„Sittenwächter“ auch noch! Hilfe! Christian Rainer kritisiert mich

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 334

Armin Thurnher
am 13.02.2021

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Ich habe eine harte Woche hinter mir.

Ich lernte, dass der Gipfel zeitgenössischer Diskurskunst darin besteht, sich dem Diskurs zu entziehen und zu schweigen. Ein Verfahren, das meinem Naturell widerspricht und das ich mir nicht zur Regel machen werde.

Den Rat zu schweigen kann ich naturgemäß nur vorläufig befolgen. Schweigen war jedoch nicht das Schwerste, was mir diese Woche auferlegt wurde. Das Kaufhaus Österreich schloss, Gernot Blümel sperrte für eine Hausdurchsuchung auf, Tirol hielt offen und schloss, Wolfgang Sobotka erwies sich als extrem maulfaul, von Sebastian Kurz habe ich überhaupt nichts gehört. Österreich sperrte auf, eingesperrt wurde niemand.

Fast hätte ich es übersehen, aber gleich zu Wochenbeginn hängte mir einer meiner alten Freunde und Bewunderer ein neues Prädikat um, das mich, als ich es spät entdeckte, ein Weilchen beschäftigte: er nannte mich einen „emeritierten Sittenwächter“. Christian Rainer war’s, der Herausgeber des Profil. Rainers Ausdruckskraft ist so groß, dass seine aufgepumpten verbalen Muskeln manchmal den enganliegenden Stildress platzen lassen.

Das Vornehmste seines Diskurstricks bestand darin, meinen Namen nicht zu nennen, weswegen mir die Attacke auch eine zeitlang verborgen blieb. Ungenannt möge er bleiben, verflucht soll er sein, namenlos irre er herum in der Kälte der Welt außerhalb unseres warmen publizistischen Nestes, das da heißet Runde der Chefredakteure, womit ich weniger jene lauschig-plauschige Runde bei Ingrid Thurnher meine, über die ich nur abschätzig rede, weil ich nie eingeladen wurde, aus Neid also; nein, ich meine die Gesamtheit unserer sinnstiftenden, meinungsführenden und kanzlerfrommen Öffentlichkeitchamps.

Nähme ich Rainers Haltung ein, dürfte ich seinen Namen nicht nennen. Ich müsste von ihm vielleicht als einem „konfusen, mutmaßungsaffinen Hobbystilisten eines ehemals führenden Nachrichtenmagazins“ sprechen – aber wo kämen wir da hin, und wer wüsste, wer gemeint ist? Es ist der gute, alte, schwurbelnde Christian Rainer, der umso mehr schwurbelt, je polemischer er wird. Man merkt ihm den Grant an, das Genre wechseln und das glamouröse Posen vor der Linse für das freudlose Beklopfen einer Tastatur unterbrechen zu müssen; wenn er seine geballten stilistischen Leckerbissen nicht überhaupt diktiert.

Andererseits – vermöchte jemand einen Absatz wie diesen zu diktieren?

In der Frage der Abschiebung jener georgischen Kinder – rechtmäßig? Gerecht? – zeigt sich die Republik weniger gespalten, als ich vermutet hatte. Abseits eigenbrötlerischer Textmontagen emeritierter Sittenwächter herrscht unter den Publizisten des Landes ein gewisser Grundkonsens darüber, dass der aktuelle Fall schlecht geeignet ist, als Nukleus für eine Revolution des österreichischen Asylrechts zu dienen. Entsprechend kritisch wurde daher die sich (fast stolz) auf mangelnde Detailkenntnis berufende Intervention des Bundespräsidenten gewertet. (Profil, 8.2.)

Der „emeritierte Sittenwächter“ bin ich. Ich hatte zwar nie einen Lehrstuhl für Sittenwacht, bloß eine Zeitlang einen Lehrauftrag in Medienethik an einer Fachhochschule, weil ich Kant von Rousseau zu unterscheiden vermag und weiß, dass der erste ein Bild des zweiten in seinem Zimmer hängen hatte. Aber als Lehrbeauftragter kann man nicht emeritiert sein.

