Ein oder zwei Dinge, die Sie über Joe Biden vielleicht noch nicht wussten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 311

Armin Thurnher
am 21.01.2021

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Als er vorgestern in Delaware sprach und sich nach Washington verabschiedete, wischte er sich Tränen aus den Augen. Wen würde das nicht rühren? Ich wischte gleich mit. Vor allem, weil Joe Biden sagte, er wünschte, nicht er würde nun demnächst als Präsident angelobt werden, sondern sein Sohn Beau.

Da fiel mir wieder ein, was für eine Unglücksgestalt dieser Joe Biden doch ist, dem man noch vor einem Jahr nichts zugetraut hätte, auch ich nicht. Das Attribut „Sleepy Joe“, das ihm Giftriese Trump zudachte, schien zu passen. Bei Debatten verblasste er gegen seine Konkurrenz. Nicht nur Bernie Sanders, auch Elisabeth Warren und Kamala Harris ließen ihn unattraktiv aussehen. Dann kam South Carolina. Der einflussreiche afroamerikanische Kongressabgeordnete Jim Clyburn, ein geeichter Lobbyist, Washingtoner Sumpf wie er leibt und lebt, stellte sich als Königsmacher hinter ihn. Biden gewann North Carolina gegen Sanders, der bis dahin uneinholbar zu führen und das sogenannte Momentum auf seiner Seite zu haben schien.

Daraus wurde nichts. Denn die Angst vor einem Linksruck einte die demokratischen Kräfte. Bernie verlor die nächsten Primaries in Serie und gab bald danach nicht nur auf, sondern stellte sich hinter seinen Rivalen, um den Sieg über Trump sicherzustellen.

Ein Akt der Loyalität, der rückblickend noch einmal gewürdigt werden soll.

Unglücksgestalt blieb Joe Biden doch. Er hat so viel Tragisches erfahren, dass es für drei Leben ausreichen würde. Ein furchtbarer Autounfall tötete Frau und Tochter und verletzte beide Söhne Bidens. Sein geliebter Sohn Beau starb mitten in einer hoffnungsvollen politischen Karriere 46jährig an einem Gehirntumor.

Man fragt sich auch, warum diesem Mann nun im Weißen Haus auf einmal das Glück lachen soll. Er habe soviel Schmerz erlitten, sagt er in seiner Autobiografie, dass er automatisch, durch sein bloßes Erscheinen, bei Trauerfällen anderen Trost spende. „The most gothic figure in American politics“ nannte ihn Fintan O’Toole in der New York Review of Books. „Er wird vom Tod heimgesucht, nicht nur von den privaten Tragödien, die seine Familie erlebt hat, sondern auch von einem größeren und öffentlicheren Gefühl des Verlustes.“

Denn er hatte noch eine andere, ein politische Beziehung zu den Toten. Als junger, strahlender irisch-katholischer Politiker stilisierte er sich zum jungen John F. Kennedy und beweinte diesen und dessen ermordeten Bruder Robert. Er fühlte sich als Erbe dieser Toten, und dazu noch von Martin Luther King, dem schwarzen Bürgerrechtler. Das Erbe dieser früh ermordeten Hoffnungs-Generation wollte er fortsetzen. Über Robert Kennedy sagte er: „Ich war an der Seite eines ermordeten Helden.“

O’Toole geht so weit, Biden den „Totenbeschwörer“ der amerikanischen Politik zu nennen. Totengedenken war denn auch ein zentraler Moment seiner Antrittsrede als Präsident. Bei ihm schien das mehr als das übliche Zeremoniell zu sein. „Promises to keep“ nannt Biden seine politische Autobiografie und bezog sich damit auf das berühmte Gedicht „Stopping by Woods on a Snowy Evening“ von Robert Frost: „But I have promises to keep, / And miles to go before I sleep.“ Diese letzten zwei Zeilen dieses Gedichts benützte Kennedy als Schluss seiner Wahlreden. (Bei der Inauguration John F. Kennedys rezitierte Frost ein anderes seiner Gedichte, eine spannende Geschichte, die hier zu weit führt.)

Biden bezieht seine Versprechen auf jene der durch Attentate ermordeten Bürgerrechtsgeneration, auf die Versprechen eines besseren, anderen Amerika, dessen zivile Perspektiven durch Richard Nixon und dessen soziale durch Reagan, Clinton und die Bushes verdüstert wurden. Wäre das nicht geschehen, wäre Trump bei der Arbeiterklasse mit seinem Versprechen, diese wieder groß zu machen, nicht durchgekommen.

Dabei war Biden keineswegs selbst ein militanter Bürgerrechtler. Ihn fand man nicht auf der Straße, ihn fand man in den Büros und den Hinterzimmern der Politik. Ihn fand man auch als Lobbyisten der Finanzindustrie, was seinen Sohn Hunter, dessen Karriere er dort begünstigte, wohl nicht zu Unrecht ins Visier der Trumpisten brachte.

O’Toole weist darauf hin, dass die Bidens in Kategorien einer Dynastie denken, wie die Kennedys, die Clintons, die Bushes und viele andere (und leider muss man sagen, auch die Trumps. Dieses dynastische Denken häuft sich merkwürdigerweise in der größten Demokratie der Welt.) Deswegen erwähnte Biden in Delaware eigens noch einmal die Hoffnungen, sein Sohn Beau hätte Präsident werden sollen; nach ihm, Joe, selbstverständlich.

Mit seinen Schmerzerfahrungen, mit seinem Pochen auf die irisch-katholische Seite in sich knüpfe Biden nicht nur an den Kennedys an. Das Irisch-Katholische verleihe ihm etwas eminent Empathisches, etwas, das ihn dazu befähigt, andere, die Schmerz erleben, glaubwürdig zu umarmen, ihnen die Hände aufzulegen, sie zu berühren.

Deshalb können auch, abseits aller dunklen Seiten der persönlichen und auch der politischen Biografie (die wir heute weitgehend beiseite lassen) viele Menschen annehmen, Biden habe die Fähigkeit, eine Nation zu heilen, die unheilbar zerrissen scheint. Nach dem Soziopathen Trump nun der Empathiker Biden. So sehr man Kategorien wie „Heilung“ außerhalb von Medizin und Theologie skeptisch gegenüber stehen muss, so sehr sie der Übersetzung in handfeste Realpolitik eines ganz neuen New Deals bedürften, so sicher ist, dass das Vertrauen in die versöhnende Fähigkeiten eines Menschen die Voraussetzung dafür ist, dass diese Versöhnung wenigstens öffentlich vorgemacht werden kann. Und öffentliche Imitation ist manchmal das Vorzeichen, vielleicht sogar der Vorläufer der wirklichen Sache. Manchmal. Vielleicht. Amen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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