Let’s talk about Sex! Und Impfschutz. Und darüber, mit wem Geimpfte ohne Maske und Abstand Kontakt haben können.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 370

Armin Thurnher
am 21.03.2021

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Heute beantwortet Epidemiologe Robert Zangerle eine Anfrage eines Schulkollegen betreffend nicht-monogamen Safe-Sex. Und er informiert darüber, was die US-amerikanische Gesundheitsbehörde an vernünftigen Maßnahmen für Menschen empfiehlt, die bereits gegen Corona geimpft sind. DieWissenschaft weiß nämlich noch längst nicht alles über die Seuche. A.T.

»Habe schon wieder Post bekommen. Ein Schulkollege schreibt:

„Lieber Robert, darf ich Dir eine Frage stellen, die vermutlich nicht nur mich interessiert. Wo Ich aber möglicherweise der Einzige bin, der es sich leisten kann, sie öffentlich (Anm. 40 andere Schulkollegen) zu stellen: Wie sicher ist nicht-monogamer Safe-Sex zwischen Geimpften bezüglich COVID 19? Ich habe darüber keine Information gefunden. Vielen Dank für Deine Informationen – und liebe Grüße, XY“

„Lieber XY,

Du stellst Fragen! An so eine Frage habe ich bisher nicht im Entferntesten gedacht.

Kurze Antwort: Sehe kein Problem

Lange Antwort: hier

Diesem Thema habe ich mich bisher von einer ganz anderen Seite genähert. So habe ich in der Seuchenkolumne vom 22.September Folgendes geschrieben:

„Crashkurs im Nachtrag: Gesichtsvisiere sind ausnahmslos nur in Kombination mit einer Maske zu verwenden. Das Hantieren mit und der Verzehr von Lebensmitteln ist unbedenklich (nach dem Einkaufen Hände waschen); alle Waschmittel machen bei jeder Waschtemperatur dem umhüllten Virus schnell Garaus. Sex außerhalb einer Partnerschaft: Maske!, oder „Corona Notgemeinschaft“ bilden. Apropos Notgemeinschaft: Für den Winter empfiehlt sich, je nach Umständen und Bedürfnissen, eine Corona Gemeinschaft mit einem (oder zwei) anderen Haushalten einzugehen.“

Habe die sexuelle Übertragung von SARS-CoV-2 bisher fast völlig ausgeblendet, rein gefühlsmäßig ist das auch richtig so. SARS-CoV-2 ist nicht Ebola und auch nicht Zika. Bei Zika ist die sexuelle Übertragung sehr nachrangig und war kein Grund für Sorge, dass eine Verbreitung über Sex die Pandemie aufrechterhalten könnte. Das ist bei Ebola anders, da gab es riesige Probleme, weil das Ebolavirus im Samen für Monate persistieren kann und es deshalb eigene Empfehlungen gab: Safe Sex für 6 Monate oder 3 Monate und dann PCR monatlich. Nach 2 negativen Proben galt man als sicher. Damit verbunden war aber eine verheerende Stigmatisierung von Betroffenen. Und der jetzige Ebola-Ausbruch in Guinea wird auch unter dem Aspekt von Sexualität diskutiert. Aufgrund von Virussequenzierungen  gibt es einen Link zum Ausbruch 2014-2016. Schon sehr, sehr außergewöhnlich.

Bei Viren gibt es so genannte Sanctuary Sites, das sind im Prinzip anatomische Lokalisationen, wo Viren persistieren (überdauern) können, weil das Immunsystem die Viren dort nicht zerstören kann. Charakteristisch dafür ist das Zentralnervensystem oder der Hoden. Eine Persistenz von infektiösem SARS-CoV-2 ist mir bisher nicht bekannt. Teile von SARS-Cov-2 (keine ganzen infektiösen Viren) können schon für 1-3 Monate persistieren (= positive PCR). Zuletzt gab es Diskussionen, ob das Zentralnervensystem nicht doch eine Art Reservoir für persistierendes SARS-CoV-2 bilden kann. Ich denke, da gibt es kaum Wissen, the jury is still out.

