Sebastian Kurz als Briefschreiber. Zur Sprache des Kanzlers

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 343

Armin Thurnher
am 23.02.2021

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Wir leben in Zeiten der Schnellanalyse. Kaum kommt ein Schriftstück in die Welt, ist es schon als PDF reproduziert, mit Kommentaren aller Art gesäumt, aufgetrennt, neu zusammengehäkelt, gedreht, gewendet und in Grund und Boden analysiert. Die Kunst der Kritik verkommt dabei zu einer Art Blitzmesser-Wettbewerb, den gewinnt, wer schneller das Faschierte aufträgt, mit Olivenöl, Worcester-Sauce, Tabasco, Senf, Kapern, Paprika, Schalotte und Pfeffer gewürzt, mit einem rohen Ei versetzt, da steht es schon vor uns, das gute alte Beef Tartare, mit einem Gurkerl und einem feinen Stück Toast!

Die neuen Tartaren der Blitzkritik sind aber alle Veganer, dieser Vergleich würde sie empören. Nehmen also auch wir etwas bedächtiger den Brief des Sebastian zur Hand. Man kann noch nach zwei Tagen das eine oder andere an ihm bemerken. Er richtete sich an die Öffentlichkeit und nicht an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatanwaltschaft. Es war ein offener Brief. Es war ein offenes Kunstwerk. In dem Sinn, dass es nicht einen Absender hat, sondern viele. Und es nicht an einen Adressaten gerichtet ist, sondern an uns alle.

„Briefe gehören unter die wichtigsten Denkmäler, die der einzelne Mensch hinterlassen kann“, sagt Goethe einmal zu Eckermann. Was hätte er wohl gesagt, hätte er erfahren, dass hier nicht einer schreibt, sondern gleich ein paar Dutzend Message-Controllore, die aber versuchen, ihre Vielzahl hinter der einen Person zu verbergen, die da vorgibt zu schreiben, sodass wir den Eindruck haben sollen, hier teile uns einer „seine innersten Gesinnungen“ mit. Auf die Idee, dass einer keine solchen haben könnte, kam Goethe nicht.

Dennoch ist diese 60-Message-Zwergen-Masse imstande, uns ein Charakterbild der einen Charaktermaske zu geben, die vorgibt, zu uns sprechen oder vielmehr, die sie zu uns sprechen lassen, und zu uns sprechen sie, indem sie sich scheinbar an die Damen und Herren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Dampfschiffstraße 4, wenden: „In den letzten Tagen wurden Gernot Blümel, die ÖVP und auch ich persönlich medial mit einer Reihe von falschen Vorwürfen konfrontiert.“

Warum, fragen wir uns, sagt er das dann den Damen und Herren von der WKStA und nicht den Medien, wenn er doch „medial konfrontiert“ wurde? Und was sind „falsche Vorwürfe“? Sind das Vorwürfe, die an sich richtig sind, aber auf falsche Weise erhoben werden? Vorwürfe, die nicht zutreffen, können nicht gemeint sein, so viel Sprachvermögen ist dem Kanzler und seinen Kontrollzwergen zuzutrauen. Und was heißt, er wurde damit konfrontiert? Wurden sie ihm nur gleichsam vorgesetzt, diese rätselhaften falschen Vorwürfe, oder wurden sie ihm gemacht, wurden sie gar gegen ihn erhoben?

Gernot Blümel, der ÖVP und ihm selbst wurde also in den Medien auf falsche Weise etwas entgegengesetzt, das zutreffen könnte oder auch nicht. Das Zwergenkollektiv muss selbst das Ungenügende dieser Formulierung gespürt haben, denn es hebt nun zu einem weiteren, ebenso verblüffenden Satz an:

„Nachdem Akten der WKStA mit unrichtigen Annahmen, aber auch fehlerhaften Fakten nicht nur die Basis eines Verfahrens darstellen, sondern diese auch an die Öffentlichkeit gelangt sind, haben diese im In- und Ausland zu massiver medialer Berichterstattung geführt.“ Dieser Satz weist die Komplexität einer Passage aus einem Hauptwerk des Königsberger Philosophen auf, freilich ohne dessen stilistische Höhe zu erreichen; er ist vielmehr auf den ersten Blick sprachlich so stümperhaft, dass man ihn, anders als Kant, kaum übersetzen kann.

