Bausteine zu einer kurzen Geschichte des Fellnerismus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 406

Armin Thurnher
am 30.04.2021

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Soll man den Kerl als geilen alten Sack hinstellen und sich dazu seiner Ästhetik bedienen? Ihn zeigen, wie er auf die von ihm im eigenen „Sender“ ausgestellten Brüste von irgendeiner Lugner-Gefährtin glotzt und dabei vor sich hin sabbert, es sei ja unvorstellbar, dass Lugner keinen Sex mit ihr haben wolle. Wohingegen er… Muss man das zeigen, um zu verstehen, mit wem wir es zu tun haben?

Nein. Fellner steht wegen Sexismus-Vorwürfen im öffentlichen Licht, nachdem alle monatelang herumgedruckst hatten, seinen Namen zu nennen (die Brutalinskis werden immer am zartesten angefasst). Trotzdem war es richtig, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die Geschichte von Christina Pausackl in der Zeit, die dann doch den Namen nannte, war seriös und untadelig und behandelte den Mann nicht so, wie er selbst andere in seinen Medien behandelt (er nennt es Retorsionsjournalismus). Zu den Sexismusvorwürfen spricht ein Gericht, und es sprechen Zeuginnen; beiden ist der nötige Respekt zu zollen. Ihm nicht, aber man darf nicht vor sich selbst den Respekt verlieren, nur weil man jemanden verachtet.

Wolfgang Fellner hat mit den von ihm in mehr als vierzig Jahren gegründeten Medien – es waren viele – Österreich nachhaltig geschadet. Er hat Kanzler, Köche und Kolleginnen korrumpiert, hat das Burgtheater, Bürgermeister und Bundespräsidenten instrumentalisiert und sogar die österreichische Fußballnationalmannschaft dazu gebracht, dass sie gegen eine von seinem Blatt erfundenen Geschichte protestierte.

Das ist Obszönität: Wolfgang Sobotka und Wolfgang Fellner erklären einander das Gegengeschäft Foto YouTube © oe24tv

Zukünftige Historiker werden in ihm den Kern einer öffentlichen Fäulnis ausmachen, die sich das Verrotten noch mit öffentlichen Geldern finanzieren ließ. Die neueren Entwicklungen im Land zeigen, wie die Zersetzung vorangeht. Der Fellnerismus prägt die Kommunikation des Kanzlers, der sich ja geeignete Vorbilder suchen muss, da er überall staatlichen Strukturen durch private ersetzt. Kanzlers verhaltensauffälliger Mann fürs Grobe, Parlamentspräsident Sobotka, hat bei Fellner offen eingestanden, wie das Mediengeschäft funktioniert: ein Handerl wäscht das andere. Und Fellner feixte vergnügt dazu. Fellner lebt die öffentlich-schamlose Version von Austroneoliberalismus: erlaubt ist, was ihm gefällt und was ihn reich macht. Inseratengrapscherei, Immobiliengeschäft, Reisen, Fernsehsender, die gemacht werden, um an öffentliche Kohle zu kommen – das alles ist ein Geschäftsmodell, das in jeden Gesamtfilzzusammenhang passt, ob Klimarot oder Kurztürkis. Hier müssen keine Laptops spazierengefahren werden (wozu die Bewegung), hier reicht es, wenn sich einer hinsetzt und sich gehen lässt.

Ich bitte um Verständnis, dass ich jetzt Europa-League schauen muss und daher einen jener zahlreichen Texte einrücke, die ich über den Boulevardbarbaren schrieb. Er ist älter, vom August 2012, aber gerade die „veralteten“ Stellen zeigen, wie wenig sich doch ändert.

»W olfgang Fellner ist ein reicher Mann und ums Haar, stünde nicht ich ihm diesbezüglich im Weg, der Doyen der österreichischen periodischen Presse. Er hat dem Land einige Perlen der Publizistik geschenkt, und ich habe sie ihm immer vorgeworfen. Zu seiner jüngsten Kreation, einer – wie es einst bei Fellner hieß – „neuen Innovation“ des Qualitätsjournalismus namens Österreich, fällt mir nichts mehr ein, seit das Blatt auf seiner Titelseite den Pissfleck auf der Hose eines Bankräubers rot eingeringelt und zwecks besserer Sichtbarkeit mit einem Pfeil hervorgehoben hatte.

Schon Fellners Schülermagazin Rennbahn-Express zeichnete sich durch kritisches Getue im Verbund mit Politikergeschmuse aus. Sein Magazin Basta eröffnete er, indem er den verstorbenen Grünen-Politiker Fux verleumdete. Die Grünen hatten dann bei der Wahl 1983 keine Chance. Basta war mit SPÖ-Unterstützung gestartet worden, wie aus Unterlagen hervorging, die man in einer von Hans Mahr, dem SPÖ-Wahlkampfmanager und nachmaligen Geschäftsführer der Kronen Zeitung, vergessenen Aktentasche fand.

Mit der Illustrierten News durfte ich persönliche Erfahrungen machen, als der todkranke ORF-Moderator Robert Hochner dem Falter sein letztes Interview gab, mit dem ausdrücklichen Zusatz, er gebe es nicht News, weil die schreiben, was sie wollen, und weil er den Titel „Hochners Vermächtnis“ niemals gedruckt wissen wolle. Fellner ließ mir zuerst Geld für einen Vorabdruck anbieten. Als ich ablehnte, stoppelte er eine Fälschung zusammen, die er in News als Titelgeschichte veröffentlichte – unter dem Titel „Hochners Vermächtnis“.

