Die neue Wut auf den Journalismus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 325

Armin Thurnher
am 04.02.2021

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Da sitze ich und schaue hinaus in der Waldvierter Nebel. Wie fühle ich mich als Journalist in diesen Tagen? Grüß dich, du alte Sportreporterfrage, Emblem der Einfallslosigkeit, streng genommen nur mit einer Tachtel zu beantworten. Ich bin mir gegenüber aber nicht so und antworte artig.

Die Debatte zum Machtwechsel, die ich hier in mir angestoßen habe, ist im gängigen Verständnis völlig unjournalistisch. Ein Tabubruch. „Aktivistisch“, tönt es einem von Tonangebern des Journalismus entgegen. „Kampagnisierenden“ Journalismus mache man, was unlängst Christian Rainer im Nachrichtenmagazin Profil dem „sachlich-analytischen“ gegenüberstellte. Mit Blick auf den Kollegen Klenk, unsereiner fühlt sich mitgemeint.

Journalismus, heißt es, hat sich herauszuhalten, ein neutralen Beobachter zu ein. In wessen Verständnis? Im Verständnis der Journalisten, der medialen Sphäre, des System Journalismus, wie der Soziologe Niklas Luhmann das genannt hat. Zu diesem System gehöre ich, gehören Produzierende sowieso, aber auch Journalismuserklärer, was Wissenschaft mit einschließt. Der Einfluss einer Medienwissenschaft, die das Konzept neutralistischer Publizistik in die widerwilligen, aber wachsweichen Hirne heranwachsender Journo-Generationen drückte, ist nämlich nicht zu unterschätzen.

Diese Journalismus-Konzeption war und ist dennoch nicht aufrechtzuerhalten. Es gibt Kipppunkte in der Geschichte, oder einfach Punkte, wo Journalisten einen Missstand sehen, den sie nicht bereit sind zu ertragen. Dann berichten sie und dann handeln sie auch. In harmloser Form sieht man das bei karitativen Hilfsaktionen, wo Journalismus mit seiner multiplikativen Macht viel mehr bewirken kann als einzelnen Individuen je zu Verfügung steht, außer sie sind selbst, qua social Media-Gefolgschaft, medienartige, mächtige Wesen.

Die neue Erklärung der Menschenrechte wäre zum Beispiel nicht entstanden ohne die mediale Kampagne des Schriftsteller-Journalisten H.G. Wells in der englischen Herald Tribune. Er wollte Ende der 1930er Jahre der englischen Jugend klarmachen, wofür sie gegen die Faschisten kämpfte. Von dort gelangte die Artikelserie zum amerikanischen Präsidenten F. D. Roosevelt, der sie dann in einer Rede an die Nation zur Grundlage des US-amerikanischen Militäreinsatzes erklärte. Daraus wurde 1948 die Deklaration der Menschenrechte.

Wir kennen hierzulande neben den negativen Kampagne-Beispielen der Kronen-Zeitung auch andere. Zum Beispiel wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht, was er ist, hätte nicht eine Aktion österreichischer Chefredakteure, angeführt von Hugo Portisch, den Neutralismus abgelegt und ein Volksbegehren initiiert, das Rundfunk und Fernsehen aus der Dominanz der politischen Parteien befreien sollte.

Zu sehr greift Journalismus in die Welt ein, gestaltet sie mit, ob er es zugibt oder nicht, dass er so tun könnte, als hätte er mit ihrer Gestalt nichts zu tun. Der Journalismus ist immer Teil des Machtspiels, ob er sich ihm machtpolitisch zugehörig fühlt oder ob er sich zu ihm dissident verhält. Ins Neutrale sich zu verflüchtigen ist nicht möglich, bleibt Fiktion. Wichtig ist: er soll seinen Standpunkt klarmachen und begründen.

Derzeit kippen wir sehr schnell, geradezu traumatisch schnell in eine neue Phase des öffentlichen Spiels. „Ich bin schon seit ewigen Zeiten Journalist, aber so hasserfüllte Reaktionen auf Kommentare, Artikel habe ich noch nie erlebt wie derzeit. Ich fürchte tatsachlich, dass die Stimmung auf der Kippe steht und wir eine neue Form der Wutbürgerei erleben“, schrieb Kollege Michael Jungwirth von der Kleinen Zeitung kürzlich auf Twitter, und Armin Wolf retweetete es, in schweigender Zustimmung.

Immer lauter wird er, in beängstigenden Formen artikuliert er sich, der Unmut, wird zur nackten Wut auf Journalismus und Journalisten, äußert sich bei Demonstrationen in Akten der Aggression und Zerstörung und in den sogenannten sozialen Medien als unflätiger Hass. Vor dem Kapitol greifen sie Journalisten an und zerstören Kameras, filmen es mit Handies, und flugs wird es über Soziale Medien und Soziale Medien in Mainstreammedien zum Handlungsvorbild für unsere hiesigen Möchtegern-Minikapitolisten.

Das alles ist auch Ergebnis einer wohlfinanzierten, teuflisch konzipierten Kampagne, von der noch zu sprechen sein wird. Darf ich vorher einen unangenehmen Gedanken äußern, der mir beim Blick in den Nebel kam? Ein Teil des Hasses, möchte ich behaupten, ist darin begründet, dass Journalisten auf ihrem Neutralismus beharren, der doch offenbar unmöglich ist. Dass sie diese Position des Neutralismus so überlegen ausspielen, dass sie von ihrer Macht abstrahieren, ihre Macht hinter dieser Position verbergen und so erscheinen, als seien sie aus reinen Fakten geborene Welterklärer, neutral wie Quellwasser, während sie doch auch Weltgebieter sind, Verbündete der Mächtigen, so oder so, das wird besser durchschaut als sie vielleicht meinen.

Die Querdenker, Wutbürger, Faschisten und Verzweifelten haben nicht recht, aber sie haben, wie man heute gern sagt, einen Punkt, ein Pünktchen, wenn sie „Lügenpresse“ brüllen.

Thank You, Fog, heißt ein Gedicht von W. H. Auden („No summer sun will ever / dismantle the global gloom / cast by the Daily Papers / vomiting in slip-shod prose / the facts of filth and violence / that we’re too dumb to prevent…“)

Der Gedanke mit dem Pünktchen kann natürlich nicht so stehenbleiben. Für heute tut er’s doch.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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