Essen Sie das Gefühl!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 307

Armin Thurnher
am 17.01.2021

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Ich mag nicht immer über Corona-Leugner, Politik, Donald Trump und Musik reden. Sogar die Poesie vermag ich fallweise beiseite zu lassen, während sich der faule Kater vor dem Ofen selbst beiseite legt. Das Programm dieser Kolumne verspricht bekanntlich auch fettes, ungesundes Essen. Keine Angst, ich habe es nicht vergessen. Ehe ich dazu komme, möchte ich zu meiner Ehrenrettung sagen, dass ich mit Irena Rosc ein Kochbuch gemacht habe, das ich noch immer gerne benütze und das neben einigen ungesunden eine Menge durchaus gesunder Gerichte beinhaltet.

Wobei ich der altmodischen Absicht zuneige, dass Essen dann gesund ist, wenn man es gern isst. Man wird nicht in Fett baden, aber auch über Fett sagen die einen so und die anderen so. Zum Beispiel erzählte mir Stephan Gruber, der Gründer eines sehr empfehlenswerten Käseversands einmal, er habe einen Vorarlberger Alpkäse auf dem Institut in den Kernspintomografen gelegt (Stephan ist studierten Physiker) und feststellt, dieser sei voller Omega-Fettsäure, fast wie ein Lachs. Dessen Ruf als Nahrung der Zukunft  aufgrund übler Praktiken in Fischfarmen und der mikroplastikverseuchte Meere auch schon wieder Vergangenheit ist.

Es ist also alles im Fluss (außer dem Lachs), sodass man sich manchmal einfach an einen guten alten Kindheitsgeschmack klammert. In meinem Fall gelang es mir, Kindheitsgeschmack mit Jugendglück zu kombinieren.

Kindergeschmack: das war bei uns zuhause zum Beispiel der italienische Salat. Der wird am 24. Dezember in großer Menge zubereitet und in einer porzellanenen Schüssel aufbewahrt, sodass er in den nächsten Tagen zu jeder Hauptspeise ausreichend vorhanden ist.

Für den italienischen Salat à la Mère Thurnher, die mit ihren 101 Jährchen übrigens noch immer kocht und nebenbei gesagt gespannt darauf wartet, ob sie verständigt wird, dass für sie ein Impfdösle bereitstünde, wie man in Vorarlberg sagen würde, aber das wird schon noch kommen, wir zählen nicht die Tage, – für diesen italienischen Salat also braucht man speckige Erdäpfel, Sellerie, Karotten, hartgekochte Eier, Essiggkurken, gekochten Schinken und Mayonnaise. Von den Erdäpfeln etwas mehr als vom Rest. Gemüse bissfest kochen, auskühlen lassen (gekochte Sellerie in Zitronensaft, damit sie nicht bräunt), alles in recht kleine Würfel schneiden. Mayonnaise von zwei Eidottern zubereiten, eventuell mit etwas Joghurt strecken. Behutsam vermischen, mit Salz und weißem Pfeffer würzen, am besten an einem kühlen Ort über Nacht durchziehen lassen.

Vegetarier nehmen statt des Schinkens gekochte Erbsen (tiefgekühlt jederzeit verfügbar) und erhalten dann, was man in Wien französischen Salat nennt oder auch Gemüsemayonnaise. Altmodischer geht es kaum, meinen Sie?

Oh doch, denn da fiel er mir ein, der Traum unserer studentischen Jugend, als man in Lokalen außerhalb der Unimensa oder der WöK sich selten ein Essen leistete. Die WöK, Wiener öffentliche Küche, war realer Sozialismus, da gab es Mittagessen um fünf Schilling in diesen kantigen rechteckigen Tellern mit den Fächern, Augsburger mit gerösteten Erdäpfeln, dazu Salat, das war Chinakohl in Zuckerwasser.

Aber da gab es auch diese Imbissstuben voller Brötchen auf glänzenden Tabletts mit weißem Papier mit durchbrochenem Rand, Mayonnaise-Eiern, Schwechater Bier und Pago-Fläschchen. Die luxuriöseste dieser Stuben war das Mounierstüberl in der Kärntnerstraße, ein Sechzigerjahre-Architekturjuwel im ersten Stock, das den Stilpapst Gregor Eichinger stark inspirierte. Dort warteten in der Glasvitrine die Königin der Appetithappen, denen man spätabends manchmal nicht widerstehen wollte: mit einer zarten Schicht Aspik überzogen, auf einem Salatplatt präsentiert, mit einem Körbchen Gebäck serviert: die Schinkenrolle. Kostete elf Schilling, ein kleines Bier dazu, und man blieb unter zwanzig, das war die absolute Obergrenze eines Lokalbesuchs, aber manchmal musste es eben urbaner Luxus sein.

Diese Schinkenrolle fiel mir ein, als wir bei der Biobauernfamilie Mayer im Nachbarort die Ergebnisse der traditionellen Schlachtung besichtigen, Bauchspeck und prachtvollen Schinken von Schweinderln, die wir noch persönlich kannten.

Zuhause den Schinken in etwas dickere Scheiben geschnitten (Aufschnittmaschine ist dabei hilfreich), italienischer Salat eingefüllt, Schinkenplus in Kauf genommen, eingerollt, fertig. Auf den Aspik verzichtete ich leichten Herzens.

Da hatte ich sie nach vielen Jahren wieder, meine Schinkenrolle.

Falls Ihnen dieser Genuss nicht reicht und Ihnen nach Politischem zumute ist: nehmen sie die Rolle als Sinnbild dafür, wie Sie von der Regierung in der Pandemie behandelt werden. Fühlen Sie sich gerollt. Tun Sie etwas dagegen, essen Sie das Gefühl! Sie werden es nicht los, aber Sie werden den Versuch nicht bereuen!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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