Palmen, Weltverdreher, Eichhörnchen. Über Wut auf Journalismus, Teil III und Schluss

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 328

Armin Thurnher
am 07.02.2021

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Weil heute Sonntag ist, der Tag des Herrn, FALTER.morgen-los und sorgenlos (sinnlose Pointe, nur dem Reim auf den Leim gegangen), versuche ich eine kurze, aber keineswegs abschließenden und nicht oder nur mich erschöpfende Zusammenfassung meiner kleinen Wut-auf-Journalismus-Serie. Die gestrige Unterbrechung durch den klugen Kater war dem Umstand geschuldet, dass diese Serie nicht nur grüblerisch quälend und quälend anklagen, sondern auch unterhalten und fröhlich machen soll, wenn’s geht.

Froh zu sein bedarf es wenig. Ich denke daran, dass ich wie jedes Jahr zu dieser Zeit an der südindischen Malabar-Küste sitzen sollte, innerlich und äußerlich bestens gefettet und geölt, von Palmblättern umfächelt. Milane kreisen im Aufwind der arabischen See über meinem Haupt, auf dem iPad notiere ich solche Sachen:

Ein blaues Segel

Wird kommen

Nördlich von Malabar

Über die arabische See

In einer Kiste von Ebenholz

Birgt es den Klang

Einer Laute

Aus einer zerbombten

Moschee in Beirut

Nonsens, wie viele meiner Verse, denn in Moscheen spielt man nicht Laute. Oder ich verfasse schon einmal eine alkäische Ode auf Dominic Thiem, dessen hoffentlich viele Spiele bei den Australian Open (und auch die von Roger, selbstverständlich, solange es sie gab) ich auf dem Fernseher beim Empfang betrachte, mit australischem, angenehm fachkundigem Kommentar, belächelt von Gästen aus aller Herren Länder, aber verstanden vom Personal, das sonst dort Cricket schaut. Thiem ist ein Österreicher, den die Welt kennt.

Das alles entfällt heuer. Ich klage nicht über das Virus, es brachte mich auf die Idee mit dieser Kolumne. Auch Sport füllt sie bisweilen, und ich muss mich sehr zurückhalten, jetzt nicht über Tom Brady loszulegen, das 43-jährige Quarterbackwunder, wurscht, ob er heute Nacht seine siebente Superbowl gewinnt oder nicht. –

Das nur so sonntäglich dahingesagt. Nun zur Wut auf Journalismus.

Warum betrifft uns die wachsende Verwirrung, Radikalisierung und Desorientierung in der Frage, was für eine Rolle Medien spielen sollen, so stark? Was macht die Wut gegenüber Journalisten gewalttätig? Weil Journalisten ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

Wie zuvor beschrieben, gibt es dafür eine Reihe von Gründen: Scheinobjektivismus, Funktionswandel durch digitale Medien, Kooperation mit kommerzieller und politischer Macht, Hegemoniekampf von rechts.

Und warum empfinden wir das als dramatisch? Weil wir spüren, dass es ans Zentrum der Demokratie geht. Uns den Glauben an, sagen wir besser, das Vertrauen in die Demokratie verlieren zu lassen, ist das Ziel der rechten Offensive. Das sollten wir nicht vergessen. Umso schärfer – wenn es auch Grenzen gibt, wie den Schutz der Gesundheit aller – müssen wir Mittel wie Verbote und Zensurmaßnahmen zurückweisen. Man kann Demokratie durchaus zur Selbstabschaffung anstiften. Spätestens dann ist die Grenze erreicht.

Können wir nicht mehr glauben, dass Handlungen, die wir (unsere gewählten Repräsentanten) setzen, aufgrund einer gemeinsam getroffenen, für uns nachvollziehbaren öffentlichen Entscheidung zustandekommen, haben wir uns von der Demokratie verabschiedet. In der antiken Demokratie lag beides beisammen, die politische, öffentliche Versammlung (nur einheimische, freie Männer) diskutierte und entschied. Entschied sie für Krieg, zog sie auch in den Krieg.

All das ist in der modernen Massengesellschaft zergliedert, ausdifferenziert sagte man früher. Die Entscheidungen sind an die repräsentative Demokratie delegiert, das In-den-Krieg-Ziehen an politisch kontrollierte Armeen, und die Diskussionen an die Medienöffentlichkeit. Entsteht das Gefühl, die Medienöffentlichkeit nimmt diese Funktion nicht einmal mehr symbolisch wahr, gerät das ganze Konstrukt in die Krise.

Jetzt ist es wieder einmal in so einer Krise. Nicht zum ersten Mal. Im 20. Jahrhundert konnte man beobachten, wie Demokratien totalitär entgleisten, zum Teil auch unter dem Einfluss von Massenmedien. Wie demagogisch totalitäre Systeme mit Medien verfuhren, ist bekannt. Weil das System der Demokratie mit der Existenz großer, demokratisch orientierter Medien zusammenhängt, legten die Alliierten in Westdeutschland nach 1945 bei ihrer Re-Education großen Wert auf demokratisch verantwortliche Medien.

Viele Unterschiede im deutschen und österreichischen Medienwesen können noch immer durch den Umstand erklärt werden, dass diese Reeducation bei uns fehlte.

