Was ist da los? Wir arbeiten mit Moral, die arbeiten mit Zahlen!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 341

Armin Thurnher
am 21.02.2021

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Heute zieht Epidemiologe Robert Zangerle einen kleinen Vergleich zwischen Österreich und Deutschland. Warum haben die da draußen so viel bessere Zahlen, das ist hier die Frage, und die Antwort ist erstaunlich: Die nehmen sogar ihre Gesetze ernst, während wir auch dort lieber schwurbeln. Teil 1 eines Zweiteilers.  A. T.

»Was wurde in den letzten Wochen nicht alles bemüht, um die Einkesselung Tirols, wegen der Mitbringsel aus Südafrika und anderswo irgendwie im historischen Kontext verorten zu können. Die Schlacht am Bergisel, in der Andreas Hofer, vom Kaiser alleingelassen, tapfer gegen den Fortschritt kämpfte und so auch eine Weile tatsächlich die Pockenimpfung verbieten konnte, hier, hier und hier. Für Leser der Seuchenkolumne war das abgestandener Kaffee, wurde hier doch vor langem über den bemerkenswerten Fortschritt berichtet, dass eben die Impfung gegen SARS-CoV-2 in Tirol mit großer Mehrheit begrüßt wird. Bergisel ist also unpassend und lässt auch außer Acht, dass es hier nicht um einen Stammeskrieg der beiden Bergvölker von Tirol und Bayern geht, sondern um etwas Größeres: um Österreich gegen Deutschland.

Der Erfolg von Cordoba kann nicht einfach wiederholt werden, da sind die Bedingungen heutzutage doch anders. Aber Rache für Sidowa? Längst überfällig! Für die Spätgeborenen: Sadowa liegt 15 Kilometer nordwestlich des Stadtzentrums von Königgrätz (tschechisch: Hradec Králové). Dort wurde Österreich von den Preußen besiegt. Österreich zeigt sich bereits jetzt von seinen besten Seiten, kleinere Schlachten werden ständig gewonnen. Zuletzt in der raffinierten, für den Gegner kaum zu durchschauenden, Impfstrategie: „Wir machen nicht den gleichen Fehler, sondern setzen auf ein kleingliedriges, dezentrales System zum Impfen“. Richtig so, muss die 90-jährige Mutter einer Freundin heute oder morgen eben nur „kleingliedrige“ 80 km ins nahe Bregenz verbracht werden. Ein Kinderspiel für Gebrechliche (!), hat der Staat doch dafür gesorgt, dass die Kinder das schon irgendwie hinkriegen, schließlich hat eine Tochter ein Auto. Und im letzten Sommer wurde der Kampf um die bessere Ampel von Minister Rudolf Anschober mit dem ständigen „unsere Ampel wird besser sein“ motivierend eingeleitet. Letztlich eine hochkantig gewonnene Schlacht

Die Gegenwehr Deutschlands bemühte auch psychologische Kriegsführung über die Medien, so boten sie Wirtschaftswissenschaftler  auf, sogar einen, der wider besseres Wissen unbedingt mitheulen musste, um kleinkariert, die in der Süddeutschen Zeitung dokumentierte österreichische Impfstrategie zu schmähen. Als ob die Preußen irgendwas vom Management der Pandemie verstünden. Österreich muss sich aber bemühen, dass ihm diese Erfolge nicht zu Kopf steigen. Deshalb wird hier nachfolgend versucht, Profiling nennt man das, die Handlungen Deutschlands besser zu verstehen, um so strategisch sicher zu gehen, dass die Schmach von Königgrätz endlich beseitigt wird.

Wieso operiert Deutschland mit Zahlen (Fällen und/oder B.1.351) und Österreich mit Moral? „Die de facto Sperre des großen und kleinen deutschen Ecks für Österreicherinnen und Österreicher ist absolut inakzeptabel. Diese Maßnahme von Bayern ist unausgegoren und löst nur Chaos aus“, also sprach Minister Karl Nehammer . Obwohl die Zahlen in Deutschland deutlich niedriger sind, als in Österreich, werden die Maßnahmen in Deutschland, zu Beginn der Lockerung Österreichs bis zum 7. März verlängert.