Der Terminus „Fellnerismus“ fiel mir ein, um diese Kombination von Prominenz-Erteilung, Selbstfeier und medialer Geschäftemacherei zu charakterisieren, die ständig neue Schamgrenzen unterschreitet und bei alldem stets so tut, als wäre sie der Inbegriff publizistischer Avantgarde. Der Fellnerismus gilt der Politik und auch der Wirtschaft trotzdem (oder deswegen?) als moderne Variante des Medienwesens, hier ist nichts moralsauer, hier herrscht süße Kooperationsbereitschaft. Die bunten Bilder, auf denen bedeutende Politiker und Wirtschaftstreibende zu sehen sind, riechen ja nicht.

Dabei tritt Fellners Geschäftssinn zugleich mit einer unbestreitbaren journalistischen Pratze auf; die linke Pratze weiß halt nur zu gut, was die rechte tut. Mir tun weder Anzeigenkunden tierisch leid, denen Fellner das Fell über die Ohren zieht, noch Konkurrenten, denen dabei die Felle davonschwimmen. Die Konkurrenz muss es verschmerzen, und am Ende des Verschmerzens steht oft noch, wie im Fall Profil, das Fellner wider alle marktordnende Vernunft in seine Newsgruppe integrierte, das große Verschmelzen. Die Leidtragende ist, bei zunehmendem öffentlichem Lärm, die österreichische Öffentlichkeit. Wir sind die Öffentlichkeit, Fellner ist der Lärm. Wir nehmen ab, er nimmt zu. Fellner hingegen möchte dem Publikum einreden, die Sache verhalte sich umgekehrt.

Jetzt aber wird die Konkurrenz frecher. Der Erfolgslack auf Österreich will nicht so recht satt glänzen. Vor kurzem klagte Fellner einen langjährigen Mitarbeiter, Christian Nusser, der es gewagt hatte, zur Konkurrenz zu wechseln, zum Gratisblatt Heute. Normalerweise läuft die Sache ja umgekehrt: Fellner verkauft Anteile an einem von ihm gegründeten und mit allerlei Marketingtricks hochgepushten Medium, gründet ein neues, verspricht den Leuten, denen er seine Anteile verkauft hat, niemanden abzuwerben und wirbt dann nach und nach all seine Schlüsselleute ab. Zuletzt war dieser Vorgang bei News zu beobachten.

News ist eben nicht Nusser. Fellner klagt diesen, einen aus der Kerngruppe der Wegbegleiter, von News zu Österreich gewechselt, zuletzt dort Chefredakteur, auf eine Weise, wie sie die Mediaprint einst gegen den Falter anwandte. Täglich stellen Fellners Anwälte einen Exekutionsantrag, die Anträge wurden – der Bezirksrichter urlaubte – die längste Zeit nicht zugestellt, schon drohte Nusser eine Summe von 230.000 Euro, wie der Standard berichtet. Immerhin ist Nusser in erster Instanz freigesprochen worden (ein Konkurrenzverbot von mehr als einem halben Jahr ist nicht nur unsittlich, sondern rechtlich nicht gedeckt) und darf nun in der einen Gratiszeitung der anderen Schaden zufügen. Aus Trotz ernannte Fellner bei Österreich gleich sieben neue Chefredakteure und -innen.

Ich erzähle solche Petitessen nicht, weil die handelnden Charaktere in irgendeiner Weise besserungsfähig erscheinen. Ich möchte Fellner auch nicht als Einzelphänomen sehen. Im Gegenteil, er ist eine der dominanten Ausformungen der österreichischen Variante von Erfolgsgesellschaft. Man nimmt sich, was man kriegen kann, und benimmt sich dabei so unverschämt, wie man es kriegen kann. Nichts davon ist illegal. Alles ist modern. Modern ist die Variante, wie der Journalismus vor sich selber und vor seiner digitalen Herausforderung flüchtet: immer brachialer gegen die anderen, immer geschmeidiger für den eigenen Partner.

Der Fellnerismus ist der mediale Zwillingsbruder des Haiderismus, und die brutale Klage gegen einen Redakteur, der sich herausnimmt, was der Chef jahrelang praktizierte, passt ins Bild einer entgleisten Gesellschaft, die ihr Tun weder legitimieren noch politisch darstellen kann und sich mit Demokratiepaketen oder noch transparenteren Inseratenaufträgen an den Fellner-Heute-Krone-Komplex retten möchte.

Der Brachialstil der Fellnerklage gegen einen Exmitarbeiter gehört zum neuen österreichischen Stil wie der Brachialstil Frank Stronachs bei Interviews oder die Drohexzessse der Kärntner Scheuch-Brüder, die Pressefotografen rausschmeißen und Richter schmähen. Die Barbarei war schon immer „die niemals ausgeschlossene Kehrseite der Moderne“ (Hans-Georg Soeffner und Max Miller, Einleitungsessay zum Band Modernität und Barbarei, Suhrkamp 1996). Der Ton wird gröber, die Stimme der Zivilisation wird leiser. Der Feudalismus kehrt lautstark zurück, Stimmenkauf und Servilität inklusive.«

Wird bei Bedarf fortgesetzt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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