Meine Pizza-Saga, Teil I

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 375

Armin Thurnher
am 26.03.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

„Nach Mitternacht wird das Gedränge auf den Straßen dünner, nach drei Uhr verläuft es sich. Später gehen wir manchmal allein. Fast allein. Immer hat ein Geschäft offen, aus dessen kaltem Licht ein frisch Eingewanderter blinzelt. Die Subway fährt nicht mehr im Minutentakt. In der Chambers Street sind wir oft allein und warten eine halbe Stunde auf den Local zur South Ferry. Die Lärmbahn ruht. Die Station ist eine stille Kathedrale, voller Säulen wie die Mezquita von Córdoba, auf andere Weise schön, ein Riesenschlachthaus ohne Vieh und Metzger, mit schmutzigen Art-Deco-Fliesen. Müde sitzen wir, schauen über die Geleise und warten auf den Zug. In Abständen donnert einer leise in der Ferne.

Wir sind hungrig. An der Südspitze gibt es Pizza für 35 Cent. Die Lust, sich den Gaumen am heißen Käse zu verbrennen! Die auf der dünnen Papierserviette gereichte Pizzaecke zusammenzufalten, um das Öl in den Mund rinnen zu lassen. Salzige Freude hebt uns auf die Fähre. Müde sind wir, aber leicht und glücklich, Salzfladen in uns, Salzwasser unter uns, das Salz der Erde – Ellis Island – neben uns. Das Morgenlicht kann kommen. Wir reden kaum, wir schweben über Wasser. Der Bus ist ein Suffix unserer Reise. Durchgeschüttelt trotten wir im fahlen Licht auf den Hügel. Frühstück ist reichlich und gratis. Die Chinesen hinter der Theke schauen misstrauisch. Sie sehen, wir kommen von weit her.“

So beschrieb ich in meinem autobiografischen Roman Fähre nach Manhattan das Ende einer für gewöhnlich im East Village verbrachten Nacht mit meinem Freund Bruce, 1968 in New York City.

Ich wusste damals nicht, was Pizza ist. Sie gehörte zu den vielen Neuheiten, die mir in diesem Wunderjahr begegneten. Als ich aus den USA heimkehrte, erzählte ich meiner Mutter davon. Sie war und ist eine prima Köchin. Ich mach dir so eine Pizza, sagt sie, und schaute in einem Kochbuch nach. Ich verzog das Gesicht, als sie sie auf den Tisch stellte. Auch sie hatte trotz einiger kurzer Italienbesuche kein Konzept von Pizza. Was sie buk, war eine mediterrane Germschnitte geworden, ein Hefebrot, wie man im Westen sagt, weich und delikat, aber so weit von meinem New Yorker Original entfernt, dass ich sie nicht loben konnte. Grausamkeit der dummen jungen Männer.

Dann kamen italienische Lokale auf. Pizza wurde allgegenwärtig, und meist schmeckte sie grauenhaft. Ich kann nicht schildern, was ich an traurigen Teiglappen bestellte, verzehrte und bezahlte, bis sich die Lage langsam zu bessern begann.

Pizza selbst zu backen kam kaum in Frage, Fertigpizzen waren ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Aber immer mehr rückte die Idee des Selbermachens in den Vordergrund.

Jeffrey Steingarten, der legendäre Food-Schreiber der Vogue, der als Harvard-studierter Wirtschaftsanwalt auf Gastrojournalist umsattelte und einige der witzigsten Reportagen über Essen und Lebensmittel schrieb, gab einen wichtigen Anstoß. Für seine Pizza-Recherche besorgte er sich ein digitales Thermometer, mit dem er in die Backrohre von Kultpizzerias auf der ganzen Welt hineinmaß. Auch er entdeckte das Geheimnis der perfekten Pizza nicht.

Pizzakochbücher erschienen, und wir versuchten es endlich auch selbst. Es ging! Man musste das richtige Mehl verwenden, musste ein paar Tricks beherzigen, dann war alles kinderleicht. Vor allem braucht es einen geeigneten Ofen; ein Backrohr, das seine 250° bringt, oder eben einen kleinen Pizza-Backofen, Chamottestein als Boden, flaches Backrohr, mindestens 350°. Es geht auch ohne, aber ein Pizzaofen macht einen Unterschied.

Als ich kürzlich aus einer Laune heraus das Foto einer selbstgemachten Pizza auf Twitter ausstellte, rechnete ich nicht mit dem Echo. Germ oder nicht Germ, lautete eine Frage, welcher Ofen, eine andere. Experten und Expertinnen traten auf, und schon war mir klar: Pizza ist noch immer Thema.

Eines der Versprechen dieser Kolumne lautet ja: ungesundes Essen. Pizza scheint mir nicht besonders ungesund, aber das weiße Mehl, das wir verwenden, ist vom Standpunkt gesunder Ernährung nicht das non plus ultra.

Die Pizza, die ich fotografierte und auf Twitter stellte, war nicht meine erste, aber sie war Ergebnis eines Experiments. Bei uns zu Hause ist meine Frau  die Pizza-Göttin, ich darf ab und zu ein Teil belegen und in den Ofen schieben. Manchmal servieren wir vor einem Essen kleine Pizzeletten, die Gäste sitzen in der Küche und dürfen selbst belegen. Das kann gefährlich werden, denn sie hören nicht mehr auf und schwächeln dann beim eigentlichen Essen.

Vor kurzem entdeckte Irena Simone Padoan. Dieser italienische Koch gilt als  einer der Weltmeister der Pizza, er hat ein ganz eigenes Konzept von Pizzateig und Pizzapräsentation, und siehe: sein Teig ist weich. Padoan schneidet seine fertige Pizza in acht Tortenstücke, die er sorgsam mit verschiedenen feinen Zutaten belegt, die nicht in die Hitze kommen dürfen; das habe ich verschmäht, den klassischen Tomatensauce-Mozzarella-Parmesan-Belag gewählt und mit ein paar Sardellen und Kapern aufgebessert. Wie der Belag aber aufgebracht wird, dabei kann man einiges von Padoan lernen.

Meine Frau verletzte sich an der Hand, und so war es an mir, Herrn Padoans vielgerühmtes und preisgekröntes Teigwerk nachzuempfinden. Empfindsamkeit braucht es dabei in der Tat. Morgen mehr darüber, was das Besondere daran ist und über unsere simple Pizza in verschiedenen Varianten.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!