„Aus Gerechtigkeitsüberlegungen“. Neues vom idealen Seuchenkanzler

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 402

Armin Thurnher
am 26.04.2021

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Der Agendasetter gab dem Man-in-Waiting ein Interview. Soll heißen, Richard Grasl, der Mann im Schatten des Kurier, nahm eilfertig die Botschaften des Bundeskanzlers im Licht entgegen und präsentierte sie uns, dem diesbezüglich längst das Staunen verlernt habenden Publikum, als Interview.

Die Medien waren besonders erlesen, nämlich SchauTV und der KURIER-Daily-Podcast. Ich konnte, da meine Lebenszeit knapper wird und mir den Konsum solcher Emanationen verbietet, wenigstens eine gedruckte Version ergattern, die mir statt zwölf Minuten nur dreißig Sekunden stahl, in denen ich das Wesentliche erfasste. Mit dem Rückenmark sozusagen, um eine Wendung des verstorbenen Philosophen Rudolf Burger zu gebrauchen.

Man könnte dieses „Interview“ sehr kurz zusammenfassen. Interview bedeutet, es geht um die Einsichten (views) zweier Menschen, also um eine Art Gespräch; das bloße Abfragen ist eine durchaus legitime Vorstufe, das kritiklose Entgegennehmen vorfabrizierter Aussagen die mittlerweile übliche Verfahrensweise in Kreisen der Kanzler-Verehrer aus Eigennutz.

Ich gehöre ja, noch so ein Vorteil der fortgeschrittenen Lebenszeit, zu jenen, die sich weder von diesem Kanzler noch von irgendeinem anderen einen Nutzen erwarten, also brauche ich auch keine Rücksicht zu nehmen. Ich will nicht einmal die Gunst eines Hintergrundgesprächs. Kunststück, sagen Sie, dem Fuchs sind die Trauben zu sauer, denn bekanntlich redet der Kanzler mit dem Falter (was mich inkludiert) nicht.

Die Kurzzusammenfassung des Grasl-Views lautet: ehe der neue Gesundheitsminister zu stark präsent wird, möchte ich, Sebastian Kurz den Bonus für eine mögliche Besserung der pandemischen Situation kassieren und die Gelegenheit benützen, Herrn Mückstein, der gerade in der Krone groß herauskommt, mit ein paar rustikalen Grätschen die Schneid abzukaufen. Außerdem möchte ich, Sebastian Kurz, ein paar meiner aktuellen, äußerst peinlichen europapolitische Eskapaden unter Benützung eines haltlosen Gerüchts ins Positive drehen und meinen übliche Phrasendrusch mit der Verhöhnung von Opfern der Pandemie kombinieren.

Wie meinen? Kurz: „Jeder kann sich schützen, das ist auch eine Frage des Wollens.“ Wer erkrankt oder gar stirbt, ist selber schuld! Ich, Sebastian Kurz, habe damit nichts zu tun.

Wenn das Bild eines zweifelhaften Charakters umso dunkler wird, je mehr sich die Anbeter dieses Charakters bemühen, es zu polieren, kann man ermessen, wie zweifelhaft der Charakter dieses Kanzlers tatsächlich ist. Neigte man der Ansicht zu, dass die gewählte Regierung uns tatsächlich regiert, und nicht diverse, von der Familie höchst dilettantisch moderierte Interessen, etwa „der Wirtschaft“, könnte man seine Eignung für dieses Amt schon aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften in Frage stellen.

Was soll’s? Wieviele Menschen vermögen es noch, den Charakter öffentlicher Personen zu beurteilen? Wir können allenfalls über die Machart der Charaktermasken noch reden. Ihre Art, sich zu präsentieren. Die ist im Fall Kurz bewundernswert konstant und erstaunlich wenig angekränkelt vom Zweifel an der eigenen Show. Hier zeigt sich rosig-zähes Sitzfleisch von oben bis unten. Die Infektion mit dem eigenen Schmäh, wie weiland Gerd Bacher das zu nennen pflegte (er sagte „Selbstinfektion“) hat bei Sebastian Kurz zu einem Überschuss an stilistischen, sprachlichen und menschlich-rücksichtsvollen Antikörperchen geführt. Er ist der ideale Seuchenkanzler, denn er ist gegen Kritik, Selbstkritik und alle Varianten davon total immun.

So kann er gleichzeitig den Impfturbo zünden und den Vorreiter spielen. Der Impfturbo verharrt derweil außerhalb der DRS-Schubphase; wir (wir?) haben uns im Training nicht für die besten zehn qualifiziert. Oder doch? Und wenn schon! Und warum will der Möchtegern-Geilopilot zugleich Vorreiter sein? Tausendundein PS? „Österreich ist Vorreiter“ beim Grünen Impfpass, behauptet Kurz, wobei man wissen muss, dass Vorreiter nicht nur ein hippologischer Begriff ist, sondern auch ein in der Papierherstellung verwendetes Instrument zum Glätten von Papier.

Als Kurier-Vorreiter hat sich Herr Kurz ja schön mächtig bewährt, und auch den Rest der Szene glättet er so gut, dass Österreich in diversen Pressefreiheitsrankings keinen Fuß auf den Boden bekommt. Hauptsache, unser Edelreiter am Ballhausplatz patzt den neuen Gesundheitsminister an, ehe der in der Krone auch nur ein doppelseitiges Interviews gegeben und eine Jeannée-Kolumne geschrieben hat. Ein Alarmsignal!

Kurz: „Der Gesundheitsminister ist erst seit einigen Tagen im Amt, und die Pandemie macht keine Pause.“ Ich darf übersetzen: „Mir ist es wurscht, wer außer mir Gesundheitsminister ist, solange die Sache gut läuft. Wenn nicht, sind die Beamten, die Landeshauptleute, die Sozialpartner und die Leute selber schuld.“ Ein echtes Sonnenscheinchen am Ende des Tunnels, dieser Kanzler.

Nur mit Sonnenschirm bewehrt kann man ihn schlecht reden, ihn, der eine Impfoffensive für Bulgarien startete, „aus Gerechtigkeitsüberlegungen“, wie er Herrn Grasl mitteilte, der daraufhin peinlich berührt das Interview beendete.

Nicht ohne Kurz die Gelegenheit für eine öffentliche Bewerbung abzugeben, indem er ihn sagen ließ: „Kommissionspräsident 2024 schließe ich aus.“ Die Springerpresse hatte wieder ihr Möglichstes getan und ein Gerücht ventiliert, das in Europa wegen Lächerlichkeit nicht sehr weit umlief. Grasl fand dafür die großartige Formulierung: „Die Welt handelt Sie als EU-Kommissionspräsidenten.“ Das ist einmal eine Form von Welthandel, die wir am Ballhausplatz zu goutieren geruhen! Und: „war Ihre Impf-Kampagne für Bulgarien und Kroatien schon eine Wahlkampftour?“ Mit solchen Schwergewichten im Hintergrund wird man jederzeit Kommissionspräsident, die Kurz-Freunde und Brüssel-Lieblinge Orbán, Janša und Babiš noch nicht einmal miteingerechnet. Unwiderstehlich, aber leider zu früh. Später jederzeit gern, wenn nicht zu spät. Danke.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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