Frau Salomons Gespür für aggressive Faktenverdrehung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 355

Armin Thurnher
am 07.03.2021

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Wer sich in Social Media begibt, kommt darin um. Vielleicht kann man es sich nicht ersparen. Vielleicht hätte ich es mir in meinem Alter ersparen können. Facebook zum Beispiel. Soll ich auch noch auf Facebook gehen? Meine Frau und meine Freunde schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Dass ich es bisher aus moralischen Erwägungen unterlassen habe, mich dort einzuschreiben, und nur als Fremder ab und zu Einschau halte, wird ja von niemandem gewürdigt.

Kürzlich schaute ich wieder einmal auf Facebook nach, weil sich dort Merkwürdiges begab. Martina Salomon, die Chefredakteurin des Kurier, kommt nicht von ihrer Ansicht weg, die Abschiebung der armenischen Kinder bei Nacht, Nebel und Hundegebell sei zur Rettung und zur höheren Ehre des österreichischen Rechtsstaats geschehen.

Kollege Klenk, ihr Kollege als Chefredakteur und mein Kollege als Chefredakteur des Falter, regte sich über ihre Formulierung in diesem Zusammenhang zu Recht auf.

Salomon hatte geschrieben:

„Man erinnere sich an die (berechtigte) Kritik, die der flapsige Umgang des Kanzlers mit dem Verfassungsgerichtshof erzeugte. Da war die Justiz heilig – vor allem jenen, die jetzt zum offenen Rechtsbruch aufrufen. Aber es ist brandgefährlich, geltendes Recht gegen ,gesundes Volksempfinden‘ zu tauschen und Urteile je nach Social-Media-Aufregung zu fällen. Besser ist ein funktionierender Rechtsstaat.“

Salomon insinuierte damit drei Dinge.

Erstens: Alle, die gegen diese Abschiebung protestieren, tun dies nicht auf der Basis des Rechtsstaats, sie setzen vielmehr ihr Gefühl gegen diesen. Sie wollen, statt auf Basis des Rechts solle auf Basis „gesunden Volksempfindens“ entschieden werden.

Zweitens, der von diesen Protestierenden auf Social media entfachte Gefühlssturm habe das Ziel, eine rechtlich unanfechtbare Entscheidung des Innenministers zu Fall zu bringen, sozusagen emotionale Lynchjustiz zu üben, Gefühlsfaschismus.

Drittens, wer sich in der Berichterstattung auf ihre Seite schlage (Klenk war als einer der ganz wenigen Journalisten am Ort der Abschiebung und berichtete empört über Empörendes), sei kein Journalist, sondern Aktivist.

Mit Recht (und vielleicht etwas überbordend) reagierte Klenk darauf. Denn Salomon wusste nicht oder unterschlug absichtlich, dass es sich bei der Frage, ob die Abschiebung geboten sei, sehr wohl um eine offene Rechtsfrage handelte. Zahlreiche angesehene Juristinnen und Juristen wiesen in der Folge darauf hin, dass die Abschiebung nicht einer Notwendigkeit des Rechtsstaats geschuldet war, sondern einer Entscheidung des Innenministers. Der Rechtsstaat hätte auch andere Entscheidungen zugelassen.

Links Statement Martina Salomons aus dem Kurier-Newsletter, von ihr selbst auf Facebook zitiert (Unterstreichung von ihr), rechts Florian Klenk im Gespräch mit Peter Plaikner, in: Österreichs Journalist:in (beides Ausschnitte, Screenshots von Facebook)

Salomon exkulpierte damit den Innenminister und indirekt den Kanzler – den sie verräterischerweise zitierte – vom Verdacht, sie hätten die Abschiebung gesetzt, um mit ihrer harten Haltung in Migrationsfragen von ihren weichen Stellen bei der Frage von Postenbesetzungen, Vertuschungen und Spenden abzulenken. Abschiebung, vor Schiebung geschoben.

Statt zur Kenntnis zu nehmen, dass höchstens Rechtsansicht gegen Rechtsansicht stand, wenn nicht ihre Kanzler-Rechtfertigung gegen Klenks Rechtsansicht, denunzierte Salomon den emotionalen Protest gegen die Abschiebung und die Empörung Klenks und vieler anderer als Ausdruck „gesunden Volksempfindens“ unterschlug den rechtlichen Aspekt, der schnell klar war, als – um nur zwei des Volkspopulismus unverdächtige Juristen zu nennen – Ex-Justizministerin Maria Berger und Verfassungsjurist Heinz Mayer ihren sich mit dem Klenks deckenden Standpunkt geäußert hatte: es gab keine zwingende Rechtsgründe, abzuschieben. Es war die Willkür des Innenministers, sein Bestemm, mit einer inhumanen Migrationspolitik Popularitätspunkte zu machen, der zur Abschiebung führte, nicht rechtlicher Zwang.

Klenk, in einem Interview mit der Zeitung formerly called Der österreichische Journalist, nunmehr Österreichs Journalist:in vor kurzem danach befragt, reagierte darauf noch einmal, indem er den Vorwurf des „gesunden Volksempfindens“ dorthin tat, wohin er gehört: in die Sphäre der Naziideologie. Er tat dies für meinen Geschmack eine Spur zu vehement. Der Begriff „gesundes Volksempfinden“ ist in der Tat seit jeher Bestandteil konservativer Weltanschauung. Jedoch auch jemand wie Frau Salomon, die gewiss die Unwissenheitsvermutung für sich in Anspruch nehmen darf, könnte wissen, dass erst die Nazis diesen Begriff zum Rechtsbegriff machten. Führend dabei war der Blutrichter Roland Freisler. Frau Salomon ist dennoch des Nazismus unverdächtig.