Trotzdem würde ich dazu tendieren, dass die sexuelle Übertragung von SARS-CoV-2 nicht von (wesentlichem) Belang ist, auch nicht eine Persistenz im Hoden, wofür es praktisch kaum Daten gibt (hier oder, kritischer, hier). Die Persistenz spielt bei immungeschwächten Patienten eine Rolle, die sogar mehr als 20 Tage lang ansteckend sein können. Deshalb müsste unser Gesundheitssystem gleich aus zwei vitalen Gründen solche Patienten impfen. Ich kenne transplantierte Patienten, die entweder gerade ihre erste Impfung erhalten haben oder nicht geimpft wurden. Ein Skandal, der zornig macht.

Zu den Geimpften. Komplexe Materie, vereinfacht gesprochen muss man da zwischen PRIVAT und ÖFFENTLICH unterscheiden. Vielleicht zwei Bilder, die das veranschaulichen: auf dem linken Bild Rochelle Walensky, neue Direktorin des US Centers of Disease Control (CDC) mit ihrer Mutter, beide sind vollständig geimpft. Und rechts ein Bild vom Freitag mit Vizepräsidentin Harris und Präsident Biden, der auch vollständig geimpft ist.

Der Unterschied zwischen privat und öffentlich gibt dem psychosozialen Bedürfnis nach Nähe mehr Gewicht als dem sehr niedrigen Risiko, sich in dieser Konstellation zu infizieren. Rochelle Walensky hat das Foto mit ihrer Mutter auf ihren offiziellen Account bei Twitter gestellt , eine gute Woche nach der Herausgabe von neuen Empfehlungen der CDC .

Wann ist man vollständig geimpft?

Als vollständig für Covid-19 geimpft gilt man ab 14 Tagen nach der 2. Impfung oder ebenfalls ab 14 Tagen nach der 1. Impfung beim Impfstoff durch Johnson & Johnson (Janssen). Die folgenden Empfehlungen der CDC richten sich an vollständig Geimpfte. Es wird jedoch empfohlen, für individuelle Situationen jeweils ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, wie bei immunschwächenden Erkrankungen und Therapien oder auch anderen Bedenken.

Sex würde ich in Bezug auf Covid-19 als „gewöhnlichen Alltagskontakt“ einstufen, deshalb sehe ich für Sex für vollständig Geimpfte („fully vaccinated people“) die CDC Empfehlungen als adäquat an.

Besuche / Treffen in Innenräumen zwischen vollständig Geimpften

Besuche zwischen vollständig Geimpften in Innenräumen ohne Maske und ohne die geltenden Abstandsregeln zu beachten, stellen wahrscheinlich ein sehr niedriges Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 dar. Es ist also ein sehr niedriges Risiko, vollständig geimpfte Freunde zum Abendessen bei sich zuhause einzuladen.

 

Besuche in Innenräumen zwischen vollständig Geimpften und Ungeimpften bzw. nicht vollständig Geimpften

Besuche zwischen vollständig Geimpften und nicht vollständig Geimpften in Innenräumen ohne Maske und ohne die geltenden Abstandsregeln zu beachten, stellen für die vollständig Geimpften sehr wahrscheinlich ebenfalls ein sehr niedriges Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 dar. Deshalb richtet sich das Niveau an Vorsichtsmaßnahmen an Eigenschaften der Ungeimpften bzw. nicht vollständig Geimpften, die ungeschützt sind gegen Covid-19.

Besuche in Innenräumen zwischen vollständig Geimpften und Ungeimpften bzw. nicht vollständig Geimpften aus einem Haushalt, in dem niemand ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19 Verläufe hat.

