Wenn alle Geduldsfäden reißen, knüpf ich mich auf.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 309

Armin Thurnher
am 19.01.2021

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Ich stecke in einem saftigen Dilemma.

Gestern feierten die Dioskuren von Austrotwitter, die Kollegen Klenk und Wolf, völlig zu Recht wieder einmal einen Text des neuerdings nicht mehr unterschätzten Kollegen Christian Nusser. Castor Wolf merkte an, die Zeitung mit den kürzesten Texten habe die längste Recherche zur Presskonferenz des Kanzlers gebracht. Pollux Klenk setzte noch drauf, solche Texte erschienen sonst in der Süddeutschen Zeitung auf Seite Drei.

Statuen der Dioskuren auf dem Kapitol in Rom Foto @ Lalupa

Alles richtig. Außerdem erkennt man hier den Unterschied zwischen Print und Internet. Ich habe mir schon einmal die Frage erlaubt, was es uns sagt, dass einer wie Nusser Chefredakteur von Heute ist und nicht in der Presse schreibt. Wo, wie man meinen sollte, die Tradition ihrer großen Feuilletonisten gepflegt wird. Ich nannte Nusser damals schon den Daniel Spitzer unserer Tage, was nach einer kurzen Nachschau bei Wikipedia zu Recht als Kompliment empfunden wurde.

(Wohingegen – kleiner Einschub – ich das mir vor kurzem von Peter Plaikner, einem anderen Kollegen, zugedachte Attribut des Zu-Spitzers eher kritisch auffassen musste.)

Spitzer, als Sinnbild für Zuspitzen

Ich druckte dann sogar einen Textausschnitt von Spitzer ab, den selbst der gnadenlose Karl Kraus bewunderte. Der rasante Zuwachs der Abonnentinnen und Abonnenten dieser Kolumne gestattet es mir, das alles zu wiederholen, weil ich davon ausgehen kann, dass diese am Anfang dieser Kolumne getanen Äußerungen sich nicht ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.

Nussers Text wurde von den Austrotwitter-Dioskuren natürlich zu Recht gefeiert; Nusser hat eine sanfte Art der Bosheit, die mir leider nur selten zur Verfügung steht, und die Milde seiner Ironie verleiht nicht nur seinen Ausführungen Glanz, sondern auch deren Objekten. Selbst wenn er sie gnadenlos ersäuft, tragen sie doch noch ein elegantes Schaumkrönchen, und nachdem er sie kühl gekübelt hat, schimmern sie immer noch charmant nach.

Gegen Nussers Erzählung, wie es zum Lockdown kam, kann das Büro schon deswegen nichts einwenden, weil es seit Jahren vom Kanzler nicht mehr angerufen wurde, was offenbar allen anderen im Journalismus alle Daumen lang passiert, wovon sie dann in Kolumnen berichten können; informativ-glänzend wie Nusser oder peinlich sich zum Berater aufschwingend wie Kolumnist Unrat Michael Jeannee.

An dieser Stelle möchte ich gerne einschieben, dass dies nicht als Aufforderung zum Kanzler-Anruf aufgefasst werden möge. Ich bin gewiss der Journalist mit der geringsten Zahl an Anrufen von Politikerseite und bin unangerufen froh und zufrieden. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass Interventionen bei mir sinnlos sind und meine Lust, guten Rat zu geben, nicht vorhanden ist, zumal ich sicher bin, dass den eh niemand braucht.

Ich las also Nussers Kolumne und teilte die Begeisterung der Dioskuren. Leider wurde ich beim Lesen etwas unruhig. Denn mir wurde klar, dass die Informationen, die der Kanzler offenbar im Lauf der vergangenen Woche bekam, er längst bekommen hätte können, hätte er die Seuchenkolumne gelesen. Dass und warum der Impfstoff jetzt knapp wird, zum Beispiel.

Ich hatte schon die Hand am Twitterknopf, wie Claus Pándi, mein Partner in lyricis, das ausgedrückt hätte, ja, ich hatte schon ins Twitter hineingetippt, dass ich diese Nusser-Empfehlung teile, den Link hatte ich auch schon hineinkopiert, das Kurz-Bild poppte schon auf, aber als ich dazutippte, die Menschen, selbst wenn sie Kanzler wären, hätten all das wissen können, was ihre Handlungen noch deutlich präsentabler und auch sinnvoller gemacht hätte, zog ich die Hand zurück und löschte alles.

Denn der Vorgang brachte mir in mein altes Dilemma mit dem mindestens einmal in der Woche hier gastierenden Epidemiologen Robert Zangerle frisch zu Bewusstsein. Ich darf den Mann nicht loben, sonst wird er grantig und hört vielleicht auf zu schreiben. Das wiederum hieße, dass das geschätzte Publikum dieser Kolumne um Informationen umfiele, mit denen es sozusagen immer die Nase vor dem Kanzler hat, der doch den ganzen Tag mit den Epidemiologen von ganz Europa telefoniert und dem der Geduldsfaden reißt, wenn diese Brodler nicht bald das Astra-Zeneca-Zeug da zulassen.

Und der jetzt draufgekommen ist, dass wir eine Sieben-Tages-Inzidenz von 50 oder darunter brauchen. Das wissen wir Zangerle-Leser nun doch schon seit einem Dreivierteljahr. Man muss ja nicht alles wissen, dachte ich, und schreibe es halt in diese Kolumne.

Die einzige Blödheit, die mir dann noch einfiel, war mein Witz zum chinesischen Impfstoff. Sinovac heißt der, und wenn man ihn gut kroatisch ausspricht, heißt er Sinowatz. Ich glaube kaum, dass man mehr für einen Impfstoff in Österreich tun könnte, als ihn Sinowatz zu nennen. Host du scho an Sinowatz? Na, i hol man morgen!

Sinowatz wäre das Ende aller Impfskeptiker. Wie sagte der weiland Kanzler? Es ist alles so einfach, wenn man nur will! Und der Kanzler? Vielleicht ruft er seinen Freund Bibi an und fragt, was der ihm rät. Oder den Nusser.

 

P.S.: Der Titel der Kolumne ist ein abgewandeltes Nestroy-Zitat: „Wenn alle Stricke reißen, häng ich mich auf.“


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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