Mehr Wut auf die Medien. Über unsere Kommunikationsverhältnisse.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 326

Armin Thurnher
am 05.02.2021

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Heute glänzt die Sonne, starker Wind hat den Nebel verblasen. Die gestrige Seuchenkolumne rief die erwarteten Reaktionen hervor. Ich ringe um Ausdruck, aber wofür sonst ist diese Kolumne da, wenn sich die Verantwortlichen bei Krisenmaßnahmen – wie jetzt in Tirol – wieder auf das zurückziehen, was in Gefahr und größter Not der falsche Weg ist: auf Zeit zu spielen.

Ich hingegen kann mit meinen Journalismus- und Machtgedanken auf Zeit spielen, das kostet keine Menschenleben, das ärgert höchstens ein paar Leute in meinem Publikum. Es tut mir leid, ich brauche Zeit.

Die Zurufe von der einen Seite, Journalismus habe einfach Fakten zu berichten, so wie sie sind, und im übrigen keine Meinung zu haben, halte ich für pure Ideologie. Es gibt die reinen Fakten nicht, die schöne Fiktion, man könne sie meinungslos präsentieren, ist das Vorurteil einer Profession, die sich daran gewöhnt hat, sich selbst, da mit kritischem Auftrag ausgestattet, jenseits jeder Kritik zu sehen.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite missversteht mich insofern, als wollte ich Aktivismus zum neuen Stil des Journalismus erklären. Nein. Ich halte den aufgeregten Stil mancher neueren amerikanischen Medien für ein Problem; die Aufheizung gesellschaftlicher Probleme, die nicht aus substantieller Auseinandersetzung kommt, sondern aus immer neuen, immer oberflächlicheren Erregungen der Korrektheit, die sich immer an den Nächststehenden reibt statt am Gegner, tendenziell für das Ende von Journalismus (und Politik) durch Hysterie und Sektiererei.

Wie bin ich überhaupt hierher gekommen? Ah ja, aus Verdruss über die Rolle von Medien, die Haltung als Aktivismus denunzieren. Und aus Verdruss darüber, dass Kritik am Journalismus mit Kritik an der Demokratie gleichgesetzt wird. Er ist das Gegenteil.

Manchmal scheint mir, als wäre Medienkritik und Journalismuskritik nur mehr als Lebensberatung zugelassen, als Lebenshilfe, wie man mit Trollen zurechtkommt oder die schlimmsten zwischenmenschlichen Verwerfungen bewältigt. Das alles ist gut und wichtig, aber, he, sollten wir nicht die Perspektive herstellen, in einem Land, dessen Medienlandschaft seltsam homogenisiert wirkt, dass man als Kritiker untragbarer Figuren oder allseits angebeteter Idole sich bereits vorkommt wie ein Sektenmitglied kurz vor der Ausstoßung aus dem Stamm?

NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, 1934 Foto Bundesarchiv

Oder vor der Eingemeindung in den feindlichen Stamm, der alles Journalistische am liebsten kurz und klein schlagen möchte. Dessen Kampfruf „Lügenpresse“, ein Lieblingswort von Joseph Goebbels, auf der anderen Seite die Wahrheitskirche trifft, die diesen Vorwurf nicht einmal ansatzweise zu verstehen vorgibt und einen als Kritiker sofort bestraft, ausgrenzt und neuerdings via das Stichwort „Aktivismus“ in die Fraktion der Lügenpresse-Rufer einreiht.

Mein Satz aus der gestrigen Kolumne, die jetzigen Medienzustände seien Ergebnis einer teuflischen Kampagne, ließ – das merkte ich an angedeuteten Reaktionen, es gibt ja fast nur mehr solche, und dann ganz lange Briefe – also dieser Satz ließ mich in den Augen einiger Menschen bereits zum Verschwörungstheoretiker werden. Nun, zugegeben, das war unterkomplex formuliert. Es ist alles kompliziert, aber so kompliziert auch wieder nicht.

Unsere neuen Kommunikationsverhältnisse sind das Ergebnis einer dreifachen Destabilisierung und einer dreifachen Modernisierung. Freunde des Denkens von Karl Polanyi werden jubeln. Dieser bedeutende, noch immer zu wenig bekannt Denker wies darauf hin, dass historische Entwicklungen immer Gegenbewegungen mit sich bringen: der Marktliberalismus die Totalitarismen, aber auch den New Deal zum Beispiel.

Widersprüchliches, wohin man schaut: wenn Kickls Kameraden am liebsten ORF-Kameras aufhäufen, mit Springerstiefeln bespringen und anzünden würden, während Kamerad Kickl Sprüche aus dem Vormärz zum Besten gibt und sich als bürgerlicher Revolutionär und Verteidiger des Rechts auf Meinungsfreiheit kostümiert. Leilei!

Bei den Medien könnte man folgende Bewegungen nennen: die Neoliberalisierung, auch die gedankliche, als Propagandabewegung, die mit sehr viel Geld jahrzehntelang weltweit eine Geisteslandschaft gestaltete, um die herrschenden „altliberalen“ oder sozialstaatlich orientierten Machtzentren der Publizistik (Qualitätszeitungen, öffentlich-rechtlicher Rundfunk) zu destabilisieren; zweitens die Marktliberalisierungen, vor allem der Regierung Clinton, die Eigentümerverantwortlichkeit auch bei Medien durch Shareholder-Value ersetzten; und drittens die Digitalisierung mit ihrer Totalkommerzialisierung nicht bloß der Medien, sondern der Einzelnen, die als befreite Einzelmedienunternehmer in den Datendienst der Techkonzerne treten.

Die Gegenbewegungen wären die Freiheitsgewinne für diese Einzelnen durch die Digitalisierung, der unglaubliche Zugewinn an Aufmerksamkeit, den wir einstreichen, und für den wir mit unserer Lebenszeit zahlen. Zweitens das Ende der Dominanz der Presse- und Medientycoons alter Schule (von denen nur noch Rupert Murdoch wirklich mächtig ist, auch er ein Auslaufmodell). Und drittens die Möglichkeiten autoritärer Regime, mittels neuer Medien illiberale Demokratie als Alternative zum Totalitarismus alter Schule durchzusetzen.

Wut, das Wischen am Smartphone und das Winken mit dem aktivistischen Zaunpfahl sind jeweils Resultat und Ausdruck so einer Bewegung oder einer Gegenbewegung. Habe ich mich verplaudert? Scheint so. Auf die Alternative „Aktivismus“ versus „sachlicher Faktenjournalismus“ komme ich demnächst zurück.

Angefangen habe ich mit dem Thema Machtwechsel, auch dieses wollen wir nicht vergessen. Wie kann man überhaupt von Machtwechsel sprechen, wo alle Macht – nicht nur Medienmacht – in der Hand der Türkisen ist? Und der rechte Rand voll Wut schon wieder in Richtung 20, 30 Prozent schielt? Und die möglichen Alternativen (die Neos ausgenommen) derart kümmerlich dahinwelken? Wo bist du, Sonne Hoffnung? „Nur um der Hoffnungslosen ist uns die Hoffnung gegeben“ (Korrektur: nicht von Ernst Bloch, wie hier zuerst behauptet, sondern von Walter Benjamin. Kommt davon, wenn man aus dem Gedächtnis zitiert).


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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