Wie helfen Impfungen zum „normalen“ Leben? Wie wirksam und sicher ist die AstraZeneca-Impfung?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 381

Armin Thurnher
am 01.04.2021

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„Die Politiker sollten ihr Normalitätsgeschwafel einstellen und lernen, Perspektiven mit allen Teilen der Bevölkerung zu erarbeiten“, sagt Epidemiologe Robert Zangerle. Und: die Sicherheit des AstraZeneca-Impfstoffs hängt von der Situation des Landes ab, in dem es eingesetzt wird. A.T.

» Auf dem Weg zurück ins „normale“ Leben scheint jedes Land seinen gänzlich eigenen Weg wählen zu wollen. Das ist schon reichlich befremdlich, gibt es doch Beispiele, an denen man sich orientieren könnte. Es muss ja nicht Neuseeland, Australien oder Vietnam sein, Norwegen oder Finnland sind auch akzeptabel. Aber Impfungen sind die neue Währung, und die gilt in Israel und Großbritannien. Also dürfen und müssen wir in diese beiden Länder schauen. In Israel haben bereits 60% der Bevölkerung einer erste Impfdosis erhalten, während Österreich im europäischen Schnitt die 10% Marke erst vor wenigen Tagen überschritten hat. Das war die im Jänner absehbare Marke. Zuletzt hat Österreich im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz etwas mehr Tempo im Impfen aufgenommen.

Wie schnell Österreich seine Bevölkerung durchimpfen wird können ist unklar. Sicherlich wird im Sommer genügend Impfstoff da sein. Der Sommer endet meteorologisch am 31. August und kalendarisch (astronomisch) am 22. September. Einen richtigen Schrecken bekommt man allerdings, wenn von der Regierung versprochen wird, dass bis Ende Juni/Anfang Juli alle in Österreich lebenden ein Angebot für eine erste Impfung erhalten werden und unser Bundeskanzler ungebrochen verkündet: „Normalität spätestens im Sommer“ . Das sind gesundheitsgefährdende Drohungen! Kann natürlich sein, dass er unter „normal“ etwas anderes versteht als ich, die letzten politischen Scharmützel würden das unterstreichen. Jetzt im Anschwellen der 3. Welle sind immer mehr Schalmeientöne zu hören, dass höhere Fallzahlen „bald“ toleriert werden können. Von wem? Ich toleriere das nicht (ob mein Seuchenheiliger Armin Thurnher diese Intoleranz toleriert?).

Man möge sich die „Maßnahmen“ in Israel und Großbritannien anschauen, die während der Impfungen gegolten haben oder immer noch gelten. Anhand von neun Anhaltspunkten hat die Universität Oxford den »Government Response Stringency Index« berechnet, mit dem sich die Stärke der Corona-Maßnahmen verschiedener Länder vergleichen lässt. Gemäß diesem Index zeigt sich, dass Österreich am 29. März weniger strenge Schutzbestimmungen als Großbritannien hat, trotz der wesentlich höherer Durchimpfung und besserer Indikatoren in GB. Israel hat am 6. Februar, zum Zeitpunkt, als 40% der Israelis eine erste Impfung erhalten hatten, die Maßnahmen deutlich gelockert, kam jedoch in der Folge in Bedrängnis und ein neuerlicher „Lockdown“ stand zur Diskussion, der aber nur für 3 Tage Ende Februar verhängt wurde. Auffallend die Schweiz, die als „lockerer“ als Österreich gilt, aber gleichzeitig die Schwierigkeiten unterstreicht, Maßnahmen 1:1 zu vergleichen. Als Erfolgsfaktor in der Schweiz gilt die im Vergleich zu Österreich doch strenger gehandhabte Home Office Regel und die Konstanz in den Maßnahmen. In der Schweiz wurde aus dem Herbst die klare Erkenntnis gewonnen, dass allein schon Diskussionen um Öffnungen zu einer Trendumkehr der Zahlen führen können. Obwohl auch dort Wirtschaftslobbyisten immer wieder Termine nennen, lässt die Regierung sie immer wieder abblitzen.

Wenn wir die Indikatoren der genannten Länder vergleichen, stoßen wir auf Schwierigkeiten, weil Fallzahlen ohne eine eindeutig zu benennende Positivitätsrate der durchgeführten Tests nicht hilfreich sind. Krankenhausaufnahmen wären sehr geeignet, aber da wird unterschiedlich gemessen. Daraus folgt, dass allein die Zahl der täglichen Aufnahmen viel hilfreicher wäre, als die „Belegung“. So würde man schnell sehen, was an den Gerüchten dran ist, dass sich im Augenblick die Belagsdauer auf der Intensivstation verlängert hat („Jüngere halten besser durch“). Deshalb habe ich als Vergleich die Todesfälle herangezogen („rolling 7-day average“) und da schaut Österreich im Augenblick auch nicht gut aus, siehe auch Tabelle am Schluss. Die Politiker sollen ihr Normalitätsgeschwafel einstellen und lernen, Perspektiven mit allen Teilen der Bevölkerung zu erarbeiten.

