Ich bin Impfling!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 387

Armin Thurnher
am 09.04.2021

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Die Seuchenkolumnen betreffend Recht und Blümel sind geschoben, aber nicht gehoben.

Diesen unverschämten Frechdachs lassen wir nicht unbehandelt davonkommen, versprochen.

Auch naht sich Sobotcatenaccios Rücktritts-Dreihunderter, heute ist Sondersitzung im Parlament, Epidemiologe Zangerle sammelt schon Material, einige wichtige Bücher stehen Schlange, es ist ein richtiges Seuchenkolumnengedränge, aber heute belästige ich Sie mit mir. Natürlich nur, um Sie zu unterhalten, zu erbauen und zu belehren. Denn heute war ich impfen und lernte schon wieder eine ganze Menge.

Lustiges Aprilwetter, und weil ich trotz Schneeverwehung etwas zu früh in Japons / Waldviertel war, drehte ich eine Runde auf dem Friedhof. Wind peitschte Flocken über die Gräber, das passte besser zur Pandemie als diese trügerischen März- und Maisonnen. Ich schlug den Kragen hoch und ging Richtung Ordination.

Wieso war ich überhaupt dran mit dem Impfen? Weil ich alt genug bin. Habe meinen 72. Geburtstag hinter mir, soll der für gar nichts gut sein? Las vor ein paar Wochen zufällig auf orf.at, Niederösterreich nehme jetzt die 72-jährigen dran, während Wien – vermutlich aufgrund von Impfstoffmangel, aber wenn man Kurz fragt, ist der Sozialismus schuld – noch mit den 90jährigen herumtat (São Paulo hat übrigens seine 30 000 90-Jährigen und älteren Anfang Februar innerhalb weniger Tage zu 95% durchgeimpft, mit CoronaVac von Sinovac.)

Wozu hat man eine gespaltene Identität? Sofort begab ich mich auf die Website des Landes Niederösterreich und reihte mich in die digitale Schlange ein, Nummer 483 oder so, ab Punkt zehn Uhr wurde sie abgearbeitet, und siehe da, um 10:22 war ich dran und suchte mir eine Ärztin in der Nähe aus, mit der wir bekannt sind.

Die Impfstraßen waren alle aus. Dort, das schien jeder zu wissen, gab es die Impfstoffe, die der Epidemiologe meines Vertrauens als „Ferrari“ bezeichnet, weil man sie entsprechend kühlen muss. Für mich würde es auch der „Topolino“ AstraZeneca tun, der gute alte Vektorimpfstoff. Was wir doch alle für Impfexperten geworden sind! Ein junger Mann begrüßte mich in der Ordination der tüchtigen Dr. Schnabl. „Aha, der Herr Thurnher“, sagte er (ich hatte einen Termin um 11:06 reserviert, und es war 11:05, meinen Topolino würde ich um nichts in der Welt versäumen). „Vom Falter?“

„Sind Sie ein Leser“, fragte ich zurück. Klar war er das, und er sei schon gespannt auf die morgige Kolumne.

Foto © Irena Rosc

Erwartungsgemäß wäre die Impfung keiner Rede wert, Frau Dr. Schnabl drückte mir das Gerät sensibel in den Oberarm und klärte mich ordnungsgemäß auf. Danach, als ich vorschriftsmäßig noch ein Viertelstündchen in der Ordination wartete, ergab sich aber noch ein kleines Gespräch.

Drinnen hatte ich bemerkt, wenn ich höre, was sie in den Nachrichten über AstraZeneca daherreden, könnte selbst ich nervös werden, der ich ja schon im dritten Semester Hobby-Epidemiologie bei Professor Zangerle studiere.

Ja, sagte Frau Schnabl. Die Medienberichte würden zwar Ängste bei den Leuten schüren, aber sie denke auch nicht daran, den Impfstoff jemandem aufzuschwatzen, der Bedenken habe. Sie informiere alle ihre Patienten über den letzten Stand der Wissenschaft und berate sie individuell, je nach Vorerkrankungen.

Das sei allerdings nicht das Schlimmste.

Ich musste gar nicht nachfragen.

Sie sei im Austausch mit anderen Impfärzten, die sich gut organisiert hätten. Zum Beispiel habe sie mit ihrer Kollegin aus der Nachbargemeinde eine Impfstraße bereits organisiert, die einen reibungslosen Ablauf ermöglicht hätte. Man kenne seine Patienten und hätte sie schnell durchgeimpft. Das Land Niederösterreich habe das verhindert und wolle selbst Impfstraßen aufbauen, warum auch immer (von denen es, wie ich bei meiner Anmeldung sah, viel zu wenige gibt). Von Ärzten in Eigeninitiative organisierte Impfstraßen habe das Land hingegen wieder gestrichen. Gerade heute habe sie wieder so eine Mitteilung bekommen.

Der Ärger unter den Ärzten sei groß, man fühle sich weder ernst genommen noch wertgeschätzt. Es kursierten offene Briefe an die Landeshauptfrau, in denen Kollegen ihrem Ärger Luft machen.

Es komme ihr vor, als brauche man die Hausärzte nicht. Teilweise führe man Patienten mit der Rettung quer durchs Land, um sie zu impfen. Aber wer kümmere sich um Patienten, falls es Komplikationen gibt? Wer mache die Nachbetreuung? Da müssten dann wieder die Hausärzte her.

Auch die Organisation vonseiten des Gesundheitsministeriums sei einfach schlecht.

Das darf doch nicht sein, dachte ich. Da liegen die Nerven ohnehin schon blank, da gibt es ohnehin zu wenige Hausärzte auf dem Land, und dann geht man so mit ihnen um? Ich erinnerte mich an den Satz des Epidemiologen meines Vertrauens, der mir schon des öfteren erklärt hatte, dass das Verhältnis von zentral und regional entgleist. „Mich regt auf“, hatte er geschrieben, dass in der Impflogistik alles nach Business-Modellen ausschaut. Das fängt mit der Bestellung im eShop an, geht über Hofieren des Pharma-Großhandels weiter und endet in den standespolitisch verankerten Deals der Ärztekammer mit Bundes- und Landesregierungen.“

Dass nun sogar viele niedergelassene Ärzte, wie meine Frau Dr. Schnabl und ihre Kolleginnen es anders organisieren würden, zeigt, wie schief gewickelt das alles läuft. Noch eine Ursache nannte Zangerle einmal im Gespräch: Dass nur der Großhandel wirklich Impfstoffe lagern dürfe und zum Beispiel nicht die Krankenhäuser, die dafür eingerichtet sind, sei deswegen schlimm, weil so keine wirklichen Impfzentren entstehen könnten, von wo aus sich eine wesentlich bedarfsgerechtere Verteilung an die Impfstraßen, mobile Impfteams und Hausärzte organisieren ließe.

Kopfschüttelnd verließ ich die Praxis der tüchtigen Frau Dr. Schnabl. Im Juni habe ich den nächsten Termin. Draußen schien nun die Sonne. Ich fuhr nach Hause, die Schneeverwehung war weggeschmolzen, und wartete auf Neben- oder Nachwirkungen, von denen sich bis dato keine einstellten. Werden schon noch kommen!

An seinen Kolumnen werdet ihr sie erkennen!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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