Rudolf Anschober, Held des Rückzugs

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 392

Armin Thurnher
am 14.04.2021

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Rudolf Anschober hat Stil. Es ist kein Stil, den jeder mochte. Es ist ein stiller Stil. Ein Stil, in dem sich der grüne Sozial-, Gesundheits-, Tierschutz-und-was-weiß-ich-noch-Minister auch verabschiedete. Ein Stil, in dem er die Pandemie moderierte, als sein Widerpart am Ballhausplatz sein Heil im Autoritarismus zu finden meinte, seinen Innenminister Kraftparolen bellen ließ und selbst als Todesengel auftrat: „Bald wird jeder jemanden kennen…“ Das war billig wie fast alles, was diese Herrschaften trieben, als sie ständig versuchten, die Welle der Pandemie zu ihren PR-Gunsten zu reiten.

Demgegenüber versuchte Anschober, ruhig und sachlich zu bleiben und nicht sich selbst in den Vordergrund zu schieben. Wir lernten sein Parlando kennen, jenen leichten Singsang , der sich umso mehr zurücknimmt, je dramatischer die Lage ist. Das geradezu heroisch Nicht-Heroische an den Auftritten Anschobers kontrastierte zur falschen Theatralik und zur Hinderlist und Hinterlist der Widerparte auf spektakuläre Weise.

Anschobers Beliebtheit stieg und übertraf sogar jene der Popularitätsspekulanten. Spätestens als das geschah, war es auch mit der Zusammenarbeit vorbei, sollte es sie je gegeben haben, denn eines können die Widerparte nicht dulden, dass sie im Popularitätsranking zurückfallen. Ausgerechnet der lahme Volksschullehrer aus Oberösterreich sollte das bewirken? Dem werden wir’s zeigen.

Wir brauchen das nicht im einzelnen zu rekonstruieren, es hat funktioniert. Der Höhepunkt der sichtbaren Niedertracht war die Pressekonferenz des Widerparts, als Anschober krank fehlte, und die Demontage des Spitzenbeamten Auer, eines Parteigenossen des Widerparts, zu diesem Zeitpunkt.

Foto © Heribert Corn

Anschobers Heroismus des Rückzugs gipfelte darin, dass er auch in seiner Abschiedspressekonferenz sein Parlando beibehielt und kein einziges Mal auf seinen Widerpart direkt Bezug nahm; gerade einmal, dass er andeutete, gemeinsam wäre es schon manchmal einfacher gewesen. Er vernichtete ihn durch Nichterwähnung.

Wer die Pandemie dazu benützt, sein eigenes Süppchen zu kochen, wie der Widerpart, liefert damit nur ein weiteres Beispiel seiner moralischen Verkommenheit, aber er steht als Sieger da, während Anschober, der Besiegte, „fortschleicht wie ein Hund“, wie die Kronen Zeitung hündisch berichtete, steht sie doch im Futter des Widerpartners. So ist Politik, versetzen die fellgegerbten Beobachter aus herunterzogenen Mundwinkeln. Anschober versuchte es anders.

Nein, Rudi Anschober war kein guter Pandemiemanager. Er hätte es nicht sein können, weil dieses Ministerium, von der FPÖ unter teilnehmender und wohlwollender Begleitung, ja unter der Regierungsverantwortung des Widerparts ruiniert wurde (nicht dass es vorher ein schlanke Fregatte gewesen wäre, aber die entscheidende Abteilung zu killen, nur weil sie von Frau Rendi-Wagner geleitet wurde, war schon ein starkes Stück, das nur noch davon übertroffen wird, dass niemand den Widerpart dafür mitverantwortlich macht). Da hätte Anschober sofort mit eiserner Faust hineinfahren müssen, am ersten Tag. Aber er wollte wohl zuerst mit allen, möglichst allen Konsens herstellen. Guter Stil, schlechte Politik. Schon war Corona da.

