Wie mir beim Reden über Musik eine Idee für Corona-Krisenhilfe kam

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 340

Armin Thurnher
am 19.02.2021

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Ich hatte gestern einen harten Tag. Musste zweimal virtuell erscheinen. Einmal in einer Diskussionsrunde über Verantwortung, dann in einem Gespräch über neue Musik mit einem der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Auf die Verantwortungsrunde komme ich später noch zurück, das soll publiziert werden. Es gibt eine Sache, die beide Gespräche – zumindest bei mir zusammenhält. Im Radiokulturhaus traf ich auf Einladung von Ernst Kovacic mit Beat Furrer zusammen.

Es war ein Abend voll der schönsten Musik, live gespielt, falls es wer gehört hat. Studierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst spielten einige der zum Teil hochvirtuosen und schwierigen Stück von Beat, und den Quartettsatz in c-Moll vom Franz Schubert, einem Komponisten, den Beat bewundert.

Wir sprachen vor allem über seine Musik, diese Klangdramen, deren Dramatik Furrer schon im bloßen Erklingen und Verklingen eines Tones sieht, wofür es Stille braucht, Aufmerksamkeit und Unvoreingenommenheit. Er erklärte eine Prinzipien seines Komponierens: sich einander nähernde Linien, Filter, Kaleidoskop.

Wir sprachen auch über Bürgertum und Aristokratie, und über Inspiration. Was einen Komponisten zum Komponieren bringe, was ihn inspiriere, fragte Kovacic, falls es wer nicht weiß, ein wunderbarer Geiger, Orchesterleiter, Lehrer und Pionier der neuen Musik, dem Stücke in Serie gewidmet wurden und der auch ein tolles Festival in Mürzzuschlag veranstaltet. Er fragte und las gleich einen Text eines Geigers vor, der den Komponisten Johannes Brahms interviewt und gefragt hatte, wie diesem im Zustand der Inspiration zumute sei.

Jenseits des Alltagsbewusstseins, fast bewusstlos, in einer Art Trance, nahe bei Gott, so ähnlich antwortete dieser.

Wir drucksten ein bisschen herum, absolute Konzentration, sagte Furrer, damit ebenfalls etwas dem Alltag Enthobenes andeutend, schon ein entrückter Zustand auch, man will ja nicht transzendent klingen heutzutage, aber als ich vorschlug, die Brahms’sche Formel minus Gott zu nehmen, stimmte er mir zu.

Kovacic stellt die interessante Frage, wer denn heute an Stelle der aristokratischen und bürgerlichen Mäzene getreten sei, die vor zweihundertfünfzig Jahren Stücke beauftragten und finanzierten. Sie blieb unbeantwortet, es war nicht die Zeit. Es müsste natürlich abgesehen von interessierten und vermögenden Privatleuten, die es gibt, ein Staat sein, eine Republik mit zeitgenössischem Bewusstsein, die sich in Gestalt geeigneter Personen, seien sie beamtet oder beigezogen Tag und Nacht überlegen müsste, wie sich republikanisches Bewusstsein in angemessener Form zeitgenössisch ausdrücken will.

Aber das Fordernde ist dem Bürgertum abhanden gekommen, an einzelne delegiert, die wiederum nichts bürgerlich Gemeinwohlmäßiges im Sinn haben, sondern ihr Fortkommen als Einzelne, wobei das Gemeinwohl eher ein Hindernis darstellt. Weil die politischen Eliten sich mehr mit ihnen als mit dem Gemeinwohl identifizieren, ist dem Bürgertum mit dem Fordernden auch das Fördernde abhanden gekommen, wie es sich ja selbst abhanden gekommen ist. So ist das Fördernde mehr eine Pflichtübung in Repräsentativität als eine Denkübung in Selbstdarstellung der Republik.

Am Schluss des Gesprächs kam das Thema Corona auf, das die ganze Zeit im Saal gehangen war, der naturgemäß leer blieb, den Musizierenden den gerechten Applaus vorenthielt und auch jene Beziehung, die im günstigsten Fall Funken schlägt und ein Strömungsband herstellt zwischen denen, die spielen und denen, die hören, sodass die Hörenden fast zu Mitspielenden, die Spielenden Mittregenden werden, was das schwer beschreibbare Erlebnis guter Konzerte ausmacht. Nix da, sagt die Pandemie.

Ich hätte dazu gern folgendes gesagt, mit dessen Formulierung ich schon länger ringe, aber die Zeit war knapp, wie immer. Ich fange jetzt einfach einmal mit ein paar Andeutungen an.

Mir fehlt vollkommen ein kreativer Ansatz von Hilfe. Immer wieder hört man die Ansicht, nach der Pandemie sei nichts mehr wie vor der Pandemie. Mag sein. Eines ist gewiss: es wird Existenzverluste geben, Konkurse, Armut, schwarze Löcher und Defizite aller Art (nicht nur im Zwischenmenschlichen und in der Bildung). Es gibt viel an Hilfe, aber vieles wird der besonderen Situation der Pandemie nicht gerecht. Alles ist phantasieloses Mehr vom Üblichen. Mehr Kurzarbeit, mehr Haftung, mehr Subvention. Nichts davon wird dem Unverschuldeten, Schicksalshaften der Krise gerecht.