Die Schwierigkeiten beginnen damit, dass „nachdem“, eine temporale Konjunktion, hier offenbar kausal gebraucht wird. Der Kern der Aussage könnte ja so übersetzt werden: „Akten bilden die Basis eines Verfahrens. Sie sind in die Öffentlichkeit gelangt. Darüber wurde berichtet.“ Wäre da eben nicht das kausal missbrauchte „nachdem“.

Kurz & Zwerge erweisen sich mit solchen bewussten Missgriffen als Meister der Täuschsprache, des NVP-Sprech. Sie verwirren uns mit einfachsten Mitteln des Nonsens und steigern sowohl unsere Aufmerksamkeit als auch unser Entsetzen und unseren Ärger. Denn der Satzwurm trägt zwei Drachenkinder im Bauch: die „unrichtigen Annahmen“ und die „fehlerhaften Fakten“. Hirnzwirbelnd ist, was damit gesagt wird. „Unrichtige Annahmen“ soll bedeuten, die Staatsanwaltschaft arbeite mit bloßen Vermutungen, die zudem nicht zuträfen. Als wären Annahmen im prozessualen Spiel überhaupt akzeptabel. „Falsche Fakten“ ist von ähnlicher Qualität: naturgemäß kann nur als Faktum bezeichnet werden, was eben gilt, was also in seiner Faktizität als richtig festgestellt wurde. Allenfalls kann ein Verfahren ermitteln, ob Fakten relevant oder irrelevant, ob Behauptungen wahr oder falsch sind.

Versuchen wir ein zweites Mal eine Übersetzung, sieht der Satz so aus: „Weil Akten voller Blödsinn die Basis des Verfahrens darstellen und in die Öffentlichkeit gelangt sind, gab es viel Medienaufmerksamkeit.“ Oder auch: „Weil etwas öffentlich wurde, erhielt es öffentliche Aufmerksamkeit.“  Diese Medienaufmerksamkeit hätte es in noch stärkerem Ausmaß gegeben, wären die Akten voller stichhältiger Beweise. Es könnte ja sein, dass genau das der Fall ist. „Vorwürfe“ kann man, lieber Kanzler & Zwerge, nämlich nicht „klarstellen“, man kann sie allenfalls entkräften, wenn man kann.

Dass Kurz & Zwerge nach all dem Geschwurbel, das man ohne Zweifel als unrichtig und fehlerhaft bezeichnen muss, sich nicht genieren, glatt zu lügen, wundert nun wohl niemanden mehr.

Kurz & Zwerge schreiben: „Ich bin der Meinung, dass Ermittlungen unabhängig durch die Justiz durchgeführt werden sollten und ich würde mich deshalb auch nie öffentlich in ein Verfahren einmischen. Da aber in diesem konkreten Fall fehlerhafte Fakten und falsche Annahmen der WKStA an Medien gelangt sind, bin ich nun seit über einer Woche täglich mehrere Stunden beschäftigt, Medienanfragen aus dem In- und Ausland zu diesen falschen Anschuldigungen zu beantworten.“

Ich würde mich nie einmischen, aber einmal ist keinmal, und nun mische ich mich doch ein, obwohl ich Besseres zu tun habe. So sprechen Kurz & Zwerge, um gleich darauf zu vergessen, wer sie sind und wie sie heißen: „Fehlerhafte Fakten und unrichtige Annahmen aus Ihren Akten, die an die Öffentlichkeit geraten, sorgen im In- und Ausland nicht nur für einen Reputationsschaden für die betroffenen Personen, sondern führen vor allem im Ausland auch zu einem Reputationsschaden für die Bundesregierung und damit für die gesamte Republik Österreich.“

Ja, das Ausland, wo einst die stolze Bildzeitung vom Corona-Klartext-Kanzler schwärmte, steht nun verdattert vor einem hilflos schwurbelnden Einmischkanzler, dessen Zwergensprech nicht mehr klingt wie Klartext, sondern wie gebrochenes Deutsch. Wer hier mit seinen Angriffen auf die Justiz „Reputationsschaden“ anrichtet, bedarf keiner weiteren Ausführung.

Es steht nicht gut um die innersten Gesinnungen des Kurz-Kreises. Der Kanzler sollte dort seine Feinde suchen, nicht bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Die WKStA kann besser formulieren. Zum Glück für Kurz & Zwerge gibt es keine Sprachstaatsanwaltschaft. Die hätte ihn und seine Freunde vom Message-Control-Salon wegen erwiesener Unfähigkeit schon längst aus dem Verkehr gezogen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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