Die Sümpfe der Türkisen. Über das Gefühl, im falschen Film zu sein.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 335

Armin Thurnher
am 14.02.2021

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Nein, ich möchte nicht Bundeskanzler sein. Weder heute noch an anderen Tagen. Heute, an diesem strahlenden Sonntag … Ich schreibe das im Vertrauen auf eine Institution, die noch wenig türkis unterwandert scheint, die Zentralanstalt für Meteorologie und ihre medialen Emissäre unter Führung von Markus Wadsak. Habe mich andererseits noch nicht kundig gemacht, wie es um die ZAMG parteipolitisch steht. Die Meteorologie ist ja weniger wetterbeeinflussend als wetterberichtend, insofern politisch weniger interessant.

An diesem strahlenden Sonntag also schreibe ich in der Früh, und Sie lesen. Ich denke an den Kanzler, das muss ich, denn ich habe das Gefühl, ich habe ihn vor Monden das letzte Mal gesehen. Hat er nichts zu tun, wo sind die täglichen Pressekonferenzen, wo das antieuropäische Querbraten, wo das Selbstausstellen als Impfmessias, wo ist der beleuchtete Tunnel?

Andererseits, was soll er auch sagen, der Kanzler?

Schon trübt sich der Himmel, der Boden unter seinen Füßen beginnt blubbernd und schmatzend nachzugebend, das Rednerpult sinkt samt seiner in den Morast, das entsetzte Gesicht des Kanzleramtadlatus, der nach ihm greift, aber nicht helfen kann, hängt über ihm wie ein kranker Mond, denn auch er sinkt, alles sinkt, alle Böden geben nach, alles nur noch Sumpf. Es gibt keinen festen Grund mehr, das hat er schon geahnt, ehe er Kanzler wurde, als er versuchte, so etwas wie ein Programm aufzustellen, irgendetwas wenigstes Halbfestes, um wenigstens halbwegs … Ist nicht gelungen.

Es brauchte nicht zu gelingen. One-Trick-Ponys sind erfolgreicher als diese verkopften Typen, denen es peinlich ist, zweimal eine Botschaft auf die gleiche Weise zu sagen. So etwas muss man aushalten. Stay on the Message, Inhalte sind für Sissies, der Message-Salon wird prüfen, ob das nicht sexistisch ist, denn wir können alles brauchen, nur keine offenen Flanken, das Geilomobilfass machen wir nicht auf, gell, ÖVP-Frauen, aber wurscht auch jetzt, dieses plötzliche Sinken, so war das nicht ausgemacht.

Der Steinsaal im Bundeskanzleramt heißt seit neuestem Leopol-Figl-Saal, er hat ihn umbenannt im besitzergreifenden Stil einer Truppe, die alles mit diesem türkisen Zeug überzieht, das aussieht wie eine gallertige Aliensubstanz aus einem Men-in-Black-Film, Men-in-Turquois heißt es jetzt, New-Men-Party, sie schlatzt uns zu mit ihrem Türkis, alles ist jetzt voller zähem Türkisschlatz, aber das stabilisiert nicht ihre Herrschaft, es macht das Volk unrund und den Boden weich.

Die Message! Wo ist die Message? Sein erster und letzter fester Boden, wo ist sie, wer wirft den Message-Rettungsring? Je mehr er strampelt, desto tiefer sinkt er. War es das Impfen? Der Impfsumpf? War es Corona? Mpf macht dumpf der Sumpf. Mpf. Sie waren doch die besten, die Autoritärsten, die Corona-Klartext-Superboys! Wo ist das alles hin? Jetzt sperren uns die Bayern die Grenzen zu. Die Italiener! Wo sind die Panzer? Alles blubbert. Mpf. Mpf.

Alles ist hin! Das Hilfsprogramm für die Wirtschaft: eine Orgie an intransparentem Zeug, niemand weiß, wer was kriegt, aber zu langsam. Nebenbei die EU türkis angeschlatzt mit Sparsamkeitsgeschwurbel. Jetzt, da die EU beschlossen hat, sich eine keynesianisch überdimensionierte, chromstrahlende Drei-Trommel-Plasma-Gun zuzulegen, müssen die türkissprühenden Frugalisten von was anderem reden. Von was ganz anderem.

