Traurig, aber wahr: Das Konzept der Regierung trägt aktiv zur Verbreitung von Covid bei.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 371

Armin Thurnher
am 22.03.2021

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Klartext spricht heute Epidemiologe Robert Zangerle. Die Regierung hat es versemmelt. Ihre Ankündigungen blasen nicht nur Nebel in die Luft, sie schaden tatsächlich, weil sie das Verhalten der Bevölkerung (negativ) beeinflussen. Höchste Zeit, die Dinge endlich seriös anzugehen, sonst ist der Sommer auch dahin! A.T

Was jetzt das Problem ist? Wenn wir jetzt zu ungeduldig sind, setzen wir den Sommer aufs Spiel (Tanja Stadler, ETH Zürich)

»Was ist jetzt das Problem? Das Fehlen eines Problembewusstseins! In der Diskussion, ob jetzt verschärft oder gelockert werden soll, fehlt jegliche Einsicht, wieso Österreich überhaupt in diese Lage gekommen ist. Formulieren wir es ein wenig überspitzt: Das Konzept der Regierung trägt aktiv zur Verbreitung von Covid bei. Das lässt sich mehrfach belegen. Ich will jetzt gar nicht auf die unverantwortliche Fokussierung auf die Belegung der Intensivstationen hinaus, oder auf das Verunsichern und damit Demotivierens des ständigen Auf-Zu, oder auf das ständige Werfen von Nebelgranaten zur ablenkenden Unterhaltung des Publikums. Gewiss, all das hat sein Scherflein dazu beigetragen. Heute möchte ich etwas anderes betonen, das nachweislich die Weiterverbreitung gefördert hat: das wiederholte Setzen eines konkreten Datums, ab wann gelockert wird. Aus der Erfahrung der Schweiz mit deren Ankündigung der Beendigung ihres zweiten Lockdowns weiß man, dass allein schon Diskussionen um Öffnungen zu einer Trendumkehr der Zahlen führen können. Das ist 1:1 auf den 8.Februar in Österreich übertragbar und gilt genauso für den 7.Dezember. Man hat dann wohl das Gefühl, man könne nun mehr machen. Vielleicht so, wie wenn man im Auto bereits beim ersten Anblick des noch 100 Meter entfernten Schildes „Ende 50km/h“ ordentlich beschleunigt. Um von diesem Sachverhalt abzulenken, wird einfach behauptet: „die Leute halten sich nicht daran“. Schon Chuzpe.

Und es hört nicht auf. Ab Sommer ist alles normal!, tönt es fast kakophonisch. Wie viele sollen denn geimpft sein, bevor „Normalität“ einkehren kann? Schon kommt das nächste Ablenkungsmantra daher, „wenn die Impfwilligen geimpft sind“. Im Umgang mit diesem Begriff finden wir eine Mischung aus Ahnungslosigkeit über das Verhalten der Menschen, aus P.R. über die Erfolge der Politik und aus Desinteresse am sozialen Gefüge. Sie meinen, ich schwafle? In Innsbruck wurde im stolzen Brustton verkündet, alle über 80-Jährigen seien jetzt geimpft. Manche sagten ergänzend, unter den Impfwilligen. Konkret haben sich 5200 von 7000 80-Jährigen oder älteren bei Tirol impft angemeldet. Am 15. März wurde diese Aktion beendet, aber genaue Zahlen, wie viele wirklich kamen, werden nicht allgemein bekannt gegeben. Nähere Zahlen gibt es im Gesundheitsministerium, die folgende Tabelle ist dem Protokoll der Corona Kommission entnommen.

Um besser und ausreichend über den Impffortgang informiert werden zu können, hätte es intensiverer Vorbereitungen bedurft. Die Digitalisierung der israelischen Krankenkassen und des dänischen Gesundheitssystems wären durchaus wegweisend. Jetzt ist es nicht möglich, Abgleiche zwischen dem elektronischen Impfpass (Durchführung ELGA GmbH, obwohl nicht Teil der ELGA) und der E-CARD der Krankenkassen zu machen. Dabei gäbe es auch datenschutzrechtlich gesicherte Methoden. Die vielen Business Modelle bei der Covid-19 Impfung lassen befürchten, dass ein einem Sozialstaat angemessenes Interesse weitgehend fehlt. So heißt es z.B. auf der Webseite der Stadt Innsbruck „Anmeldung immer noch möglich“. Dieses NOCH zeigt klar, dass nicht ernsthaft und dauerhaft für die Beteiligung an der Impfung mit Inhalten und Diskussionen geworben wird. Das muss eine Graswurzelbewegung werden!

