Sebastian Kurz, der Don Alonso im Nougatamt

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 400

Armin Thurnher
am 23.04.2021

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Es gibt wirklich wichtigere Themen auf der Welt als Österreich in der Pandemie. Das indolente Verhalten des indischen Staatspräsidenten Narendra Modi und seiner Hindufaschistenpartei BJP hat in Indien zu einer neuen Covid-Katastrophe geführt, die auch uns noch in Form der neuen indischen Mutationen erfreuen wird, denen möglicherweise die bis jetzt bekannten Impfstoffe nicht gewachsen sind. Abwarten.

Das traditionelle Kumbh-Mela Fest mit Millionen Pilgern wurde von Modi nicht abgesagt, es findet ja nur alle zwölf Jahre statt, man verkürzte es halt auf einen Monat (!), und so bringen die gottvertrauenden Pilgermassen die Infektionen zurück in alle Himmelsrichtungen Indiens. Allein am 21. April badete eine Million Pilger Körper an Körper im Ganges, 68 Seher wurden positiv getestet, ein religiöser Führer starb.

Ähnliches ist von den Wahlkampagnen zu sagen, in denen sich die diversen Parteien derzeit nicht viel schenken. Auch hier wird fleißig gereist, zu großen Kundgebungen vor Ort. Führend hier wieder die Hindufaschisten, aber auch die keralesischen Kommunisten sind nicht übel. Chief Minister Pinarayi Vijayan (CPI/Marxist) ließ sich auch durch eine positive Corona-Diagnose nicht vom aktiven Wahlkampf abhalten. Die Konkurrenz von der BJP nennt ihn „Covidiot“. Herbert Kickl erblasst vor Neid. Derweil schicken meine Freundinnen und ich Geld an unsere keralesischen Bekannten, die seit mehr als einem Jahr ohne Einkommen und ohne Versicherung sind; ich denke an das staatliche Büro für Reis- und Petroleumabgabe in unserer Gasse südlich von Trivandrum. Es wird lange Schlangen aufweisen.

Die Torheit der Regierenden nimmt überall eigene Formen an. Man kann über die Deutsche denken und sagen was man will, aber in punkto Corona sind sie einfach anders. Sie geben nämlich klar an, bei welchen Inzidenzzahlen welche Öffnungs- bzw. Lockdownschritte stattfinden. Warum das bei uns nicht möglich ist und man hier lieber Kalendertage nennt? Weil hier, vom Kanzler abwärts, ein ungebrochener Wille zur Intransparenz und zur feudalen Autorität herrscht. Man will einfach selbst bestimmen, was gut ist. Da sind nur Grade zwischen Modi, der sich mittlerweile einen Heiligenbart wachsen lässt, und Platter oder Doskozil, die halt einfach bloß an die Wirtschaft denken, als hätte nicht Robert Zangerle in der Seuchenkolumne hundertmal erklärt, dass die Wirtschaft mehr leidet, wenn die Gesundheit leidet.

Mit beschwörender Miene sagte Modi, ein Lockdown sei die letzte Zuflucht. Da verbrennen sie schon Leichen auf offener Szene, klauen Sauerstoffflaschen, oder es sterben gleich zwei Dutzend Leute in einem Spital, weil eine Panne in der Sauerstoffversorgung eintritt (ob’s Plünderer waren, wird nicht dazugesagt).

Was uns mit diesem Schwellenland verbindet, ist die Dominanz der Regierungspropaganda. Während die Leute dahinsiechen und Mediziner und Pflegepersonal weinend zusammenbrechen, beteuert Modi, wie glänzend Indien mit der Pandemie zurechtkomme.

Bei uns ist das alles ein paar Härtegrade harmloser, aber umso skurriler. Bei uns sind es die Turbos und die Rankings. In einem Ranking führen wir ganz gewiss: in dem der Selbstbelobigung ohne jede Evidenz. Kaum haben wir die untersten Ränge in punkto Sterblichkeit, Versagen bei der Beschaffung von Impfstoff und Organisation der Impfkampagne verlassen, sind wir schon wieder Weltmeister. Bei der Auszahlung der Wirtschaftshilfe und sonstwo.

