"Ein goldenes Zeitalter von Gedicht und Macht." Poesie als amerikanischer Moment

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 312

Armin Thurnher
am 22.01.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Inaugurationen demokratischer US-Präsidenten sind seit John F. Kennedy Momente der Dichtung. Kürzlich las ich, Lyrik sei im Trend oder im Kommen oder wo. Da kann ich beruhigen, sie ist immer im Kommen und im Gehen. Sie bringt es immer zum Höchsten und nie zu etwas. Darüber soll man sich nicht täuschen. Was bleibt, ist die Frage, warum wir sie mögen, warum wir sie lesen. Warum wir versuchen, sie zu schreiben.

Es ist das Ringen um sprachlichen Ausdruck in der kleinen Form. Verdichtung. Natürlich gibt es sie, die geschwätzigen Epen, aber auch sie sind meist streng in der Form. Überhaupt folgt Lyrik anspruchsvolleren Bauprinzipien als dem vierhebigen Vers mit Endreim. Neben einer asklepiadische Ode zum Beispiel sieht so ein von mir täglich dem Bald-Exnationalratspräsidenten Sobotka auf Twitter hingeschleuderter Zweizeiler aus wie ein Sandküchlein verglichen mit der Villa Malaparte am Meer.

Aber alle fangen wir klein an. Wir müssen nicht alles verstehen, was wir bewundern. Das gelungene Einfache ist oft genug das Schönste.

Es ist nicht zu übersehen, dass das Lyrik-Ping-Pong, das Claus Pándi und ich seit einiger Zeit auf Twitter miteinander veranstalten, nicht nur zunehmend mehr Publikum findet, sondern zum Mitmachen animiert. Menschen twittern ihre Lieblingsgedichte, es ist ein kreativer Wettbewerb. Manche echoen meine Spottverslein und machen neue, bessere. Es sind Menschen wie du und ich, aber auch echte Dichter dabei. Daniel Wisser, Konrad Prissnitz haben schon vor- und nachgereimt, Clemens Setz ließ sich blicken, Humorist Fritz Rabensteiner und begabte Amateurinnen und Amateure tun mit.

Schön wär’s, würde sich hier, so spaßig und ungelenk es auch von meiner Seite oft ist, eine Art poetische Kultur abzuzeichnen beginnen, die nicht nur auf die verdienstvollen Institutionen beschränkt ist, wie zum Beispiel auf die Alte Schmiede in Wien, die Schule für Dichtung, auf Poetry Slams  oder auf die meistgehörte Radiosendung des Senders Ö1, „Du Holde Kunst“.

Ein Schulfach Poesie! Universitätsstudien! Stipendien! Dichter und Dichterinnen im Lehramt, auf allen Ebenen! Dafür den Imperativ „Digitalisiert euch!“ kübeln, und die Welt wäre besser.

Donald Trump war nicht viele Verse wert, obwohl der Reim „History’s Dump“ den angemessenen Ort bezeichnet, auf dem wir ihn leider so schnell nicht finden werden.

Die Inauguration des Präsidenten Biden bescherte uns immerhin die Begegnung mit der 22-jährigen Amanda Gorman. Die Harvard-Studentin bringt demnächst zwei Gedichtbände heraus, einen davon für Kinder. Es handelte sich also nicht nur um ihre 15 Minuten Weltruhm. Das konnte man nur bei uns für möglich halten, wo Zeitungen ihr mit Staunen attestierten, es mit 22 Jahren zu einem „selbstgeschriebenen Gedicht“ gebracht zu haben. Allerhand. In diesem Alter hatte Arthur Rimbaud schon seit drei Jahren mit dem Dichten aufgehört.

Aber vom Schwachsinn wollen wir uns nicht schwach machen lassen. Gorman war rührend, sympathisch und in ihrer heilig-amerikanisch-optimistischen Mischung von Anrufung, Abendgebet und Rap eingängig und herzerwärmend.