Zurück zur aktuellen Corona Lage: Wie kann überhaupt „gelockert“ werden, wenn unklar bleibt, wann verschärft werden soll? Wie kann überhaupt „verschärft“ werden, wenn unklar bleibt, wann gelockert werden soll? Zuletzt hörte man vermehrt den Ruf nach einem kurzen „harten Lockdown“, der drei Wochen lang jede Woche die Fallzahlen halbieren soll. Ohne glasklare Exit Strategie könnte das der vorvorletzte „Lockdown“ werden. Es ist eine reichlich blauäugige Annahme, in den kommenden Wochen die dafür benötigte Reproduktionszahl von 0,7 zu erreichen, ein Wert, der im Frühjahr 2020 nur tageweise erreicht werden konnte. Schauen wir uns die beiden großen Baustellen an, die, abgesehen von der Verlängerung der Osterferien für eine Woche oder so dabei kaum angesprochen werden: Schulen und Arbeitsplätze. Bei den Schulen befinden wir uns auf dem richtigen Weg zur Sicherheit. Es ist aber immer noch sehr verwunderlich, wieso dort nicht täglich und mehr mit PCR getestet wird. Auch dass Alternativen zum Gurgeltest (z.B. Spucktest) so wenig ins Auge gefasst werden, erstaunt, zwei Beispiele, hier und hier.

Für die Schulen in ganz Wien (und natürlich in den Gemeinden/Bezirken mit hoher 7-Tagesinzidenz) ist es kritisch geworden, weil das Contact Tracing an den Anschlag gekommen ist. Die Zahlen sind schier zu hoch. Der Vorschlag der NEOS, nach Ostern zum vollen Präsenzunterricht zurückzukehren, kann nur den Sinn haben, den bisherigen Hybridunterricht als Kompromiss aufrecht zu erhalten. Epidemiologisch ernst zu nehmen ist der Vorschlag natürlich nicht, die 7-Tagesinzidenz bei den 6-14-Jährigen liegt in Wien am 21. März bei 445,1, der effektive Reproduktionsfaktor für alle Altersgruppen bei 1,14. Das heißt im Klartext, in der Woche nach Ostern überquert er die 700-er Grenze! Könnten die uns erklären, was sie eigentlich wollen? Jedenfalls haben wir genug von den pandemischen Finten. Kurzschluss­handlungen wollen wir ebenfalls gerne ausschließen. Der Seuchenkolumne zufolge bäumt sich die dritte Welle seit vier Wochen auf. Die Frage ist eigentlich nur noch, wie hoch sie sich türmen wird und ob wir es vielleicht doch noch schaffen, sie nicht zu einem stattlichen Brecher anwachsen zu lassen.

Nun zum Thema Arbeitsplatz. Die Sozialpartnerschaft lehnt eine aktive Rolle in der Bekämpfung der Pandemie mehr oder weniger ab. Man erinnere sich an die trotzige Entscheidung der Sozialpartnerschaft Ende August gegen Masken am Arbeitsplatz, eine Haltung, die später die Basis für die katastrophale, weil viel zu halbherzige Auslagerung ins Home Office bildete. Auch Maßnahmen zur Einschränkung der Mobilität waren überschaubar, die Unterscheidung in notwendiges („essential“) und nicht-notwendiges („non-essential“) Reisen kam zu kurz, und sicher wurde das arbeitsbedingte Reisen viel zu wenig in Frage gestellt. Die Folgen dessen sah man dann sogar verwundert in den Skigebieten. Ganz leicht konnte dort das Home Office ins Hotel verlagert werden. Zweifellos ist auch bei vielen Vertretern der Sozialpartner das Problem mit den hohen Fallzahlen bei Covid-19 Maßnahmen immer noch nicht angekommen. Maßnahmen beeinflussen die Ansteckungsrate, nicht die absolute Zahl an Ansteckungen. Wenn man – wie jetzt – Fallzahlen herunterbringen will,  weil mit den derzeit erwartbaren Fallzahlen die medizinische Versorgung gefährdet werden könnte, muss man strengere Maßnahmen treffen. Um es ganz klar zu sagen, braucht es nun strengere Maßnahmen und weitergehende Rücknahmen von Lockerungen als nötig gewesen wären, hätte man sie früher schon auf tieferem Niveau getroffen bzw. die Lockerungen erst gar nicht vorgenommen.