Wenn Ungeimpfte und nicht vollständig Geimpfte in einem Haushalt ohne Mitglieder mit erhöhtem Risiko für einen schweren COVID-19 Verlauf sind, dann können sie sich in Innenräumen treffen, ohne dass Masken getragen werden müssen. Das SARS-CoV-2 Übertragungsrisiko ist dann sehr klein. So können beispielsweise vollständig geimpfte Großeltern ihre ungeimpften und gesunden Kinder und Enkel in Innenräumen besuchen – ohne Maske und ohne Abstandhalten. Voraussetzung ist jedoch, dass keines der ungeimpften Familienmitglieder ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19 Verläufe trägt.

 

Besuche zwischen vollständig Geimpften und Ungeimpften bzw. nicht vollständig Geimpften unter denen sich Personen mit erhöhtem Risiko für schwere COVID-19 Verläufe befinden.

Wenn in der Gruppe oder im Haushalt sich Mitglieder mit einem erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19 Verlauf befinden, dann sollten alle Teilnehmer am Treffen bzw. Besuch Hygienevorkehrungen treffen, was das Tragen einer gut sitzenden Maske, das Einhalten eines gegenseitigen Abstands von mindestens 2m, sowie das Abhalten im Freien oder an einem gut gelüfteten Ort einschließt.

Ein Beispiel: Eine vollständig geimpfte Person besucht einen nicht vollständig geimpften Freund, 70 Jahre alt und deshalb mit erhöhtem Risiko für einen schweren COVID-19 Verlauf. Dieser Besuch sollte im Freien stattfinden; gut sitzende Masken sollten getragen werden; der gegenseitige Abstand von mindestens 2m sollte eingehalten werden. Das gilt auch für Treffen von vollständig geimpften Personen mit Ungeimpften bzw. nicht vollständig Geimpften aus mehreren Haushalten (siehe kleine illustrierende Grafik – die „6“ bedeutet 6 amerikanische „feet“, entspricht ca. 2m).

Was hat sich denn sonst nicht geändert, wenn man geimpft ist oder das dann einmal sein wird?

So empfiehlt es derzeit die CDC:

  • „Weiterhin sollten Sie Schritte unternehmen, um sich und andere in vielen Situationen zu schützen. Dazu gehören das Tragen einer Maske, das Einhalten des Sicherheitsabstands von mindestens 2 Metern von anderen, sowie das Vermeiden von Menschenansammlungen und schlecht gelüfteten Räumen. Wenden Sie diese Vorkehrungen an, wenn

    • Sie sich in der Öffentlichkeit befinden;

    • Sie sich mit ungeimpften oder nicht vollständig geimpften Personen aus mehr als einem anderen Haushalt treffen;

    • Sie eine ungeimpfte oder nicht vollständig geimpfte Person treffen, die erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID-19 Verlauf besitzt, oder die mit einer solcherart gefährdeten Person zusammenlebt.

  • Weiterhin sollten Sie mittelgroße oder große Menschenansammlungen meiden.

  • Weiterhin sollten Sie Inlands- und Auslandsreisen aufschieben. Wenn Sie reisen, dann müssen Sie weiterhin die entsprechenden Regeln und Empfehlungen der CDC

  • Weiterhin sollten Sie auf typische COVID-19 Symptome achten, insbesondere, wenn Sie in der Nähe einer erkrankten Person waren. Wenn Sie COVID-19 Symptome bei sich selbst bemerken, lassen Sie Sich testen, bleiben Sie zuhause und halten Sie Sich von andern fern.

  • Weiterhin sollten Sie Sich an die entsprechenden Anweisungen Ihres Arbeitsplatzes halten.

Wir wissen noch lange nicht alles, auch wenn das in den Medien in der Unmenge an Berichten oft so klingen mag. Was gibt es noch zu lernen, insbesondere in klinisch-epidemiologischer Forschung?

  • Wir sind immer noch dabei, zu lernen, wie wirkungsvoll die Impfstoffe gegen Varianten des COVID-19-verursachenden Virus wirklich sind. Erste Daten zeigen, dass die Impfstoffe gegen einige Varianten wirken, gegen andere aber möglicherweise weniger gut.