Ich würde sagen, hier liegt ein Fall von akuter Verfellnerung vor. Dieser Prachtverleger war es, der den Ildefonso als grafisches Werk in Österreich heimisch machte, jenes sinnlose Ranking, in dem es jeder schaffte, die oberste Stelle einzunehmen, wenn er es nur ausreichend stark wollte. Der Name Ildefonso leitete sich von der grafischen Darstellung ab, heller Nougat, dunkler Nougat, so warb man für diese Industriepraline aus dem Hause Manner (seit 1880, „der damals aktuelle Trend, Süßwaren nach Vornamen zu benennen, beeinflusste auch die Familie“, Firmenwerbung), und so sahen die Kästchen mit den sinnlosen Rankings aus, hellblauer Raster, dunkelblauer Raster, hellblauer Raster, dunkelblauer Raster …

Die Ildefonso-Propaganda des Don Alonso (so heißt der Werbeprotagonist des Ildefonso) im Kanzleramt hat dieses Rezept neu belebt. Neue Phrase, alte Phrase, Turbo und Ranking werden aufeinandergeschichtet. Impfturbo (heller Nougat) folgt auf Auszahlungsranking (dunkler Nougat), der Wiederaufbauturbo (heller Nougat) folgt auf Oppositionsverarschung (dunkler Nougat), Breitbandturbo (heller Nougat) und Comebackturbo (heller Nougat) wechseln sich ab mit dunkleren Schichten: auf EU-Verarschung (dunkler Nougat) kommt wieder eine Schicht Springerpressenturbo (heller Nougat) undsoweiter, das Ganze zu jeweils sieben Schichten in rosa Kanzleramtspapier verpackt.

Foto © Manner

Ich würde, anders als die von mir überaus geschätzte Firma Manner ihren Ildefonso, den Geschmack dieser Politpraline nicht als verführerisch verzeichnen. Aber hier werden uns ja keine „edlen gerösteten Haselnüsse“, sondern falsche, bittere Propagandanüsse verabreicht.

Kanzler Patz kleckert hier nicht, als Chocolatier Don Alonso arbeitet er sauber. Die neueste Bitterschicht dunklen Nougats trug Kurz dem Verfassungsgerichtshof auf, der entschied, Kurz habe ihm jene Daten zu übermitteln, die er dem Ibiza-Ausschuss (dunkler Nougat) verweigert. Seinen Kalender (heller Nougat) zum Beispiel.

Das Nougatamt (ehemals Kanzleramt) ließ dazu verlauten: „Aber der Kalender wird als persönliches Schriftgut gesehen und ist gelöscht worden.“ Wie bitte? Der Kalender des Bundeskanzlers der Republik Österreich gilt als persönliches Schriftgut? Ja, freilich, die Republik gilt ja auch als persönliche türkises Eigentum, zu verwalten nach Gesetzen der Türkfamilie und innerhalb dieser.

Diese Auskunft habe man vom Staatsarchiv erhalten und sich ans Archivgesetz gehalten, sagte ein Sprecher des Nougatamts. Der Direktor des diesem unterstellten Staatsarchivs, Helmut Wohnout, hatte angesichts dieser Debatte aber schon im Vorjahr darauf hingewiesen, dass das Archivgesetz nicht konkret regle, ob ein Kalender vorgelegt werden muss oder nicht.

Also gibt es ihn, den Kalender, in der Cloud, beim Shreddermeister oder im Staatsarchiv, wie alle Kalender aller Kanzler. Während jedoch die Kalender der anderen Kanzler öffentliche Angelegenheit waren, ist jener von Sebastian „Don Alonso“ Kurz dessen Privatsache. Es ist wohl richtig so: Don Alonso ist als Souverän nicht dem Volk und dessen Repräsentanten verantwortlich, sondern der Familie. Wo die heilige Familie regiert, gibt es keine Öffentlichkeit, da herrscht das Gesetz des Kabinetts: Türe zu, das gemeine Volk bleibt draußen.

Zur Ablenkung und zur Belustigung geruhen Don Alonso und die Seinen, wann immer es ihnen beliebt, propagandistische Ildefonso-Pralinen in die wartende Menge zu werfen, welche diese zart schmelzend erfreuen. Und wenn sie nicht geschmolzen sind…


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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