Die Impfungen wirken sich vorerst positiv auf die Todesfälle in den Altersheimen aus. Auf die Krankenhausaufnahmen und Ansteckungen haben sie in den nächsten Wochen keinen Einfluss, weil die 55-75 Jährigen zu weniger als 3% einen vollständigen Impfschutz haben und gleichzeitig jene Gruppe sind, die bei der Covid Erkrankung am häufigsten der Betreuung einer Intensivstation bedürfen. Im Osten wird jetzt immer klarer, dass es in einigen Wochen nicht mehr genug Platz für Menschen gibt, dort betreut zu werden, obwohl sie es bitter brauchen werden. Mehr als ein halbes Jahr mache ich mir hier über diesen Bedarf an Platz Gedanken und verzweifle ob der Missverständnisse. Die Corona Kommission selbst verheddert sich in Widersprüchen, einerseits kommt sie zum Schluss, dass „der angestrebte Regelbetrieb der Spitäler ab (d.h. unter) einer ICU-Auslastung von etwa 10% (= ca. 200 belegten Betten) wiederhergestellt werden (kann)“, andererseits wird Wien am 5. Februar  bei einer Belegung von 20% der Intensivbettten durch Patienten mit Covid auf von rot auf orange „zurück“ gestuft. Absurd.

In Wien gab es eine Verdoppelung des Belags der Intensivbetten durch Patienten mit Covid innerhalb der letzten 3 Wochen (es dauerte geringfügig länger), so wie es hier vor 3 Wochen messerscharf (Korrelation der Kartoffelgröße mit dem Intellekt des Bauern) beschrieben wurde. Es ist davon auszugehen, dass die Verdoppelungszeit so bleibt, unter der Voraussetzung des jetzigen Infektionsgeschehens. Der effektive Reproduktionsfaktor für Wien ist derzeit mit 1,14 unverändert, auch für Österreich mit 1,11. Mit Ausnahme Tirol, dort ist der Reproduktionsfaktor zuletzt im Steigen (unter 1,20), dort setzt sich jetzt offensichtlich auch B.1.1.7 langsam durch. Habe Anfang März noch angenommen, dass bis längstens heute, mit der vollständigen Durchsetzung von B.1.1.7 , und damit mit einer Steigerung des Reproduktionsfaktors auf 1,20-1,25 zu rechnen wäre. Vielleicht ist die Dominanz von B.1.1.7 doch noch nicht am Plafond angelangt. Kann man sicher ausschließen, dass es nicht doch noch Lücken in der Untersuchung der positiven PCR-Proben auf Mutationen gibt, die zu einer leichten Verzerrung der Repräsentativität führen („sampling error“ durch Cluster, optimiertes Contact tracing von Verdachtsfällen mit „Mutationen“)? Man sollte also doppelt auf der Hut sein.

Das Robert-Koch Institut sieht die Belegung der Intensivstationen strenger, trotz der noch höheren Kapazität an Intensivbetten in Deutschland, siehe Grafik. Man beachte auch die anderen Indikatoren!

Aus epidemiologischer Sicht ergeben besondere Öffnungsschritte zu Ostern keinen Sinn. Sollte dies ermöglicht werden, dann gälte es (selber) zu beachten, dass bei Treffen wenn möglich nur zwei Haushalte zusammen kommen und man unbedingt am gleichen Tag einen Test machen soll. Wenn schon Test, dann Antigentest, wenn möglich Gültigkeit auf 12 Stunden einschränken.

Politisch gibt es in der Pandemie-Krise nur noch eine Währung: die Geschwindigkeit der Impfung. Regierungen, die dabei nicht gut dastehen, werden den Druck so schnell nicht los. Ist die Regierung jetzt imstande, sich einer absurden politischen Logik – je rückständiger das Impf­programm, desto risiko­bereiter bei den Lockerungen – zu entziehen? Die Stimmung mit Lockern zu heben ist mehr als vorbei, man darf also gespannt sein, ob der Fundus an Nebelgranaten noch was hergibt. Zu hoffen ist aber, dass Sozialpartner, Religionsgemeinschaften sich mit der Regierung zusammen tun, um viel Leid in den nächsten Wochen und Monaten zu verhindern und damit auch den Sommer zu retten.« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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