Sebastian Kurz, Europas Feind im eigenen Haus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 373

Armin Thurnher
am 24.03.2021

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Für ein paar Tausend Menschen geht es um Leben und Tod, für Zehntausende um die Gesundheit, für Hunderttausende um die Existenz, die psychische Verfassung einer ganzen Gesellschaft ist labil, und was tut der Kanzler?

Er poliert Tag und Nacht an seinem Image herum.

Das haben wir nicht verdient.

Das frivole Spiel mit der Europäischen Union zum Beispiel. Österreich ist Mitglied dieser Unternehmung, die der Idee nach das Beste ist, was uns politisch in unserer Lebenszeit geschehen konnte. Dass eines ihrer Resultate, der Frieden, noch immer hält, kann nicht seiner Bedeutung entsprechend geschätzt werden, weil kaum mehr Leute da sind, die wissen, was Krieg ist.

Die europäische Idee hochzuschätzen bedeutet nicht, dass man die EU nicht kritisieren darf. Sie zu kritisieren, um ihre Idee zu verbessern, haltbarer, tragfähiger, zukunftssicherer zu machen – alles Phrasen, die Herrn Kurz beim nächsten Lobbyistensalon mühelos über die Lippen fließen – das ist gut und schön.

Sie aber in einer Krise madig zu machen, um von eigenen Problemen abzulenken, das ist frivol. Herr Kurz spielt mit unserem Glück, zu eigenen Gunsten. Er macht die EU nicht nur madig, er zernagt sie durch seine frivolen Renationalisierungsgesten tatsächlich. Herbert Kickl, der am lautesten schreit „Kurz muss weg!“ kann diesbezüglich sehr zufrieden mit ihm sein. Österreich hat einen Feind Europas zum Kanzler, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Kurz hat versagt, indem er nicht dafür sorgte, dass Österreich genügend Impfstoff bestellt. Sich an anderen dafür abzuputzen, kann er sein lassen. Ich habe gesagt, er sei der sauberste Kanzler, den Österreich je hatte: keiner putzt sich so oft an anderen ab.

Österreich hat bei der Lotterie, welche die EU den Mitgliedsstaaten überließ, auf AstraZeneca gesetzt, den billigsten Impfstoff. Die Firma hat Lieferschwierigkeiten, Pech für uns, Pech für Kurz. Statt darauf zu setzen, die EU mit Mitteln auszustatten, gab er den Sparefroh.

Nun tut er so, als sei Österreich auf einem geheimnisvollen Basar in der EU über den Tisch gezogen worden. Um sich wichtig zu machen, inszenierte er sich sogar als Sprecher Bulgariens, das aber gut selbst zu seinem Recht kommt, und massiert Österreich mit unvergesslichen Krone-Schlagzeilen, die EU habe versagt. Brüssel sollte ihn auf Rufschädigung klagen.

Cover der Kronen Zeitung vom 13. 3. 2021

Das alles interessiert mich nur insofern, als vier Dinge daraus folgen.

Erstens hat Kurz keine Strategie zur Bekämpfung von Corona entwickelt, geschweige denn durchgesetzt. Er leistet vielmehr den Offenbarungseid, mit Sprüchen wie, man müsse den Lockdown beenden, weil sich ohnehin niemand an die Vorschriften halte. Er, der große Kommunikator hätte wenigstens diesbezüglich liefern müssen. Konnte sein Message-Salon keine Ideen produzieren, wie man das richtige Verhalten nicht nur zu einer Last, sondern vielleicht zu einer lohnenden Aufgabe macht, die Leben rettet? Oder war anderes wichtiger? Imagepolitur? Anpatzen der politischen Konkurrenz? Sie sind doch sonst so findig, wenn es um irgendwelche Ablenkungsmanöver geht.

Zweitens haben wir einen Bundeskanzler, der sich mit den dubiosesten Rechtspopulisten Europas gemein macht, der mit dem Slowenen Janez Janša gegen den Ausschluss Viktor Orbáns aus der Europäischen Volkspartei stimmt, der sich aus durchsichtigen innenpolitischen Gründen mit mächtigen Mitgliedsstaaten der EU anlegt und so unsere Interessen schwächt.

Denn drittens laufen die Dinge in einer Weise aus dem Ruder, die in normalen Zeiten längst den Kollaps der türkisen Neigungsgruppe zur Folge haben müssten, allen mit von ihm verteiltem Steuergeld weichgespülten Medien zum Trotz: Blümels Laptop im Kinderwagen, die suspendierten und nichtsuspendierten Spitzenkräfte der Justiz, die dissertationsschwindelnde Ex-Ministerin Aschbacher, der untragbare Nationalratspräsident Sobotka, der noch immer amtierende, sich selbst Posten zuschiebende Öbag-Chef Schmid – ein Pandämonium türkisen Wesens.

Was viertens dazu führt, dass Kurz Gott für dies Krise danken muss, denn sie erlaubt ihm wenigstens, hinreichend Ablenkungsmanöver und Pressekonferenzen zum Thema Corona abzuhalten. Wobei nicht verborgen bleibt, dass von seinem neuen Stil, die Parteigranden wegzudrücken, nicht einmal mehr die Glasur übriggeblieben ist.

Geschähe das alles nicht auf unsere Kosten, könnten wir darüber lachen. Schön langsam vergeht einem aber die Lust an dieser virtuelle Erheiterung.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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