Über den Kanzler-Satz „Man darf uns nicht vorwerfen, was andere auch getan haben“.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 399

Armin Thurnher
am 22.04.2021

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Der Satz ist eine stehende Wendung unserer prächtigen österreichischen Presse. Stehende Wendung: so wendig zugleich immer zu den jeweils Regierenden zu stehen (solange die brav inserieren), das muss man erst einmal schaffen. Die Wendung selbst ist in fast allen Medien zu beobachten, auch bei den weniger verkommenen Exemplaren. Es geht bei der Verwendung dieser Wendung darum, die eigene Position glaubwürdiger zu gestalten, indem man für sich eine Art Neutralismus in Anspruch nimmt. Ich kritisiere alle gleich, also erhebe ich mich über alle. Man beansprucht eine gleichsam richterliche Stellung, denn wer richtet, ist immer unparteiisch, überparteilich.

Sofort, wenn ein Skandal aufkommt, fühlt journalistisches Personal sich also bemüht, auch die Gegenseite mit einzubeziehen, um nicht zu sagen, anzupatzen. Der Postenschacher der Türkisen musste sofort mit der Erinnerung an den Postenschacher der Roten konterkariert werden. Dabei ging es selbstverständlich nicht darum, den armen eh schon dahinsiechenden Roten wieder eine mitzugeben, dabei ging es zuerst um das eigene Standing.

Nur in einer Sache wird diese neutralistische Verfahrensweise ausgesetzt: wenn es um Wirtschaft geht. Neoliberalismus und Marktgläubigkeit stecken der hiesigen Publizistik so tief im Knochenmark, dass hier kein Gegenstandpunkt bemüht werden muss. „Knochenmarkt“ wollte der Druckfehler daraus machen, das bleibe zumindest nicht unerwähnt.

Wenn Journos sich als knochentrockene Marktverteidiger geben, verteidigen sie meist die eigene privilegierte ökonomische Stellung mit, ein für sie erfreulicher Nebeneffekt. Da die Wirtschaft eine Glaubensfrage ist, bedarf es hier vor allem der Gläubigen; Gläubiger, das sind die anderen. Ihre Skepsis, den Schmuck der Zurückgelehnten, reserviert diese Publizistik weitgehend für die Politik.

Dass die ÖVP seit 1945 ununterbrochen mitregiert (in Zeiten sozialistischer Alleinregierung oder der SP-FP-Koalition selbstverständlich via Sozialpartnerschaft) und medial dominiert (via Eigentümerschaft der wesentlichen Zeitungen), verleiht solcher Argumentation einen zusätzlichen strengen Geschmack.

Wichtiger, als das Besondere an der Korruption der türkisen Regierung herauszuarbeiten, scheint es dieser Berichterstattung zu sein, ein Gleichgewicht des Schreckens herzustellen. Auch die Roten! Ja, gewiss, auch die Roten. Aber ich habe schon gesagt, wen die Equilibristen des österreichischen Schreckens dabei zuerst im Kopf haben.

Es ist in der Politik nichts Neues, dass Posten nach parteipolitischer Loyalität und nicht nach Fähigkeit vergeben werden. Aber gab es je eine Regierung, die mit einem derartig aufgeschwollenen Pathos, alles anders zu machen, angetreten ist, wie diese türkise? Wer mit solchen Ansagen auftritt, verdient auch, mit ihnen konfrontiert zu werden.

Der Familialismus, der uns in dieser Regierung entgegentritt, ist ebenfalls in dieser Form neu. Er bricht geradezu programmatisch mit Parteiloyalität und ersetzt diese durch persönliche Loyalität, durch Zugehörigkeit zur Familie. Die aus der Wolke aufgeflogenen Chats des Thomas Schmid stellen das Wort Familie nicht von ungefähr in den Mittelpunkt, in Worten, Bildern und Werken. Familie ist nicht nur Mafia, Familie impliziert Vordemokratisches.

Sie stellen uns den Geißbock hin, wir wählen ihn (in diesem Fall ist es eine Geiß) Fotograf: Armin Kübelbeck, CC-BY-SA, Wikimedia Commons

Es ist etwas anderes, aus Parteiloyalität den Geißbock zu wählen, den sie einem vorne hinstellen, als aus persönlicher Loyalität dem Geißbock die Treue zu halten und als Geißherde Karriere zu machen, nicht seiner Fähigkeit, sondern seiner Geißenhaftigkeit wegen. Das eine ist eine Perversion des demokratischen, das andere eine Perversion des persönlichen Denkens: zum postfeudalen Denken nämlich. Und wir, das staatsbürgerliche Publikum, sind in Geiselhaft dieser Geißenhaftigkeit!

Wer das unterschlägt und meint, jedem als verkommen empfundenem Individuum auf der türkisen Seite eines der roten Seite gegenüberstellen zu müssen, der übt nicht nur publizistische Selbstgerechtigkeit, der verwischt auch die Spuren eines neuen Sachverhalts. Der tut so, als betriebe er demokratische Kritik. Und legitimiert damit doch bloß die Familie.

Wir behaupten zwar, wir machen alles anders, aber wir sind auch nicht anders als die anderen, dieser neueste Propagandaschmäh des Kanzlers bringt sein Verfahren zwar auf den Punkt. Dass aber kaum jemand deswegen aufheult und ihn durchs Fegefeuer vernichtender Kritik jagt, zeigt, wie weit es gekommen ist.

Kurz sagte vor ein paar Tagen auf im Interview mit Ö1-Politikchef Edgar Weinzettl, „er verwahre sich dagegen, dass, wenn linke Parteien Posten besetzten, das als ,Segen‘ dargestellt werde. Wenn dies das bürgerliche oder rechte Lager mache, dann sei das ein ,Verbrechen‘ (…) Da seien manche ,auf einem Auge blind.‘“

Nun, ich kann dem Kanzler weiterhelfen. Es gibt legitime Postenbesetzungen, die regierende Parteien, wo auch immer, mit Parteimitgliedern oder Gesinnungsfreunden vornehmen. Vorausgesetzt, dieses sind für den Posten geeignet und die Besetzung kostet nicht andere den Job, die sich mit besseren oder gleichguten Qualifikationen auch dafür bewerben.

Zweitens, gewisse entscheidende Posten sollten vom Parteizugriff ausgenommen sein und prinzipiell öffentlich ausgeschrieben werden.

Drittens, Menschen, die sich selbst eine solche Ausschreibung basteln, um damit öffentlichen Kriterien zu entgehen, und die dies mit dem feixenden Einverständnis der regierenden Personen, konkret des Finanzministers und des Bundeskanzlers tun, begehen keine lässliche, lästige Sünde, wie es sie immer gab. Die begehen eine Sauerei neuen, postfeudalen, türkis-hybriden Zuschnitts.

Und die das rechtfertigen oder versuchen, durch Schwarz-Rot-Vergleiche wegzurelativieren, sind willfährige Hofschranzen der neuen Feudalherrscherlein, dieser Duodez-Staatsmännlein, wie sie schon genannt wurden. Sie sind die neuen, neutralistisch tuenden Hofberichterstatterlein.

Man ist selbst Familie, irgendwie, systembedingt auf beiden Augen blind, und möchte, dass auch das Publikum in diesem Zustand verharrt, damit es einem nicht draufkommt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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