Der Eisberg, auf den die Titanic auflief Foto © Wikipedia

Mit Bangen verfolge ich die coolen Prognosen diverser Aasgeier, die gern von verschleppten Konkursen reden und unterschwellig davon, dass bald das Kranke, Schwache nun eben absterbe und das Gesunde umso gesünder durch die Krise komme. Ich empfinde das als die Angstblüte eines darwinistischen Neoliberalismus, der sich am Ende seiner Hegemonie angekommen sieht. Unsere ideenlosen Politiker glauben im Ernst, nach der Pandemie können sie wieder zum Sparprogramm der schwäbischen Hausfrau zurückkehren. Eine weniger gern skizzierte Möglichkeit, von großen Konzernen klammheimlich gewünscht, ist der autoritäre Kapitalismus. Die andere, von vielen erhofft, ist der Umbau der Gesellschaft in eine ökologisch-soziale demokratische Gesellschaft, die den fairen Wettbewerb nicht abschafft, sondern erst wieder ermöglicht, weil sie geordnete Märkte wieder herstellt.

Wäre es nicht an der Zeit, dachte ich mir, unsere doch beträchtlichen technischen Hilfsmittel für folgendes zu nützen (Wirtschaftskammer und Digitalisierungsministerin sollte man damit nicht belasten): Wir machen einen Schnitt, einen pandemischen Kassasturz. Jene Unternehmen, die profitiert haben, legen ihre Profite auf den Tisch. Der Staat hilft bei der Feststellung der Beträge, nimmt einen Teil davon in einen Corona-Fonds und schafft unbürokratische Möglichkeiten, sie an jene zu verteilen, die sonst eingehen und denen die bereits jetzt vorgesehenen Maßnahmen nicht helfen, die auch nicht imstande sind, Förderungsansuchen auszufüllen oder die den Kriterien nicht genügen.

Das beginnt, um im Rahmen zu bleiben, bei Musikausübenden, schließt kleine Unternehmen ein, Geschäftstreibende, Wirte, Cafetiers bis zu einzelnen mit Berufen, die aufgrund des Graubereichs nichtversteuerter Gelder (Trinkgeld) mittlerweile in der Existenzkrise sind. Oder die aufgrund vertrottelter Organisation stark gestiegenen Kosten haben. Meine Mundhygienikerin zum Beispiel muss Corona-Schnelltests ihrer Kunden selbst finanzieren. Jeder kennt solche Absurditäten.

Es sollten sich doch in überblickbaren Rahmen Möglichkeiten finden lassen, analog zu Bürgerversammlungen und jenseits der stets verdächtigen Interessenvertretung quer durchs Land eine Art lokaler Bürger-Wirtschaftsräte zu schaffen, die solche Förderungen beurteilen können und das nötige Geld blitzartig vergeben. Das Ganze mit überregionaler Supervision durch Staat und Länder, die verhindert, dass sich die üblichen Ortskaiser wieder einmal die Taschen füllen und Größere auch noch bei dieser Hilfe mitschneiden, für den nächste Golfausflug nach Südafrika.

Die Kleinen, die ihre Verluste nicht ausreichend formal belegen können, schauen eh durch die Finger. Um nur bei der Musik zu bleiben: ein junger Komponist, der keine Aufträge bekommt, eine junge Band, die keine Auftritte hat, aber vielleicht welche bekommen hätte – jemand müsste die Wahrscheinlichkeit beurteilen, den Verlust beziffern und vor allem den fürs Überleben nötigen Betrag feststellen und pronto ausbezahlen. Das mag juristisch haarig zu sein, aber es sind schon für dümmere Ideen Anlassgesetze gemacht worden (oder vielleicht genügen die vorhandenen Notstandsregeln eh, ich bin ja kein Jurist).

Was wir jedenfalls brauchen, ist, der unverschuldeten Notlage angemessen, eine Art pandemischer Ausnahmesozialismus auf Zeit. Einen Marshall-Plan für die Kleinen, wenn das in unseren sozialismusverängstigten Ohren besser klingt. Einen riesigen Corona-Krisenfonds.

Wie viel Ressentiment bei den schuldlos zu kurz Gekommenen würde das ersparen, wie viel Gift aus der Gesellschaft nehmen! Verschwörungstheoretiker und Systemhasser verlören Auftrieb. Die Großen verteilen dieses eine Mal ihre Profite an die Kleinen, die sonst durch die Finger schauen, und der Staat hilft ihnen dabei. Ich denke an die Lebensmittelkonzerne, den Versandhandel, die Digitalkonzerne, die Pharmakonzerne, den Impfstoffgroßhandel, Labore, aber auch an Novomatic und Herrn Pierer undsoweiter. Die das finanzieren, hätten eine gute Tat getan. Es wäre ja nur dieses eine Mal. Niemand würde sich an so etwas gewöhnen wollen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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