Wie viele sollen denn geimpft sein, bevor „Normalität“ einkehren kann? Schon kommt das nächste Ablenkungsmantra daher, „wenn die Impfwilligen geimpft sind“. Im Umgang mit diesem Begriff finden wir eine Mischung aus Ahnungslosigkeit über das Verhalten der Menschen, aus P.R. über die Erfolge der Politik und aus Desinteresse am sozialen Gefüge. Sie meinen, ich schwafle? In Innsbruck wurde im stolzen Brustton verkündet, alle über 80-Jährigen seien jetzt geimpft. Manche sagten ergänzend, unter den Impfwilligen. Konkret haben sich 5200 von 7000 80-Jährigen oder älteren bei Tirol impft angemeldet. Am 15. März wurde diese Aktion beendet, aber genaue Zahlen, wie viele Leutewirklich kamen, werden nicht allgemein bekannt gegeben. Auf der Webseite der Stadt Innsbruck geht es formal schon weiter „Anmeldung immer noch möglich“. Dieses NOCH zeigt klar, dass nicht ernsthaft und dauerhaft für die Beteiligung an der Impfung mit Inhalten und Diskussionen geworben wird.

Die ganz große Herausforderung bei allen Impfkampagnen weltweit kommt immer recht spät, dann nämlich, wenn die „Impfwilligen“ geimpft sind und es an der Zeit ist, sich um die „Impfverweigerer“ zu kümmern. „Willig sein“ und „verweigern“ sind keine guten Begriffe. In Public Health weiß man um die Spannbreite der Einstellungen gut Bescheid, wo das willig sein und das Verweigern an den beiden Enden des Spektrums sitzen. Das muss eine Graswurzelbewegung werden, die alle Teile der Bevölkerung bis in den hintersten Winkel, geografisch oder soziologisch, erreicht. Das ist auch wichtig im Hinblick auf Varianten, die ein ständiges Auffrischen notwendig machen könnten. Für ganz Europa eine schwierige Aufgabe, gilt unser Kontinent doch als der „impfunwiligste“ Kontinent. Was dazu notwendig ist? Klartext, Ehrlichkeit, Augenhöhe.

Klartext und Ehrlichkeit zu Impfschäden gehört auch dazu. Das können wir im Augenblick anhand der Diskussion um den Impfstoff von AstraZeneca miterleben. Die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland hat empfohlen, das Präparat von AstraZeneca in der Regel nur noch für Menschen ab 60 Jahren einzusetzen. Einige Wochen davor war es irgendwie umgekehrt, da durften nur die unter 65-Jährigen damit geimpft werden. Schon verwirrend. Es sei „irgendwie nicht so gut gelaufen“ meinte Thomas Mertens, der Vorsitzende der Stiko. Geschuldet war diese ursprüngliche Einschränkung in manchen Ländern, darunter auch Österreich, weil diese Länder mehr klinische Daten über die Verhinderung von symptomatischen Covid bei Personen über 65 Jahre verlangten – die zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht vorlagen.

Obwohl mehre Studien mit uneinheitlichen Designs zusammengetragen wurden, waren zu wenige Studienteilnehmer in dieser Altersgruppe. Sehr wohl gab es Daten zur Immunogenität, weil bei jeder Person die Bildung von Antikörpern gemessen werden kann, während klinische Ereignisse in den Studien zu den Covid Impfungen selten sind (im unteren einstelligen Bereich). So geschieht es jetzt bei Kindern (auch Schwangeren) zur Beurteilung der Impfung gegen Covid. Da bei Kindern die Verläufe häufig sehr mild ausfallen, würde es Studien mit einer sehr großen Fallzahl und längerer Dauer benötigen. Das ist praktisch nicht durchführbar, weshalb in solchen Studien lediglich Sicherheit und immunologische Phänomene wie die Herausbildung neutralisierender Antikörper untersucht werden. Das lag bei AstraZeneca vor, und zwar in sehr guter Qualität. Die Durchführung der Impfstudien durch AstraZeneca wurden von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA heftig kritisiert, „the conduct of studies was sub-optimal”, es wurde aber auch dazugesagt, dass, „given the emergency situation“, der Nutzen die Risiken überwiegt. Aus diesem Grund haben die USA (Israel folgt deren Behörde) und die Schweiz beschlossen auf die Ergebnisse der rigoros durchgeführten Studie in den USA und Lateinamerika zu warten. Diese (sehr guten) Ergebnisse liegen inzwischen vor, obwohl es bei der Vorstellung der Ergebnisse auch Knatsch mit Tony Fauci gab.