Eine Ausnahme in Deutschland bilden Friseure, die bei strikter Einhaltung von Hygieneauflagen bereits am 1. März wieder aufmachen dürfen. Sonst gibt es den nächsten größeren Öffnungsschritt erst bei einer stabilen 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Dann erst sollen der Einzelhandel, Museen und Galerien sowie Betriebe mit körpernahen Dienstleistungen wieder aufmachen können.

Woher hat Deutschland diese Zahlen? Nur durch intensive investigative Recherchen konnte herausgefunden werden, dass sie dort draußen klammheimlich in Gesetze gemogelt wurden. Im deutschen Infektionsschutzgesetz – IfSG § 28a Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 sind Zahlen zum Infektionsgeschehen als Ziel definiert – Ausfertigung vom 20.07.2020 :

„Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Unterhalb eines Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen.“

Im österreichischen COVID-19-Maßnahmengesetz findet man eine Aufzählung von Kriterien, ohne Ziele „ausreichend zu konkretisieren“, wie mir Juristen erklärten:

„§1 (7) Die Bewertung der epidemiologischen Situation hat insbesondere anhand folgender Kriterien zu erfolgen:

  1. Übertragbarkeit, gemessen an neu aufgetretenen COVID-19-Fällen und Clustern,

  2. Clusteranalyse, gemessen an der Anzahl der Fälle mit geklärter Quelle,

  3. Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitswesen unter Berücksichtigung der aktuellen Auslastung der vorhandenen Spitalskapazitäten sowie der aktuellen Belegung auf Normal- und Intensivstationen,

  4. durchgeführte SARS-CoV-2-Tests samt Positivrate und

  5. regionale Besonderheiten wie ein besonderer Zustrom ortsfremder Personen, insbesondere Tourismus- und Pendlerströme.

(8) In einer auf Grundlage dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung können typisierende Abstufungen hinsichtlich der epidemiologischen Situation vorgenommen werden und an unterschiedliche Risikoeinstufungen unterschiedliche Maßnahmen geknüpft werden („Ampelsystem“).“

Diese im Vergleich zu Deutschland „unzureichend konkretisierte“ gesetzliche Grundlage belegt das „konzeptlose Köchelkonzept“, also den Verdacht, die nicht sehr kontrollierte Verbreitung von SARS-CoV-2 einfach geschehen zu lassen. Österreichische Realpolitik des laisser faire, halt mit der Einschränkung, die intensivmedizinische Versorgung nicht schwerwiegend und anhaltend zu überlasten. Reagieren, wenn die Intensivstationen sich zu füllen beginnen, ist definitiv zu spät! Das war immer klar. Bevor jetzt zu viel lamentiert wird, und die Frage Konzept als Amtsgeheimnis oder Amtsgeheimnis als Konzept unbeantwortet bleibt, noch ein Blick auf das Tiroler Spezifikum. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat nämlich neben Tirol auch Tschechien und die Slowakei als Mutationsgebiete bzw. Virus-Varianten-Gebiete ausgewiesen. Das wird in der Diskussion gerne geflissentlich übersehen.

Der berühmt-berüchtige Präsident der Tiroler Wirtschaftskammer, Christoph Walser, hatte die Chuzpe, zuletzt zu behaupten, dass Tirol quasi Europameister im Sequenzieren sei  und deshalb die Situation mit der Variante B.1.351 existiere, die erstmals in Südafrika entdeckt wurde. Bei der Pandemie denkt er offenbar immer noch an Sport, und verwechselt dabei die Disziplin „Ins eigene Knie schießen“ mit „Sandkastenburgbau“. Nach Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist das Erkennen der B.1.351-Cluster in Tirol „purem Glück geschuldet“ . Mag schon sein, dass es noch andere Regionen gibt; die kolportierten Zahlen vom Département Moselle scheinen aber kleiner zu sein, trotz mehr Einwohnern.

Der recht unbeirrt an den CoV-Zahlen orientierte Kurs der deutschen Bundesregierung genießt in der Bevölkerung trotz der lange andauernden harten Maßnahmen großen Rückhalt (72%) https://orf.at/stories/3201569/ . Mehrheitlich abgelehnt wird die Verlängerung des Lockdowns ausschließlich von Anhängern der FDP (66 Prozent) und der AfD (84 Prozent). Deutschland ist jetzt natürlich weit hergeholt, aber dort scheint es zwischen liberal und rechts in sozialen Fragen tatsächlich eine Schnittmenge zu geben.« R.Z.

(Fortsetzung morgen)


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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