Vier US-amerikanische Präsidenten, vor allem demokratische, ließen ihre Inaugurationen nicht nur von (Pop-)Musik, sondern von Lyrik umrahmen. Die kulturlose Kulturnation Österreich kommt nicht auf solche Ideen. Joe Bidens Frau*, hieß es, hörte Gorman bei einer Lesung in einer Bibliothek und engagierte sie spontan für die Inauguration.

Welcher unserer Politiker würde sich bei einer Dichterlesung erwischen lassen? Dafür sind sie doch zu wichtig! Poesie, das ist doch bloß für Kulturverliebte! Es war John F. Kennedy, der als erster auf die Idee kam, den ikonischen Dichter Robert Frost zu seiner Inauguration einzuladen. Dieser schrieb dafür eigens einen langen Vorspann zu seinem kurzen Gedicht „The Gift Outright“ . Aber bei der Zeremonie im Jänner 1961 blendete die tiefstehende Sonne den 87 Jahre alten Frost so stark, dass er die neue Kreation nicht lesen konnte. Obwohl Vizepräsident Lyndon B. Johnson versuchte, Frost mit seinem Hut Schatten zu spenden, ging es nicht. Also rezitierte Frost kurzerhand aus dem Gedächtnis das viel kürzere Hauptgedicht.

Es war weit besser so und wurde zur Stunde des Ruhms für Frost. „A golden age of poetry and power / Of which this noonday’s the beginning hour“ hatte er in seinem Vorspann ausgerufen, einem traditionellen, eher platten und nicht besonders gutgelungenen Preisgedicht.

Was fällt uns hier zu Dichtung und Politik ein? Allenfalls der Schriftsteller Thomas Bernhard, wie einen ÖVP-Minister so ärgert, dass der türenschlagend den Saal verlässt**. Oder sein Kollege Oswald Wiener, nach der „Uniferkelei“ ins Berliner Exil getrieben. Oder Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, von faschistischen Politikern per Plakat angekübelt.

Die kulturlosen Amis können das besser.

Jackie Kennedy, die Frau John F.’s, sah man bei uns vor allem als Mode-Ikone und Illustrierten-Schönheit. Es war vielleicht ihre Liebe zur Poesie, die ihren Mann zu Frost brachte. Nach ihrer Scheidung von Aristoteles Onassis arbeitete sie als Lektorin. Jackies Tochter Caroline gab ein Buch heraus mit dem Titel „The best loved Poems of Jacqueline Kennedy-Onassis.“ Darin finden sich beide Frost-Gedichte, das ungesprochene und das gesprochene, aber auch Gedichte von Whitman, Langston Hughes, Christina Rossetti und vielen anderen bis zu Yeats, Shakespeare und Pindar. Und ein paar Gedichte von Jackie selbst.

Im Vorwort zitiert die Tochter ihren Vater John  F. Kennedy: „Wenn Macht einen Menschen arrogant macht, erinnert ihn Poesie an seine Grenzen.“

Der rührende Moment mit der jungen afroamerikanischen Dichterin Gorman in gelbem Kleid und rotem Hut, strahlend gegen die Sonne deklamierend, in vollem Ernst und halbem Kitsch, vermittelte der Welt etwas von einer „beginning hour“. Hören zu wollen, was diese geschlagen hat, ausdrücken zu wollen, was sie zu verkünden hat, auch das ist Amerika. Nach all den Lügen und dem Schmutz, in der Stunde der Macht ein paar Minuten reinerer Luft. Kein „golden age of poetry and power“. Aber ein Atemholen. Auch nicht ganz wenig.

* Der Text wurde hier korrigiert; urspünglich hieß es: Joe Biden

** Der Text wurde hier korrigiert; er enthielt ursprünglich die falsche Mitteilung, TB habe türenschlagend den Saal verlassen, in Wahrheit war es der Unterrichtsminister Piffl-Percevic.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!