Ich muss die Kolumne mit mir verhandeln

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 369

Armin Thurnher
am 20.03.2021

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Haben Sie es geahnt? Sie kennen die Keks-Werbung: „Wenn ich doch nur aufhören könnte!“ Napoli Dragee-Keksi. Dieses österreichische Lebensgefühl ist zur Parole des digitalen Lebens geworden, Politikerinnen ausgenommen. Der Suchtfaktor der Jammerlappen, aka Gebrauch [ Usus, nein, nicht Usura] der sogenannten Sozialen Medien zerstört mehr als man denken möchte. Ich sehe sie vor mir, die angekratzten Beziehungen, in denen sich Partner oder meistens die Männer, User genannt, ausgenutzte Nutzer, abgenützte Nichtnutze, mühsam von ihren Smartphones losreißen, um einmal ein Wort mit der Partnerin zu wechseln. Ich erinnere mich, Bekenntnisse gelesen zu haben, dass Männer sich mit dem Smartphone aufs Klo flüchteten, nicht nur um mit sich Sex zu haben, mit Hilfe des Smartphones, nein, schlimmer, um mit dem digitalen Partner ungestört reden zu könne.

Fast hätte ich geschrieben, ungestört verhandeln zu können, das ist dieses neue Modewort, „verhandeln“, das einem von besonders fortschrittlichen Moderatorinnen zwischen die Ohren gerammt wird. Man muss Beziehungsfragen verhandeln, die korrekte Art, die Hand in die Hosentasche zu stecken oder auch die richtige Weise, Marmelade einzukochen, alles wird verhandelt, wobei Marmelade in Österreich übrigens Konfitüre heißt, wir müssen das nun mit dem Volksmund verhandeln, welcher irrigerweise annimmt, Marmelade sei österreichisch, während doch in der NS-Zeit die Männer aus dem Altreich (Frauen gab es damals keine) als Marmeladinger veräppelt wurden, was wiederum unverhandelbar österreichisch ist, obwohl es total reichsdeutsch klingt.

Also kurz gesagt, ich kann mich vom Schreiben nicht losreißen, was etwas anderes ist, aber doch auch mit dem digitalen Unwesen insofern verknüpft ist, als es jetzt diese Kolumne gibt, die Ihnen automatisch in die Mailbox serviert wird, wenn Sie sie – hat Sie gerade das Gewissen gebissen? – brav abonniert und brav weiterempfohlen und damit zu ihrem Fortbestand beigetragen haben.

Manche von Ihnen suggerieren mir nun, sie seien nicht nur am Fortbestand der Kolumne interessiert, Sie bestünden vielmehr auf ihrem täglichen Erscheinen, weil das Ihren Tag retten würde. Das ist eine wunderbare, aber für mich auch erschreckende Vorstellung, denn ich bin froh, wenn ich meine eigenen Tage retten kann, wie soll ich mich auch noch um das Tagewerk anderer kümmern?

Ich muss, nur damit sie eine Ahnung bekommen, den Tag um sechs Uhr mit einem Zweizeiler beginnen, der Herrn Sobotka zum Rücktritt auffordert, diesen parteiischen Flecken an der Spitze des Nationalrats, der das Ansehen unserer Demokratie mit sich selbst versieht, was ein kaum mehr reparables Versehen darstellt und nicht zu ihrem Ansehen gereicht. Natürlich ist das nicht wahr, wie Sie gleich durchschaut haben, ich schreibe diesen Zweizeiler am Vorabend, meistens hat er einen aktuellen Bezug, wenn sich Sobotka in seiner Rolle als Destructivus Austriacus irgendwie bemerkbar macht; neuerdings hält er oft still, gewiss aus Angst vor diesen tödlichen Zweizeilern, tödlich natürlich nur metaphorisch gesprochen, in Wirklichkeit tun sie ihm nichts, er tut so, als täten sie ihm nichts, dabei beginnt er, digitalisierter Schramböck-Knecht der er ist, seine Tage mit dem Aufruf des Browsers, der Kontrolle des Kurznachrichtendienstes und dem grimmigen Blicke auf den neuen Zweizeiler, den er, mit seinen beträchtlichen Backenmuskeln knackige Geräusche absondernd, zur Kenntnis nimmt. Das ist schlecht für den Zahnschmelz, Herr Sobotka, unterlassen Sie das, treten sie einfach reibungslos zurück und wir sind einander wieder wurscht.

Gut, ich gebe also zu, die Scheduling-Funktion meines Kurznachrichtendienstprogramms erledigt den Sobotka für mich, aber zugleich erledigt der Kurznachrichtendienst mich, indem er mich an sich bindet und mich dazu zwingt, zu schedulen, zu tweeten, mich zu kontrollieren und zu optimieren, andere zu observieren, nach Likes zu gieren, Feinde zu ruinieren, Freunde zu ignorieren, Zustimmung abzustieren, Ärger zu provozieren, also kurz, ihn, den Kurznachrichtendienst gratis mit meinen Ideen zu beliefern, deren bisweilige Mattigkeit mich ebenso deprimiert wie Sie, falls sie es einmal überprüfen und dabei meine Engagement-Rate heben möchten, worauf ich dann trotzig ein Gedicht der #tanteelfi einschiebe, einen sogenannten Limerick, dessen Versstruktur die meisten Menschen ebenso wenig durchschauen wie jene des Haiku, in der sich auch recht viele versuchen.

Darüber kann ich jetzt nicht lange nachdenken (vielleicht sollte Tante Elfi Limerick-Wochenend-Seminare anbieten, Teilnahmegebühr die Zahl der verwendeten Silben mal hundert, Kost und Logis inklusive?), denn als nächstes muss ich im Frondienst diese Kolumne posten, damit sie rechtzeitig zum Frühstück bei Ihnen ist.

Wer sagt, dass das so sein muss? Wer legt die Länge fest? Die Sucht im Doppelpack mit der Gewohnheit. Ich muss Kaffee machen, Holz holen, zwei Öfen heizen, den Kater füttern und mit Medizin versehen, manchmal Schnee schaufeln, das Morgengedicht Claus Pándis beantworten (über unseren Poetry Corner ein andermal, glauben Sie ja nicht, das sei so gefiederter dahergeblasener und dahinfliegender Leichtsinn und Jux! Das ist schwere Arbeit!).

Okay, und Sie verlangen, ich soll damit auch nach Jahr und Tag am Samstag und am Sonntag fortfahren? Schauen wir, was mir dazu einfällt. Und Sie schauen, dass Sie fünfstellig werden. Sonst!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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