Kanzler unser: was hätte er denn sagen sollen?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 308

Armin Thurnher
am 18.01.2021

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Was hätte er denn sagen sollen? Diese Frage wurde zum Schutz des Kanzlers vorgebracht, als dieser einmal eine Woche lang schwieg. Sein Schweigen war nicht besserer Einsicht geschuldet, sondern dem Aschbacher-Schock und dem Echo, das er daraufhin aus den Reihen sogar der eigenen Medien und selbst der günstig gemachten Medien erhielt.

Earned Media, wohlverdiente Medien, also Medienberichte, die sich einer verdient hat, ist ein amerikanischer Ausdruck. Er beschreibt, was in Medien geschieht, wenn ein Politiker aufgrund seiner schieren Attraktivität Medienzeit und -platz erhält (Donald Trump ist das Beispiel, leuchtend mag man es nicht nennen).

Der Gegenbegriff sind bought Media, gekaufte Medien. Sei es in dem Sinn, dass Politik Präsenz durch Werbung erkauft oder, wie in Österreich, durch Zuwendungen indirekter Art, durch Regierungsinserate, Medienhilfe und Presseförderung.

Kurz erhielt also vergangene Woche wohlverdiente Medienzeit, aber er dachte wohl, er hätte Besseres verdient. Er war, wie Thomas Sykora das ausdrücken würde, „a bissl weit hinten mitm Schwerpunkt“ und selbst Oliver Polzer hätte die Frage gewusst: „Wie kommt er wieder in die Vorwärtsbewegung hinein?“ Kein Problem für Kurz. Als Reaktion auf das Aschbacher-Debakel zog er hurtig Martin Kocher aus dem Köcher, was sich als zweischneidig erwies: Das undankbare Medienvolk hörte zwar im Augenblick auf, über das von mir „Unschärfe-Inkompetenz-Prinzip“ genannte Prinzip Aschbacher zu sprechen. Dafür fing es an zu fragen, warum nicht überall Experten oder wenigstens fachkundige Menschen ans Ruder kämen.

Darauf konnte Kurz erst recht nur schweigen, zumal er drittens vor der unübersehbaren Tatsache stand, dass die neueste Mutation des Sars-CoV2-Virus das von ihm in Aussicht gestellte Ende des Lockdowns schon wieder vermasselte. Die Frage, warum Frau Merkel solches immer schon ein paar Wochen vor Kurz erkennt, stellen wir ebenfalls nur aus rhetorischen Gründen.

Kurz musste die Funsel vom Ende des Tunnels wieder abhängen und zum xten Mal den Unglücksminister Heinz Fassmann erneut blamieren, der vergebens auf einer Öffnung der Schulen beharrt hatte. Fassmann ist eine wirklich tragische Figur. Bemüht, für sein Fach wenn nicht direkt qualifiziert, so doch wenigstens beseelt, sozusagen als Honoratiorenfigur im Kabinett der Taferlklassler für die Rolle der Respektsperson vorgesehen, wird er von den Schulbuben permanent wie ein Schulbub abqualifiziert, übergangen und lächerlich gemacht. Er lässt es sich gefallen, mit einer Langmut, die zwischen Engels- und Eselsgeduld schwankt.

Was hätte er denn sagen sollen? Diese Frage war zur Entlastung des Kanzlers gedacht.

Als er gestern endlich sprach, tat er dies mit einiger Würde. Es war tatsächlich einer seiner erträglicheren Auftritte, der schon dadurch gewann, dass Kurz vorher eine Zeit lang nichts gesagt hatte. Was er sagte, außer dass er – richtigerweise – den Lockdown verlängerte, hätte er längst in der Seuchenkolumne lesen können. Nicht bei mir, beim Epidemiologen Zangerle, der seit Ausbruch der Seuche hier festhält, dass eine Inzidenz von unter 50 erreicht werden muss, ehe man von Normalität auch nur sprechen kann, und den ich im folgenden weiter zitiere.

Natürlich twitterte Kurz gleich wieder, dass Österreich vorn dabei ist, im „vorderen Drittel der EU“ und so – waren wir nicht einmal die allerbesten? Wer hat’s versemmelt? Und dann die Allerschlechtesten? Wer war daran schuld? Derlei Kinderkram könnte sich Kurz anfangen zu ersparen.