Vielleicht meint Rainer, ich sei in Pension gegangen. Da täuscht er sich, wie diese Kolumne und meine Falter-Kommentare zeigen. Einer dieser Kommentare brachte Rainer offenbar auf die höchste Palme seines hohen Stils, von der er seine etwas zu kühnen Formulierungen schüttelte. Diese meine „eigenbrötlerische Textmontage“ erschien im Falter und zeigte durch ausschließliche Verwendung von Originalzitaten vierer leitender österreichischer Medienmenschen in Form einer fiktiven Diskussion, wie homogen hierzulande mitunter gedacht wird. Vor allem in diesem Abschiebungsfall, bei dem hervorragende Juristinnen und Juristen längst klargestellt haben, dass die mangelnde Rechtskenntnis, die Christian Rainer anderen unterstellt, ganz auf seiner Seite ist.

Man kann den zitierten Absatz übrigens auch ins Deutsche übersetzen. Er läse sich dann etwa so:

Die Leute meinen, die georgischen Kinder wurden zu Recht abgeschoben. Nur der leider noch nicht zwangspensionierte alte Nörgler Thurnher vom Falter, ein Sonderling, motzt dagegen. Sonst sind wir Chefredakteurinnen und Chefredakteure uns einig: Nehammer und Kurz haben Recht, der Bundespräsident ließ sich allein von Emotionen treiben und kennt sich mit Jus nicht aus.

Dabei entfiele freilich die preziöse Formulierung „Nukleus für eine Revolution des österreichischen Asylrechts“, aber diesem Nukleus weine ich so wenig nach wie allen Sonntagsreden, in denen eine Reform dieses Asylrechts gefordert wird. Schuld sind bekanntlich Sozialdemokraten, die sich in dieser Frage nach rechts treiben ließen.

„Eigenbrötlerisch“ war meine Textmontage insofern nicht, als sie in der Tradition des großen Satirikers und Journalismuskritikers Karl Kraus steht: „Die grellsten Erfindungen sind Zitate“. Diese Montage war durch und durch fremdbrötlerisch, und sie verwendete auch Texte Christian Rainers.

Das Wort „Sittenwächter“ verdient eine kurze Betrachtung. Sittenwächter waren stets jene besonders unsympathischen Eiferer, die Menschen das Leben schwer machen, die nichts wollen als ihr Leben zu leben. Intolerant, fanatisch, bigott und verbissen, sind sie jedem totalitären System obenauf. Ihre neueste Erscheinungsform sind tschetschenische und andere islamistisch verwirrte Knaben, die ihre Schwestern mit Gewalt zur Moral ermahnen und im Notfall auch per „Ehrenmord“ in ein sündenfreies Jenseits befördern. Verglichen mit dem Prädikat „Sittenwächter“ ist „Tugendterrorist“ ein frömmelndes Kompliment.

Man sieht, in all seiner manieriert-marinierten Prosa kann der Herr Rainer ganz schön untergriffig sein, auch wenn ich es mir erst übersetzen muss.

Aus alten, besseren Zeiten (frühe 1990er Jahre) Falter-Jungmitarbeiter Christian Rainer (links) und Chefredakteur Armin Thurnher posieren für ein Foto in der Serie „Mitarbeiter als Cover-Models“ (Thema: Auto, Foto Rainer Dempf, blieb unveröffentlicht). Aus dem schönen Band Es lebe der Widerspruch (Falter Verlag)

Ich lass mir’s nicht verdrießen. Als er sich noch nicht als Regierungsideologe hervortat, verstanden wir uns besser, und ich bin frohgemut, dass der Stil in seinem Fall nicht der Mann selbst ist, sondern nur dessen guten Kern verbirgt.

Und was ist jetzt mit Pilnacek & Fuchs, der hinuntergeredeten Rede der Staatsanwältin, dem Fall Blümel, der in Wahrheit ein Fall der Verkommenheit der ÖVP ist, was ist mit Tirol, dem Lockdown und meiner eigenen abgründigen Verächtlichkeit?

Tja, Leute, darauf gibt es heute nur die gute alte journalistische Antwort: der Platz ist aus, wir reden ein andermal weiter. Morgen kommt der Epidemiologe. Wenn nicht morgen, dann Montag. Aber er kommt. Das Virus kann warten, dem Virus wird nicht fad!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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