So sah ich Portisch

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 382

Armin Thurnher
am 02.04.2021

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Nie wird so viel gelogen wie am offenen Grab. Hugo Portisch ist tot, ein großer Kollege, gegen dessen große Verdienste anderes kaum ins Gewicht fällt. Es gab Zeiten, man glaubt es nicht, da lud der Kurier neben vielen anderen auch mich ein, zu Portischs 80. Geburtstag einen kurzen Beitrag zu schreiben (es war 2007, der Chefredakteur hieß Kotanko).

Das machte ich glatt, und ich versuchte leicht ironisch anzudeuten, dass die Welterklärergeste, mit der Portisch immer auftrat und die wohl auch zu Recht an ihm gerühmt wird, für einen jungen, mittelalten und alten Linken nicht immer leicht zu ertragen war. Denn Portisch vertrat den klassischen Liberalismus des amerikanischen Wohlfahrtstaats, den man heute, mit vom Neoliberalismus gegerbter Dickhaut, fast schon empfindet wie eine sozialistische Revolution.

Jedenfalls stand Hugo Portisch, obwohl publizistisch in den USA sozialisiert und geschult, immer auf der Seite des europäisch grundierten Sozialstaats. Das schloss ein, dass er gegen das Diktat der Parteien für einen unabhängigen öffentlichen Rundfunk kämpfte, als Initiator und Galionsfigur des Rundfunkvolksbegehrens 1964. Seine persönliche Integrität und sein Mut, den das erforderte, waren in der österreichischen Publizistik nicht einzigartig, aber selten.

Dass ihm heute einer wie Sebastian Kurz nachtrauert, dem es gar nichts ausmacht, die Wiener Zeitung umzubringen, und dem es gar nichts ausgemacht hätte, mit der FPÖ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umzubringen, den nur Ibiza daran hinderte, und der darnach geschmeidig einsah, dass die zweitbeste Variante für ihn darin besteht, sich diesen Rundfunk gefügig zu machen, das ist zwar normal für österreichische Usancen am offenen Grab. Eine Anmerkung verdient es doch.

Fürchtet die Nachrufe, je betroffener sie zu klingen versuchen, desto mehr!

„Mit Hugo Portisch ist eine große & beeindruckende Persönlichkeit von uns gegangen“, schrieb der Bundeskanzler auf Twitter. Wer noch, fragte ich mich. Aha, nur Phrasendeutsch. Und: „Es war mir eine Ehre, ihn persönlich kennen gelernt zu haben“. Aber jetzt, da er nicht mehr persönlich im Weg stehen wird, gehen wir zur Tagesordung über: Eine Parteipolitisierung im Sinn von Türkis, einen tieftürkisen Staat, einen untief-türkisen Staat, wie ihn Portisch – damals in Gestalt des rot-schwarzen Poporz-Staates, der Posten und Karrieren nicht aufgrund von Fähigkeiten, sondern von Loyalitäten vornahm – lebenslang bekämpfte und zutiefst verabscheute.

Genug. Aber man muss sich nicht auch noch im Tod verarschen lassen, und der ORF ist dazu angehalten, im Zeichen der anstehenden Intendantenwahl etwas vorsichtiger zu formulieren, als ich es mir leiste.

Hugo Portisch kommentiert die Mondlandung 1969 Foto: ORF

Neben anderen werde auch ich im kommenden Falter noch einmal über Hugo Portisch nachdenken, den ich erst spät kennenlernte, als ich einmal zu einem ORF-Volksbegehren aufzurufen versuchte (ein Satyrspiel zu seiner Initiative, aber er stellte sich an unsere Seite). Das Stückchen für den Kurier schrieb ich davor, und ich hatte ihn bis dahin persönlich noch nie getroffen. Den Titel dieses Textes habe ich als Titel dieser Glosse verwendet. Der Text selbst ging so:

»Ehe es bei uns zu Hause einen Fernseher gab, gab es Bücher. Da standen sie im Schrank, die Portische, auf deren Rücken Titel prangten wie „So sah ich China“. Ich las Portisch nicht, war mit Karl May und Gustav Schwab beschäftigt, aber ich sah ihn. Später dann ragte er in das Fernsehen meiner Jugend hinein wie ein Albatros. Mit großer Spannweite umfasste er die Welt und gab ihr eine beruhigende Bedeutung, egal um welche Krise es sich gerade handelte. Heute hätte ich ein Soziologenwort für das, was er tat. Man nennt es „sozialintegratives Nachrichtenritual“. Portisch war ein Magier dieser beschwichtigenden Integration, er gestikulierte die Sorgen aus unserem Weltbild weg. Nachdem wir ihn gehört und gesehen hatten, meinten wir, zu verstehen, was draußen vorging.

Die großen Erzählungen sind aus unserem Weltbild verschwunden, mit ihnen kamen die großen Welterklärer aus der Mode. Schade. Hugo Portisch war aber nicht nur der allumfassende TV-Kommentator, er war auch Chefredakteur des Kurier. Und zwar zu einer Zeit, als so ein Posten etwas galt, weil es nicht bei jeder Zeitung sieben davon gab. Chefredakteur zu sein, schien damals etwas mit dem Besitz von Rückgrat und dem Äußern einer eigenen Meinung zu tun zu haben. So setzte Hugo Portisch Anfang der Neunzehnsechzigerjahre mit einigen Kollegen die Idee zu einem Rundfunkvolksbegehren in die Tat um. Der moderne ORF mit Bacher an der Orgel war die Folge.

Hugo Portisch gehört zur besseren Linie des österreichischen Journalismus. Das zeigte sich, als man ihn in Versuchung führen wollte, Bundespräsident zu werden. Es hätten ihn natürlich alle gewählt, denn er hätte ihnen mit weitausholenden Handbewegungen die Welt so erklärt, dass sie sich nicht mehr vor ihr gefürchtet hätten. Er lehnte das Angebot ab, und das machte ihn in meinen Augen sympathisch. Ich mag Journalisten, die Nein sagen können.«

Danke für ein publizistisches Leben, aufmerksam bis zum Schluss, geprägt von Haltung und wachem demokratischem Interesse ohne falsche Untertöne und aufdringliche Eitelkeit. Gestern verstarb Hugo Portisch im 95. Lebensjahr in Wien. Adieu.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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