Was also hätte er sagen sollen?

Er hätte sagen sollen, warum der Impfstoffnachschub länger braucht, als wir möchten (wegen der mühsamen Produktion bei den zugelassenen zwei Impfstoffen, wegen der schwierigen Zulassungsvorgänge bei Astra-Zeneca, wir warten da auf die USA).

Er hätte sagen sollen, dass die globale Impfgerechtigkeit auch zu unserem eigenen Schutz eine global gerechte Verteilung erfordert (was nützt uns nationale Immunität, wenn sie anderswo nicht erreicht wird und von dort bumerangartig zu uns zurückkommt?) und deswegen die Bestellung durch die EU völlig in Ordnung ist. Und ich dachte mir weiters, dass Kurz-Anrufe bei Frau Von der Leyen Gespräche für die Fische sind und seine Mitteilungen davon Übungen in Volksverdummung, die er uns ersparen möge.

Er hätte sagen sollen, dass wir uns nicht auf ein Lichtlein irgendwann freuen sollen, sondern dass es keine Gewissheit gibt, nicht einmal für ihn, den allwissenden Klassenstreber, der vorhat, demnächst in Epidemiologie zu maturieren.

Er hätte sagen sollen, dass wir uns in einer fundamental ungewissen Situation befinden, in der er als verantwortlicher Politiker zwar am Ende handelt und entscheidet, aber erst, nachdem er alles gehört hat, was Forschung zu bieten hat. Weswegen er aufhört, den Wissenden zu spielen („Habe immer schon gesagt…“) und sich und seinesgleichen aus der öffentlichen Kommunikation in Zukunft weitgehend heraushält.

Er hätte sagen sollen, dass im Gegenteil mit weiteren Mutationen des Virus zu rechnen ist, wenn die Immunität durch Impfung wächst, weil das Virus kreativer wird, wenn sich sein Operationsgebiet verengt.

Er hätte sagen sollen, dass er ab jetzt nur mehr zu uns spricht, wenn es wirklich wichtig ist und nicht jede blöde Pressekonferenz mit seiner unverdienten Präsenz verziert. Und dass er den steirischen Landeshauptmann Schützenhöfer, der ja nur eine quasselige, plumpere und weniger gegroomte Variante von ihm, Kurz, darstellt, uns und sich künftig überhaupt erspart. Überhaupt, wenn er, für die türkise Partei der parteiischen Spalter und Hetzer gegen das Rote Wien sprechend, salbungsvoll die Hände über der endlich erreichten Einheit ausbreitet.

Kurz hätte sagen sollen, dass er alle seine Kreativität und die seiner Kollegen nicht darauf richtet, irgendwelche Lobbyinteressen zu bedienen oder zu beschwichtigen und irgendwelche Bekanntheitsprofite für sich abzumelken, sondern darauf, vernünftige Verhaltensweise auf vernünftige Weise zu kommunizieren.

Er hatte sagen sollen, dass ein Lockdown vielleicht durch ein Bündel von Maßnahmen ersetzt werden kann, die, wenn von einer einsichtigen Bevölkerung eingehalten, möglicherweise wirksamer sind als das Zusperren von allem, vor allem aber als das Auf-Zu-Auf-Zu, das er nun kritisiert, obwohl er selbst maßgeblich daran Schuld hat.

Er hätte sagen sollen, dass er alle Energie darauf verwenden würde, endlich die Leute zu diesem Verhalten zu motivieren, das ihnen nicht zuletzt durch sein Verhalten und das seiner Kolleginnen und Kollegen mies gemacht wurde.

Während ich ihm zuhörte, wie er es trotz allem, was er nicht sagte, gar nicht so schlecht machte, und schon die Reaktionen voraussah, die ihn natürlich darin bestärken würden, genauso weiterzumachen, wie er angefangen hatte, dachte ich erstens, nein, ich möchte kein Politiker sein, der dieser Öffentlichkeit Maßnahmen kommuniziert. Und zweitens, nein, so kommen weder er noch ich aus unserer Haut heraus.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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