Sie weiß also vielleicht nicht genau, was sie tat, als sie Klenk unterstellte, in Namen des „gesunden Volksempfindens“ gegen den Rechtsstaat mobil zu machen, während Klenk ja genau das Gegenteil tat: er verteidigte den Rechtsstaat gegen die Attacken der Herren Nehammer und Kurz, und er weiß, was „gesundes Volksempfinden“ bedeutet und welche Rechtsgeschichte es hat.

Der Interviewer Peter Plaikner fragte Klenk: „Sie hatten sich aber bereits davor ganz klar via Social Media positioniert.“

Klenk antwortete: „Ja. Aber juristisch begründet. Ich nenne die bürgerlichen Kommentatoren auch nicht ,Aktivisten‘. Doch wenn eine Kollegin vom ,gesunden Volksempfinden‘ schreibt, weiß ich: Das ist Freisler und Volksgerichtshof. Darauf habe ich repliziert mit ,Jetzt haut es ihr langsam den Vogel raus‘. Damit meine ich: Jetzt übertreibt sie den – wenn Sie so wollen – Regierungs-Aktivismus. Das ist Teil einer ganz normalen Auseinandersetzung. Als ich bemerkt habe, dass auf Facebook begonnen wurde, sie deshalb ordinär zu beschimpfen, habe ich das Posting gelöscht.“

Statt aber Klenk vorzuhalten, er habe mit dem Vorwurf „Freisler“ zu heftig reagiert, wirft Martina Salomon ihm nun auf Facebook vor, er habe ihr die Worte im Mund verdreht. Sie schreibt:

„So wird man bewusst faktenwidrig vom Falter-Chef mit strafrechtlich relevanten Vorwürfen seiner Twitter-Meute vorgeworfen. Er hat hier abermals meine Aussage schlicht ins Gegenteil verkehrt. Warum wird er eigentlich im ORF und im Branchenblatt Journalist:in ständig hofiert? In diesem Interview wird nicht einmal nach dem Originalzitat gefragt. Journalismus? Eher nicht! Zum Vergleich: mein Originalzitat. Eigentlich ein Fall für den Presserat.“

Nur hat Klenk überhaupt nichts verdreht. Er hat Frau Salomon bloß an jenen Kontext erinnert, in den sie den Protest der von ihr nun so genannten „Twitter-Meute“ stellte. Zur Erinnerung Salomon im Original:

„Aber es ist brandgefährlich, geltendes Recht gegen ,gesundes Volksempfinden‘ zu tauschen und Urteile je nach Social-Media-Aufregung zu fällen. Besser ist ein funktionierender Rechtsstaat.“

Was ist da „bewusst faktenwidrig“? Hat nicht Frau Salomon genau hiermit Klenk vorgeworfen, gesundes Volksempfinden walten lassen und dieses an Stelle des Rechtsstaat setzen zu wollen? Beabsichtigte sie nicht, ihn damit als Verteidiger des Rechtsstaats lächerlich zu machen und ihn als „brandgefährlichen“, gefühlsgetriebenen Aktivisten zu denunzieren? Und hat er nicht darauf derb, aber korrekt geantwortet?

Es fällt ihr nichts Besseres ein, als die Antwort Klenks mit dem Vorwurf der Faktenwidrigkeit zu kontern, womit sie selbst eine flagrante Tatsachenverdrehung begeht. Dieser Versuch primitiver Schuldumkehr greift nicht, wir sind ja nicht bei Trumps.

In ihrer Facebook-Äußerung zeigt sich Frau Salomon als schwache Stilistin, aber als starke Denunziantin. Man weiß ja, aus welcher Schule sie plaudert. Da sie zur medialen Machtbasis des Kanzlers gehört, hat ihr Zuruf an den ORF und das Branchenblatt schon etwas von einem Machtwort: passt auf, wen ihr da bringt, der Macht gefällt das gar nicht!

Ihre Aufforderung an den Presserat fällt recht halbherzig aus, denn Frau Salomon scheint zu spüren, dass sie sich mit ihrem Denunziations-Posting dieser Institution selbst als Fall  aufdrängt.

Dabei genügt es als Strafe, dass sie nicht nur von der Geschichte des Begriffs „gesundes Volksempfinden“ wenig weiß, sondern das Adverb „eigentlich“ so frisch gebraucht, als hätte sie vom Jargon der Eigentlichkeit noch nie gehört.

Mit voller Wucht wirft sich die Kurier-Chefredakteurin samt einem Rattenschwanz auf Facebook herbeieilender Clacqueure (die naturgemäß von der Beschimpfung bis zur Morddrohung gegen Klenk das übliche Repertoire aufbieten) unbewusst faktentreu ins Messer der Kritik. Ich bin nicht blutrünstig und ziehe es zurück, damit sie sich nicht weiter selbst verletzt. Habe auch keine Meute zur Verfügung, die ich auf sie loslassen könnte. Muss sonntags einsam kläffen.

Für ihr Problem, andere der eigenen Schwäche zu überführen und sie dafür zu auch noch zu bedrohen, fehlt mir als bekanntem Rohling allerdings jedes Empfinden.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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