf Freunde, ja Falterautoren weit im Vorderfeld: Werner Vogt, 426. Platz beispielsweise.
Meine Freude begann nachzulassen. Wie sollte ich je an Gottfried Kumpf vorbeikommen? Und was ist, wenn die draufkommen, wen sie aller vergessen haben? Mir wird Angst vor den vielen Namen, die es gibt im Land. Und alle versuchen nicht nur, an diesen 84.000 km2 zu schieben, zu drücken, zu stemmen, nein, sie stoßen und drängeln auch aneinander. Kein Wunder, dass das Land wackelt. 104 Plätze hinter Franz Stoß, 20 Plätze hinter Sepp und Edi Wegrostek! Wo soll das enden? 245 Plätze hinter Karl Habsburg, 411 hinter Horst Friedrich Mayer! Ist noch Hoffnung? Das schaffe ich nie.
Ernst Wolfram Marboe (Platz 55), Weltbeweger, weiß genausogut wie ich (Platz 468), dass Wir, heuer noch die Herren und Götter, nächstes Jahr bereits von einem Jüngsten Gericht bedroht sind, das namenlose Schande über alle jene bringt, die in der Zwischenzeit nichts bewegt haben. Denn im Oktober 1993, zum ersten Geburtstag von News, kommt die nächste Liste. Mit einem Ranking der Auf- und Absteiger.
Die haben mich womöglich nur reingenommen, um mich desto sicherer erniedrigen zu können!? Reihen mich hinter Gerhard Bronner zurück, setzen mich, wie jetzt Herbert Hufnagl, mit dem offensichtlich jemand eine Rechnung zu begleichen hatte, auf den 500, den letzten Platz oder lassen mich – entsetzlicher Gedanke – überhaupt aus der Wertung fallen. Wie kann ich das dem Falter-Team erklären, das ja als Begründung dafür dient, warum ich Österreich bewege? Was tun?
Ich hab’s. Ich werde mir diese Auszeichnung nicht nehmen lassen. Zum sichtbaren Zeichen meiner Bewegkraft, meiner Gottgleichheit, werde ich meinen Rang einfach in meinen Namen integrieren. Schließlich pflegen sich verdienstvolle Leute wie Könige und Päpste durchzunummerieren. Ich werde also in diesem Jahr die Nummer CDLXVIII tragen. Einen mittleren Namen nach amerikanischer Sitte habe ich bis jetzt ohnehin zu tragen verweigert. Ab sofort also Armin CDLXVIII. Thurnher. Wenn’s besser wird, kann man immer noch ändern.
Freunde haben mir davon abgeraten, einen Schlusssatz hinzuzufügen. Ich kann es dennoch nicht lassen. Auf Sizilien gibt es angeblich einen Käse, der die höchste Entfaltung eines Geschmacks erst dann erreicht, wenn er sich auf der Hand bewegt. Er bewegt sich deswegen, weil er voller Würmer ist. Allerdings sind die Sizilianer bisher noch nie auf die Idee gekommen, die Würmer durchzunummerieren.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher