Was ist da los? Die Regierung ist bei Corona weiterhin planlos.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 342

Armin Thurnher
am 22.02.2021

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Die dritte Welle (oder so) kommt, oder sie ist schon da. Was wäre zu tun, fragt Epidemiologe Robert Zangerle und nennt die Tatsache, dass  Regierung ihr Handeln vor allem auf die Belegung der Intensivstationen abstellt, unverantwortlich. Teil 2 und Schluss des gestern begonnenen eines Zweiteilers.   A. T.

»Was ist jetzt das Problem? Die Fallzahlen sind vor allem seit dem unseligen „2. Lockdown“ (verspätet und zu kurz) nie auf Werte gefallen, bei denen TRIQ (Testen/Rückverfolgen/Isolieren/Quarantäne) ausreichend gut funktionieren kann. Zu diesem Zweck allein wären weniger als 50 neue Infektionen pro 100 000 (entsprechend 645 neuen Diagnosen täglich) innerhalb 7 Tagen („7-Tagesinzidenz“) unbedingt notwendig. Nun aber, mit den infektiöseren Varianten von SARS-CoV-2, werden von vielen Seiten strengere Ziele angestrebt.

Aber nicht nur das. Es gälte vor allem, eine europaweite Eliminierungsstrategie zu verfolgen, die auf drei Säulen aufbaut: Impfungen, Reisebeschränkungen zwischen und innerhalb von Ländern sowie erweiterte Strategien für TRIQ und (Massen)-Testungen (z.B. für Schulen und Berufsgruppen). Zu den Reisebeschränkungen zwischen und innerhalb von Ländern gehörten Tests, maximal 24 (nicht 48 wie jetzt!) Stunden alte Tests vor der Reise und 7-10 Tage danach. Quarantäne für alle aus Gebieten mit hohem Infektionsgeschehen oder mit Vorkommen verdächtiger Varianten, zu denen jedenfalls B.1.1.7, B.1.351 und P.1 gehörten. Die Beschränkungen der österreichischen und deutschen Regierung für Tirol die Ein- und Ausreise betreffend sind also im Sinne dieser Initiativen.

Bisher glänzte die österreichische Regierung nicht mit Initiativen für Europa, weder bei den Gesprächen von Bill Gates mit der EU im April und Mai 2020, noch in einer Antwort auf Warp Speed der USA und natürlich auch nicht in der Impfstoffbeschaffung. Zugegeben, das war „früh“ in der Epidemie, zu einer Zeit, als sich Österreich ständig selber auf die Schulter klopfte. Aber später wurde es nicht besser. Der Hilfeschrei der finnischen Ministerpräsidentin, Sanna Mari, wurde nicht einmal ignoriert. Jetzt im Februar, wo Europa und speziell Deutschland, unabhängig von den jeweiligen Maßnahmen, vor „Lockerungen“ warnen, stellt sich Österreich mit seinem konzeptlosen Köchelkonzept „mutig“ dagegen. Tirol will da nicht nachstehen und sperrt sich trotzig gegen die Absicht, das Infektionsgeschehen in Tirol gemeinsam mit dem European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zu überwachen. Das ist schon sehr kurzsichtig, weil Tirol dabei nur gewinnen und so ganz nebenher sein Image aufpolieren könnte.

Ich sehe da Handlungsbedarf für den Bund, der Tirol neuerlich zu seinem Glück zwingen müsste. Detailliertes Wissen ist nicht nur für die öffentliche Gesundheit unabdingbar, die weitere Entwicklung in Tirol ist auch weltweit von großer wissenschaftlicher Bedeutung. Wie gelingt es, die beiden Varianten einzudämmen? Setzt sich die Virusvariante B.1.1.7 auch gegenüber der Variante B.1.351 durch? Der Informationsfluss des Landes Tirol befremdet unverändert. So berichtet der Live Blog der Tiroler Tageszeitung am 20. Februar, dass bei Proben aus der Kläranlage Strass im Zillertal bereits am 21. Jänner gehäuft B.1.351 gefunden worden sei, während der sehr schön aufbereitete, 29-seitige Bericht des ECDC vom 15. Februar von 70% spricht (Referenz 20).

Den letzten Empfehlungen der Corona Kommission vom 18. Februar  kann man entnehmen, dass der Anteil an mit der Mutation N501Y-positiven Fällen an der 7-Tages-Inzidenz in Wien bereits bei 51%, in Niederösterreich bei 50%, in Tirol bei 61%, im Burgenland bei 72% und in Salzburg und Oberösterreich über 40% liegt. Letztere Werte dürften auch für Kärnten und Steiermark zutreffen. Die einzige Ausnahme ist Vorarlberg, dort sind Virusvarianten eine Seltenheit, und auch nicht in den Abwässern zu finden. Das Vorliegen der Mutation N501Y hat derzeit einen hohen prädiktiven Wert für das Vorliegen einer Infektion mit einer der 3 besonderen Virusvarianten. So ähnlich ist es, wenn man während einer Grippeepidemie plötzlich Fieber und Malaise kriegt, dann wird es schon die Grippe sein. Aber Monate später sprechen die gleichen Symptome kaum für eine Grippe. Bei N501Y ist eine Aminosäure im Spike-Protein ausgetauscht: Statt einem Asparagin (N) sitzt dort jetzt ein Tyrosin (Y). Wenn ich ein bisschen im Kaffesud lesen darf, so würde ich das fortgesetzte Absinken der 7 Tagesinzidenz in Vorarlberg für sehr real halten, ebenso den Anstieg im Burgenland, in Niederösterreich und Wien. Selbst der schwache Anstieg Tirols ist mit Argusaugen zu sehen.

Tirol testet durchschnittlich, wie Wien, aber deutlich weniger als Vorarlberg. Steigt B.1.1.7 im gesamten Tirol stärker als B.1.351, weil letztere immer noch lokal begrenzter vorkommt? Noch eine, vielleicht nicht so leicht zu verstehende, Einschätzung der derzeitigen Situation: trotz der Rolle, die die Virusvarianten bereits spielen, wird ihr Einfluss möglicherweise überschätzt; damit aber werden gleichzeitig die Folgen eines allgemeinen Infektionsanstiegs in ein paar Wochen gefährlich unterschätzt. Herr Minister Rudolf Anschober, da kommen wir wohl schon wieder in eine entscheidende Phase! Wem der Begriff „Welle“ als Metapher (nicht nur „Lockdown“) nicht so behagt, weil irreführende Metapher, findet hier vielleicht einen Ausweg.

Aber zurück zum Verhalten Österreichs. Was plant die Regierung? Worauf gründet die Regierung ihre Entscheidungen? Das einzige, worauf sie ihre Entscheidungen basiert, ist die Auslastung der Intensivstationen, die liegt aktuell bei 13,1%. Auch der Zielwert dieser Maßgrößen von kleiner als 10% wurde nicht erreicht, aus Sicht der Entscheidungsträger ist die Differenz halt nicht so groß. Immerhin ist es ein nahezu identischer Wert wie bei der höchsten Auslastung im Frühjahr (8. April). Dieses Beharren auf der Belegung der Intensivstationen als zentralem Indikator (natürlich muss man diese immer im Auge behalten!) ist einfach zutiefst inhuman für Kranke, Angehörige und medizinisches Personal, weil die Intensivstation einerseits als Flaschenhals die damit assoziierte enorme Last drumherum ausblendet und andererseits ein Aufenthalt dort häufig längerfristige Folgen zeitigt.

Darüber hinaus ist das brandgefährlich für die kommenden Wochen, weil die Sterblichkeit der 3. Welle kleiner ausfallen könnte (die Vulnerabelsten besser geschützt, durch Impfung und Testen des Personals), aber die Auslastung der Intensivstationen davon nicht tangiert werden wird. Die kann jedoch bei mangelnder Behutsamkeit bei den sich dann sehr rapide ausbreitenden Virusvarianten schnell erreicht werden – und zwar nicht von den „eh schon Alten und Vorerkrankten“, sondern von Jüngeren. Es lohnt nicht, die inhumanen Stimmen widerzugeben, die man so hört, weil die jetzige Auslastung in den Krankenhäusern dies und das ja zuließe. Die Ampel wurde zwar repariert, gar nicht so wenig gleichlautend wie hier bereits vor einem halben Jahr geäußert wurde. Die Einschätzung des Systemrisikos, wie die Auslastung der Intensivstationen bezeichnet wird, ist jedoch gleich geblieben.

Im Klartext: man ist also weiterhin jederzeit bereit, die medizinische Versorgung mit Reduktion von elektiven operativen Eingriffen und anderen Leistungen zu kürzen. Es regt auf, wie tatenlos die vehementen Anti-Lockdown Rhetoriker diesen Einschränkungen zusehen. Hier wurde schon öfters gefordert, dass auch Schluss sein soll mit der diesbezüglichen Intransparenz. Wer weiß denn schon, wo die elektiven Eingriffe oder die Endoskopien eingeschränkt sind? Hier wurde noch im August gefordert, dass alles darangesetzt werden müsse, um zu vermeiden, dass wichtige Teile des Gesundheitssystems neuerlich zurückgefahren werden müssen. Um das so gut als möglich zu gewährleisten, sollten bestimmte Versorgungsparameter in die Ampel aufgenommen werden, etwa, wie viele Abteilungen ihre elektiven chirurgischen Eingriffe einschränken. Diese Forderungen gingen leider ins Leere.