Er konnte auch kein guter Pandemiemanager sein, weil ihn die Widerpartei nicht unterstützte. Er machte Fehler bei der Organisation der Daten, des Impfens, der Kommunikation, der Legistik. Sein Widerpart, der Impfanalphabet, der Impfkönig spielen wollte, konnte es nicht besser, wehrte sich aber mit verrückten medienspekulativen Manövern von Jerusalem bis Sofia, von Brüssel bis Kopenhagen, während Anschober mit dem Hund im Zug nach Linz fuhr.

Ich will Anschober nicht in den Himmel loben, das hat keinen Sinn. Einer, der auch noch am Schluss sagt, er habe irgendwas (Land, Ministerium) „krisenfit und zukunftssicher“ machen wollen, hat zuviel Jargonfutter gefressen. Anschober war ein Eisenarsch, ein Konsenskönig von Sitzungsmarathons, ein demokratischer Champion des Aushandelns, ein Austrager von Konflikten, wogegen sein Widerpart ein Austräger von Konflikten war. Und leider war der Eisenarsch nicht aus Eisen, sondern aus Eis, und schmolz mit der Zeit dahin.

Aber ohne ihn in den Himmel loben zu wollen, kann man über ihn sagen, dass er bei all dem ein Mensch blieb, schon weil er sich nicht in die angebotenen Scharmützel hineintreiben ließ und weil er die gegen ihn angewandten Mittel selbst verschmähte.

Natürlich hätte man statt des Dauerparlando gern einmal den Angriff gesehen, die öffentliche Backpfeife für den Widerpart. Aber das war und ist nicht Anschober.

Tragisch, dass jene Projekte, die ihm so dringlich waren und die so dringlich sind, die Reform der Pflege zuvorderst, zurücktreten mussten. Dass er seine empathische Kompetenz in sozialen Fragen nicht nutzen konnte. Man stelle sich vor, was der Widerpart daraus gemacht hätte, ein Herzensfeind der Caritas, die er nur als kapitalistisches Unternehmen sehen kann. Anschober hingegen dachte an die Leute in den pflegenden Berufen und an die Zustände in den Heimen, er hatte ein Herz für gutintegrierte Asylwerbende in Lehre, die der andere abschieben lassen will, er litt mit Flüchtlingskindern, die der andere auf Lesbos im Schlamm frieren lässt, zwecks eigenem Glanz.

Als Altgrüner interessierte sich Anschober auch mehr für Atomkraft als für Identitätspolitik, und früher einmal hätte einer wie er auch ein normaler linkskatholischer ÖVP-Funktionär sein können, oder ein braver sozialdemokratischer Gewerkschafter mit zweitem Bildungsweg.

Jetzt wurde er zum Helden des Rückzugs. In seinem mit „Die Helden des Rückzugs“ betitelten Essay über „eine politischen Moral der Entmachtung“ von 1989 lobte Hans Magnus Enzensberger kommunistische Führer wie Wojciech Jaruzelski, Janos Kadar und Michail Gorbatschow als „wahre Helden der Entmachtung“ und als „Figuren von shakespeareschem Format“, weil sie ihre Reiche gewaltlos an den Kapitalismus übergaben, statt Blut zu vergießen.

Rudi Anschober konnte keine Entscheidung treffen, sein Körper traf sie für ihn. Dass er sich fügte, dass er weder gegen den Körper noch gegen den Widerpart aufbegehrte und auch in der Abschiedsstunde, die für ihn sehr bitter gewesen sein muss, nicht aus seinem Stil fiel, zeigte, dass sein Stil nicht eine Masche war, sondern seinem Wesen entsprach. Ein Held der Niederlage, das soll ihm einmal einer nachmachen.

Dem zurückbleibenden Widerpart möge der Sieg des Übrigbleibens bitter werden. Rudi Anschober wünsche ich, dass sich seine Hoffnung, einen Roman zu schreiben, erfüllt. Und dass er wenigstens beim Zeichnen der Bösewichte darin seine habituelle Gutartigkeit ablegt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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