Foto ©Men in Black, Columbia Film

Ist das große türkise Justiztheater nur ein Ablenkungsmanöver? Sein Hauptdarsteller Gernot Blümel, der in der Alienwelt nur mehr #bluemel heißt, wurde vom Neutralisator getroffen und hat sein Gedächtnis verloren. Diese Waffe steht aber nicht immer zur Verfügung, obwohl das publizierende Publikum reihum von Volltreffern gekennzeichnet ist. Der Präsident des Nationalrats – was spielt er für eine Rolle? Ist er ein böses Insekt, eine Schabe, die uns das Leben schwer macht, parteiisch, im rechtlichen wie im praktischen Sinn, sodass man sich nach Khols und Lichals zu sehnen beginnt wie nach libertären Lichtgestalten aus einer freieren Ära? Die Gestalten wechseln, der Zweifel bleibt.

Der parlamentarische Ibiza-Untersuchungsausschuss, der den größten Skandal der letzten Jahre untersuchen soll, wird innen und außen von türkisen Agenten durchseucht und blamiert, man soll nicht sehen, dass ein türkiser Sumpf zum Vorschein kommt. Das #bluemel führte dort seinen gedächtnislosen Status exemplarisch auf, mehr als 80mal konnte es sich an nichts erinnern, die Dialogkünste, die es dabei aufbot, waren so bescheiden, dass ihm die Stenografinnen anschließend Trinkgelder zusteckten.

Sobotka war begeistert, türkis quoll es aus den Protokollen. Zeit für ein Dankgebet! Jetzt kann sich das #bluemel auf einmal an alles und noch mehr erinnern und will, dass auch wir uns an seine Unschuld erinnern. Wir glauben auch sehr gern alles bis zum Beweis des Gegenteils. Will Smith schwört, dass er jetzt aufpasst und bläst den Rauch von der Mündung seiner Noisy-Cricket-Pistole.

Die Justiz steht im Bann der Weisungszwillinge, die sogar altgedienten Schwarzen hochgezogene Augenbrauen abnötigen und mit ihren Schikanen seriöse, besorgte Staatsanwältinnen zur Resignation zwingen. Weggeshreddert, wegadministriert, weggewiesen! Hier siehst du’s, hier siehst du’s nicht! Peng, wegneutralisiert. Geschähe solches mit der Justiz in einem Schwellenland, man wüsste schon, was man sagen würde. Hier wird diskret türkis zugeschäumt.

Die Presse und die Medien sind großteils in türkisem Einfluss, mit Steuergeldern kirre gemacht, unter politischem Druck oder sonstwie geneigt. Sobald etwas aufkommt, fassen die vielen Meinungsmacherzwerglein in den Ministerien in die Speichen der öffentlichen Meinungsmaschine, und türkise Trolle versuchen, Kritikerinnen ad personam fertigzumachen und zu diffamieren.

Nicht nur das #bluemel hat ein Unvereinbarkeitsproblem mit dem Glücksspielkonzern. Kann es sein, dass eine christlichsoziale Partei symbiotisch oder auch nur kurznachrichtendienstlich einem solchen Konzern zuneigt? Von Gio Hahn bis zum Mock-Verein des Sobotka, der Geschäftsverbindungen mit ihm pflegt.

Der Kanzler steckt bis zu den Schultern in diesem weitläufigen Sumpf. Die Sicherheitsdienste: desolat. Das Innenministerium: ein türkiser Sumpf aus Willfährigkeit und Unfähigkeit. Das Wirtschaftsministerium: ein Anhängsel der Wirtschaftskammer. Das Finanzministerium samt vorgelagerten Institutionen: überall ranzige Däumlinge. Das Gesundheitsministerium: verlottert. Das Religionsministerium: voller Vorurteile. Der Kanzler selbst: unfähig, einer Kamarilla mit Plasmagewehren ausgerüsteter Tiroler Wirtschaftstreibender die Stirn zu bieten. Und alles überzogen mit dem zähen Schleim türkiser Intransparenz.

Ich stelle mir die Stimmung in den neunzehnsechziger Jahren so ähnlich vor. Damals wurde das Proporzwesen, der rotschwarze Zugriff auf alles unerträglich. Damals rafften sich unabhängige Chefredakteure auf und initiierten ein Rundfunk-Volksbegehren, um den rotschwarzen Schleim von den audiovisuellen Medien wegzukriegen. Solche Chefredakteure gibt es nicht mehr. Die Opposition besteht aus Morgenluft witternden Rechtskicklisten, aus zu kleinen Neos und aus einer SPÖ, die laufend Bälle nicht auf den Elfmeterpunkt, sondern auf die Fünfmeterlinie gelegt bekommt und es trotz leerem Tor nicht schafft, sie hineinzuspitzeln. Okay, das Tor ist nicht leer, es wird von Medienaliens mit De-Atomisatoren bewacht.

Da kann ein Kanzler selbst dann regieren, wenn aus dem Sumpf gerade noch sein Schopf herausschaut. Wohlgegroomt bis zuletzt. Es ist ja nur unser Land. Mpf.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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