Was plant die Regierung nun, um das gesteigerte Infektionsgeschehen bei zunehmender Durchdringung mit den ansteckenderen Varianten unter Kontrolle zu bringen? Zwei Sachen sind nicht zu verstehen. Erstens, wieso wird das Optimieren von TRIQ so gering geachtet? Auch beim B.1.351 Hotspot Zillertal fiel das erneut auf. Vom Bund keine Änderung von Isolation und Quarantäne, keine stringentere Definition, nichts. Das sei „Angelegenheit Tirols“. So wie jetzt bei Ein- und Ausreise Tirols getestet wird, hätte man das recht leicht und zeitgerecht auch bei einigen Gemeinden im Bezirk Schwaz schon vor Wochen anwenden können. Landesamtsdirektor Herbert Forster sagt auf profil-Anfrage, man dürfe „das Buch nicht von hinten lesen“ . Wie konnte er sich im Februar 2021 zu einer solch altvaterischen Aussage hinreißen lassen? Es wundert, wenn die ORF Sendung Südtirol Heute berichtet, wie in einigen Südtiroler Gemeinden mit dem Auftreten von B.1.351 in wenigen Einzelfällen das Verlassen und Betreten von betroffenen Gemeinden ausnahmslos nur mit Testen erlaubt ist. Eine halbe Stunde später wird in Tirol Heute darüber kein Wort verloren, kein Vergleich mit dem Vorgehen im Bezirk Schwaz angestellt. Der ORF, nur mehr das Verlautbarungsorgan der jeweiligen Landesregierungen?

Die Regierung setzt auf Magic Bullets, deren Einbettung in ein breiteres Präventionskonzept weitgehend fehlt. Schwurbeldiskurse lösen keine Probleme, sondern tragen zur Polarisierung bei. Beispiele waren das flächenhafte Massentesten vor Weihnachten, und jetzt das Schwören auf den massenhaften Einsatz der „Wohnzimmertests“. Wo bleibt die Einbettung? Wo ist das Konzept zur besseren Einbettung von solchen Tests am Arbeitsplatz, geschweige die Ermunterung zum erweiterten Einsatz von PCR (Speicheltests) in diesem Rahmen? Auch Deutschland forciert jetzt die Antigentests, inklusive der Selbsttestungen („Wohnzimmertests“), will aber darauf achten, dass die Qualität der Produkte gesichert sei. Gesundheitsminister Jens Spahn distanzierte sich von einer Regelung wie in Österreich, wo es ausreiche, dass die Hersteller schriftlich die Qualität ihrer Produkte zusagten. In Deutschland müssen die Tests geprüft werden. Und große Regionen Deutschlands, der Schweiz und Frankreich gehen dazu über, auch in den Schulen die Speicheltest PCR einzusetzen.

Zweitens sind Diskussionen, wie dem wiederkehrenden Auf-Zu-Auf-zu der Maßnahmen zu beizukommen wären, bei uns nicht im Mainstream angekommen, dementsprechend existiert auch wenig Analyse, was in Österreich passiert ist. Der „2. Lockdown“ wurde nicht nur verspätet begonnen, sondern schwer fahrlässig vorzeitig beendet. Nicht vergessen habe ich auch, dass SPÖ und NEOS die Zustimmung im Parlament verweigert haben.

Irland hat im Dezember im Vergleich zu Österreich nicht unbedingt vorzeitig, aber zu viel an Maßnahmen gelockert. Der folgende Ausbruch hat das ganze Land schockiert, deshalb wollen sie harte Maßnahmen jetzt gleich bis April durchziehen und anschließend viele Maßnahmen langfristig belassen, zumindest bis alle die Gelegenheit zum Impfen hatten.

Es sollen mit dieser Grafik nicht die Maßnahmen verglichen werden, dazu gibt es den Government Stringency Index, um die jeweiligen Lehren aus den gerade durchgemachten „Wellen“ zu ziehen. Die beste Vorgangsweise ist jetzt kein Auf-Zu-Auf-Zu. Vielmehr muss man versuchen, die Maßnahmen längerfristig zu halten, und vor allem jetzt bei der Durchdringung mit den ansteckenderen Varianten NICHTS zu ändern (Ausnahme Schulen, hier versuchen aber einige Länder/Regionen mit PCR und nicht mit Antigentests zur Sicherheit beizutragen). Dänemark hat ein umfassendes Konzept und testet mindestens gleich gut wie Österreich. Es fängt schon wieder an: „wir haben mehr Fälle, weil wir mehr testen“. Diese Interpretation verspricht einen schlechten Start in die 3. Welle. Vorarlberg testet im österreichweiten Vergleich viel, hat aber zuletzt als einziges Bundesland kontinuierlich sinkende Fallzahlen! Ist das nur Glück, weil es dort kaum zirkulierende ansteckendere Virusvarianten gibt?«   R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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