In der jetzigen Diskussion geht es nicht einfach um Thrombosen und Embolien nach AstraZeneca. Da kann man inzwischen verallgemeinernd festhalten, dass dieses allgemeine Risiko bei der Impfung mit AstraZenca nicht erhöht ist. Es geht viel mehr um die, im engen, zeitlichen Zusammenhang mit der Schutzimpfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca beobachteten Gerinnungsstörungen. Die Krankheitsbilder ähneln einer Heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) mit Thrombose (Heparin ist das Mittel in der Spritze gegen Thrombose und Thrombozytpenie ist ein Mangel an Blutplättchen), umfassen aber auch eine kleine Anzahl schwerer Fälle mit einer Sinusvenenthrombose (Blutgerinnseln in Hirnvenen) und andere Formen thrombotischer Mikroangiopathien mit disseminierter intravaskulärer Koagulation (DIC) (= Gerinnungsstörung). Diese Komplikationen sind in der Regel innerhalb von 4-16(20) Tagen nach der Impfung aufgetreten. Die Mehrzahl dieser Reaktionen trat bei Frauen unter 55 Jahren auf. So beschreibt es auch die kanadische Behörde und rät von einer Impfung mit AstraZeneca bei unter 55-Jährigen ab (Männer und Frauen) . Die deutsche STIKO empfiehlt die Impfung ab 60, Jüngere können sich nach Rücksprache mit dem Arzt und auf eigenes Risiko weiterhin damit impfen lassen. Bis Ende April soll die STIKO eine Empfehlung für Jüngere, die bereits eine 1. Impfung erhalten haben (ab Mai wäre 2. Dosis vorgesehen) erlassen.

Dieses Krankheitsbild firmiert als VIPIT (Vakzin induzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie), eine möglichst schnelle Überweisung zu Spezialisten für Hämatologie wird dringlich nahegelegt. Für das weitere Vorgehen gibt es Empfehlungen. Eine Arbeit, die auch den Todesfall der 49-jährigen Krankenschwester aus Zwettl einschließt, liegt als Preprint vor . Folgende Symptome führen zu einem Verdacht auf VIPIT

  • Übelkeit, plötzliches Fieber, Kopfschmerzen ( nach der Akutreaktion oder anhaltend)

  • Schmerzen in der Brust oder im Bauch

  • Atemlosigkeit

  • Schwellung oder Kälte in einem Arm oder Bein

  • Anhaltendes Bluten

  • Blaue Flecken, rötliche oder rötlich-violette Flecken oder blutige Blasen an der Haut

Besondere Risikomerkmale für das Auftreten von VIPIT konnten nicht eruiert werden, keine Vorgeschichte mit Gerinnungsstörungen oder Thrombosen. Die EMA vollzieht eine besonders rigide Bewertung „At present the review has not identified any specific risk factors, such as age, gender or a previous medical history of clotting disorders, for these very rare events. A causal link with the vaccine is not proven, but is possible and further analysis is continuing.“  Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist die extreme Vorsicht im Formulieren der EMA durchaus nachvollziehbar. Auch die Reaktion des österreichischen Nationalen Impfgremiums ist nachvollziehbar. Es ist kompliziert. Das Risiko von VIPIT wird auf 1: 100 000 geschätzt.

Es ist leichter, Angst zu machen, als Angst zu nehmen

Ein Team um den renommierten Gerd Gigerenzer (der Nobelpreis ging an den ebenso verdienten Daniel Kahneman) gibt die Unstatistik des Monats heraus, ganz aktuell zu Wie wirksam und sicher ist die AstraZeneca-Impfung? : „Das Risiko dieser seltenen Hirnvenenthrombosen kann man zudem am besten im Kontext einordnen. Setzt man die Impfung aus, können wegen der Knappheit der Impfstoffe anderer Hersteller deutlich weniger Menschen geimpft werden, was zu weitaus mehr schweren Erkrankungen und Todesfällen durch COVID-19 führt, als die seltenen Hirnvenenthrombosen. Man kann sich auch vergegenwärtigen, dass wir anderswo schwere Risiken in Kauf nehmen, ohne viel darüber nachzudenken. Im Beipackzettel von Aspirin findet man etwa, dass Hirnblutungen und akutes Nierenversagen in weniger als einer von je 10.000 Personen auftritt, die Aspirin einnehmen. Kein Vergleich ist perfekt, aber Vergleiche helfen, die Risiken in eine Perspektive zu setzen“

Einen Vergleich, bzw. zwei Beispiele zur Risikoabwägung in diesem Fall möchte ich noch erwähnen. Den vorübergehenden Stopp beim Impfstoff von AstraZeneca in Norwegen muss man auch in Bezug setzen zur dort sehr geringen Sterblichkeit an Covid (10x kleiner als Österreich). In Neuseeland wäre das Risiko im Augenblick klar gegen AstraZeneca, die haben keine Covidfälle!

Abschluss: 12-16 Jährige könnten schon vor Beginn des nächsten Schuljahres mit BioNTech/Pfizer geimpft werden, soeben wurden Ergebnisse über die Antikörperbildung in dieser Gruppe bekannt. Bei den Kleineren wird es wohl 2022 werden, die Studien haben aber gerade begonnen (Alter 6 Monate bis 12 Jahre).«

R. Z.


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Ihr Armin Thurnher

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