  • Wir sind immer noch dabei, zu lernen, wie gut die COVID-19 Impfstoffe die Weitergabe des Virus von Mensch zu Mensch wirklich verhindern können.

  • Wir sind immer noch dabei zu lernen, wie lange die COVID-19 Impfstoffe wirklich schützen. (Logisch, COVID-19 hat ja erst vor anderthalb Jahren „begonnen“.)

Aus den Empfehlungen für TRIQ (Testen/Rückverfolgen = Contact Tracing/Isolieren/Quarantäne) der CDC. Vorsicht, das gilt für die USA, nicht für Österreich (leider!)

Für vollständig Geimpfte mit COVID-19 Symptomen

Obwohl das Risiko für vollständig Geimpfte, an COVID-19 zu erkranken sehr klein ist, sollten Symptome, die vereinbar mit COVID-19 sind, abgeklärt werden, einschließlich eines Tests auf SARS-CoV-2.

Für vollständig Geimpfte ohne COVID-19 Symptome oder COVID-19 ähnliche Symptome nach einer Exposition

Vollständig Geimpfte ohne solche Symptome brauchen sich nach Kontakt mit einer Person mit COVID-19 nicht in Quarantäne zu begeben und müssen auch nicht auf SARS-CoV-2 getestet werden. Das Risiko wird als dafür zu gering angesehen. Vollständig Geimpfte sollten sich in so einem Fall allerdings 14 Tage lang auf Symptome von COVID-19 beobachten. Falls solche Symptome auftreten, sollten sie sich in Selbst-Isolation begeben und auf COVID-19 abgeklärt werden, einschließlich eines Tests auf SARS-CoV-2.

Für vollständig Geimpfte in gemeinsamen Unterkünften, die auch nicht im weitesten Sinn der medizinischen Versorgung dienen („non-healthcare congregate settings“)

Vollständig Geimpfte in gemeinsamen Unterkünften wie Gefängnisse, Obdachlosenasyle oder Gruppenwohnungen sollten nach Kontakt mit einer Person mit COVID-19 sich für 14 Tage in Quarantäne begeben und auch auf SARS-CoV-2 getestet werden. Das gilt deshalb, weil in solchen Unterkünften ein häufiger Wechsel eher die Regel ist und ein höheres Risiko für eine Übertragung gegeben ist. Weiters bestehen dort Schwierigkeiten, den Empfehlungen, genügend Abstand zu wahren nachhaltig zu entsprechen.

Für vollständig geimpfte Angestellte in gemeinsamen Unterkünften, die auch nicht im weitesten Sinn der medizinischen Versorgung dienen („non-healthcare congregate settings“)

Vollständig geimpfte Angestellte in solchen Unterkünften (aber auch in verdichteten Arbeitsplätzen, wie z.B. Fleisch und Geflügel verarbeitende Industrie) ohne COVID-19 Symptome oder COVID-19 ähnliche Symptome müssen sich nach Kontakt nicht in Quarantäne begeben; sehr wohl aber wird die Testung empfohlen; durchaus im Rahmen der für bestimmte Berufsgruppen vorgesehenen häufigen Testungen.

Herzliche Grüße

Robert“

Sie können daraus ersehen, dass mein Schulkollege sich derzeit nicht an den österreichischen Gesetzen orientieren muss. Eindringlich ergänzen muss ich auch, dass die Empfehlungen der CDC nicht Bezug nehmen auf Konstellationen im medizinischen System, einschließlich der Pflegeheime und deren Angestellte. In Österreich stehen neue Regeln in den Pflegeheimen nach den Impfungen dringlich an. Die Kolumne wird vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt darüber berichten. Seit Rochelle Walensky die CDC übernommen hat, habe ich wieder großes Vertrauen in diese Institution. Kenne Rochelle Walensky aus der HIV-Arbeit, sie ist HIV-Epidemiologin, eine bewundernswerte Persönlichkeit!« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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