Aber auch in den USA gab es Probleme, die hierzulande wenig bekannt sind. In den 1940er Jahren, während des Krieges, stand es auf Messers Schneide, ob das US-amerikanische Mediensystem, das wegen kommerzieller und demagogischer Auswüchse kritisiert wurde, der Selbstkontrolle überlassen bliebe oder staatlich reguliert würde. Die Sache ging aufgrund einer Initiative von Zeitungsleuten wie dem Time-Life-Chef Henry Luce für Selbstkontrolle aus; man setzte eine Kommission ein, die Hutchins-Commission, die Regeln für Selbstkontrolle festlegte. In der Folge etablierte sich das Nachkriegs-Mediensystem und gab bis zur Jahrtausendwende den Ton an. Bis das große neoliberale Hirnverdrehen, rechter Hegemoniekampf, Marktliberalisierung und Digitalisierung ihre Wirkung zeigten.

Schon zuvor war der Journalismus immer Objekt berechtigter Kritik gewesen, von Karl Kraus bis Noam Chomsky. Chomskys Befund vom „Manufactured Consent“ gilt nach wie vor, Kraus’ Kritik an der Weltverfälschung durch Phrase trifft zu wie eh und je.

Der Großteil der Angriffe auf „Journalismus“ wird heute aber vom Zerrbild des Journalismus geführt, von Verschwörungstheoretikern und ihren Medien, rechtsextremen, desinformierenden Organen, die scheinbar die Gesetze aller zivilisierten Kommunikation unterminieren und das Gebiet, wie Steve Bannon es Donald Trump nahelegte, mit Scheiße fluteten. Soviel Scheiße, wie Trump auf Twitter pumpte, kann ein einziger Darm gar nicht hervorbringen. Dazu bedarf es eines Konzepts, und es ist naturgemäß das Konzept der Rechten, die Hegemonie zu erringen, das Vertrauen in die Allwissenheit des Journalismus und in den überlegenen Neutralismus der scheinbar standpunktlosen Wahrheitsbesitzer zu erschüttern.

Im Weg waren der Rechten die traditionellen Medien, trotz aller Kritik. Noch immer sind sie wegen ihrer Funktion – freundlich gesagt – als erweiterte Agora, – böse gesagt – als Öffentlichkeitssimulacrum unerlässlich für die Demokratie. Ich wollte in dieser Mini-Serie die These aufstellen, dass durch Kommerzialisierung und politische Instrumentalisierung diese Funktion traditioneller Medien schwindet. Aber auch, dass gleichzeitig die stolze Ausstellung ihres Neutralismus die Medien und ihre Journalisten nicht als entscheidende Sphäre ermächtigen, die über Politik und Gesellschaft entscheidet, sondern sie im Gegenteil schwächen, ihr eine ordentliche Legitimationskrise eintragen und sie als Angriffsziel der Demokratiefeinde prädestinieren.

Hat sich Journalismus aus allem herauszuhalten? Natürlich überhaupt nicht, das kann er gar nicht. Indem er so tut, als besetze er fett den archimedischen Punkt, der nur ihm allein zugänglich ist, macht er sich allen anderen zumindest unsympathisch.

Was muss er tun? Er muss die etablierten Verfahren anwenden, die eine redaktionelle Kultur erfunden und verfeinert hat: das Berichtete überprüfen, wieder überprüfen und zusehen, dass es stimmt (check, recheck, doublecheck). Den gleichen Vorgang auf den sprachlichen Ausdruck anwenden! Der Verfall des Qualitätsjournalismus ist auch dem Verfall in diesem Bereich geschuldet, der sich durch Kostensparen allein nicht erklären lässt.

Nicht der geringste Erfolg der digitalen Kultur besteht darin, diese kollektiven Verfahren tendenziell abzuschaffen und durch vages, fragwürdiges und manipulatives Gerede von „Schwarmintelligenz“ zu ersetzen oder an einzelne „Instanzen“ abzugeben.

Genauso wichtig ist es für guten Journalismus, sich klarzumachen, dass auch die allersauberst gecheckten Fakten nichts sind als – Fakten. Das heißt, gemachte, ausgemachte, nach bestem Wissen außer Streit gestellte Sachverhalte, die sich unter anderen Umständen anders darstellen können. Einst war es ein sauber gechecktes Faktum, dass die Erde eine Scheibe ist.

Deswegen bedarf es des Kommentars, der Kultur der Betrachtung, des Infragestellens der Fakten. Auch diese Kultur hat ihre Verfahren entwickelt, in der Geschichte der Vernunft ist das Schlüsseziehen gleichwertig mit dem Fragestellen. Weltbetrachtung braucht Naturwissenschaft und Reflexion, Darstellung und Erfindung, Bericht und Auslegung. Meinung und Auslegung allein verkommen zu Aberglauben, die Fetischisierung des Faktums führt zu Verarmung und Schwäche. Das ist natürlich kein Plädoyer, Fakten zu verfälschen, Tatbestände zu emotionalisieren oder zu entemotionalisieren.

Und manchmal bedarf es des Witzes, des scharfen Angriffs, der Polemik und der Satire, um Dinge sichtbar zu machen.

„Sagen was ist“, dieser von Journalisten gern Journalisten entgegengeschleuderte Anti-Haltungs-Slogan darf also nicht bedeuten, die Fakten zu präsentieren wie das Eichhörnchen die Nüsse und sich stolz-bescheiden das Denken zu schenken. Ich ziehe Eichhörnchen vor, die Nüsse nicht nur sammeln, sondern auch knacken und den Kern präsentieren können. Man kommt besser durch den Winter. –

Somit hat diese Kolumne Epidemiologen-Länge erreicht und wird abgebrochen, die Kurzserie gilt als beendet. Warnung. Nur vorläufig! Selten bekam ich übrigens so viele Briefe zum Thema. Schönen Sonntag!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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