Denk ich an die USA in der Nacht …

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 305

Armin Thurnher
am 15.01.2021

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Das Gedicht „Das Zweite Kommen“ (früher übersetzt mit: Das Jüngste Gericht) von William Butler Yeats kam mir wieder in den Sinn, ich habe es in einer Seinesgleichen-Kolumne im Falter schon ein-, zweimal zitiert. Man erinnerte sich allenthalben daran, als Donald Trump ins Weiße Haus gewählt wurde. Ich glaube, denen in Amerika hängt es schon zum Hals heraus, sodass man es in den jüngsten Krisentagen kaum mehr hörte. Der Kreis des Falken ist zu weit geworden, der Falkner kann ihn nicht mehr kontrollieren, das Zentrum hält nicht mehr. Ein Gedicht des Auseinanderbrechens und Zerfalls. Yeats beschrieb damit die Stimmung in Europa nach dem Ersten Weltkrieg, und man könnte seine Worte noch viel besser heute auf die USA münzen.

Übersetzung: Mirko Bonné

Das Impeachment von Donald Trump ist eine zweischneidige Sache, aus realpolitischen und aus moralischen Gründen unvermeidlich. Als auch nach dem Abgang seines Postens enthobener Präsident dürfte er nicht mehr kandidieren; dass das aufgrund seines Alters vielleicht eine begrenzte Option ist, steht auf einem anderen Blatt. Zwei- oder mehrschneidig ist die Sache, weil die Republikaner unter dem alten Fuchs Mitch McConnell sich damit Trumps Griff auf die Partei entledigen würden; andererseits gewänne dieser damit bei seinem Mob Outlaw-Status, was zu einer Art schwelend-auflodernden Bürgerkrieg führen könnte. Das Stichwort Weimar ist schon gefallen, soll heißen: demokratische Krise knapp vor dem Faschismus. 20.000 bewaffnete Soldaten schützen Joe Bidens Inauguration.

Manchmal denke ich, wir (auch ich) legen die Betonung zu sehr auf die mediale Seite der Sache. Die Softpower USA trifft uns ja direkt, von amerikanisierter Politik bis zu amerikanisierter Kommunikation und Kultur. Ja, die Social Media haben die Öffentlichkeit verhunzt. Aber auch die „klassischen Medien“ haben das schon getan. Sie haben die Lügen des Staates (Irakkrieg) stets willfährig mitgetragen und haben es ihren Gegnern leichtgemacht, sie zu diskreditieren. Sie haben die Ideologie der amerikanischen Großindustrie und der Finanzindustrie mitgetragen und gestützt und nichts getan, um das immer spektakulärere Auseinanderdriften der Klassen zu verhindern.

Martin Luther King 1963, March to Washington Foto © Guardian

1963 waren 250.000 Bürgerrechtler friedlich nach Washington marschiert. Martin Luther King hielt dort seine berühmte „I have a Dream“-Rede. Man weiß wie das ausging, mit der bis heute ungeklärten Ermordung Kings, aber auch mit besseren Bürger- und Wahlrechten. Es ist von erheblicher Symbolkraft und ging im Trump-Twitter-Gewitter beinahe unter, dass der Staat Georgia einen jungen schwarzen Senator wählte, Raphael Warnock, einen Pastor, der in Kings Kirche in Atlanta predigt. Georgia hatte unter dem rechten Gouverneur Brian Kemp und dem neuerdings viel gelobten, weil Trump nicht nachgebenden Staatssekretär Brad Raffensperger allein vor der jüngsten Wahl 300.000 Schwarze aus dem Wählerregister gestrichen; in den letzten Jahren waren es mehr als eine Million gewesen. Ein wesentlicher Teil der Wählerschaft wird in den USA daran gehindert, zu wählen.

Trotzdem schaffte es die bei der Gouverneurswahl noch unterlegene afroamerikanische Demokratin Stacey Abrams mit einem Jahrzehnt Graswurzel-Arbeit, viele schwarze Wählerinnen und Wähler zu den Urnen zu bringen und ausgerechnet im Südstaat Georgia jene zwei Senatorenstimmen zu gewinnen, mit denen auch die Mehrheit im Senat an die Demokraten fiel.

Die Demokraten haben längst die Arbeiterklasse verloren oder aufgegeben, die zu F. D. Roosevelts Zeiten noch ihre Säule bildete. Sie sind in Teilen eine neoliberale Partei der großen Industrie und in anderen Teilen die Partei der demografisch aufholenden Hispanics und Afroamericans.

Trump setzte 2016 auf die Deklassierung der Arbeiter und gewann sie mit dem Versprechen, gegen das neoliberale Establishment („Wall Street“) und gegen Globalisierung („China“) zu kämpfen. Dass er selbst zum obersten einen Prozent gehört und vor allem für sich agierte, geschenkt. Der Ökonom Thomas Piketty spricht vom „Zusammenbruch“ der US-Wirtschaft: „Die unteren 50 Prozent der Einkommensverteilung machten von 1960 bis 1980 rund 20 Prozent des Nationaleinkommens aus; dieser Anteil wurde jedoch fast halbiert und fiel 2010-2015 auf nur 12 Prozent. Der Anteil des obersten einen Prozent hat sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt, von knapp 11 Prozent auf mehr als 20 Prozent.“ In der Corona-Krise verschärfte sich die Umverteilung nach oben noch.

Der weiße, faschistische Trump-Mob, das sind die hier Deklassierten, das sind jene, die nichts zu verlieren haben und in ihrer fantasierten weißen Überlegenheit unter ihrem Hoffnungsträger Trump das Erbe jener Südstaaten antreten wollen, die einst den Bürgerkrieg verloren (die konföderierte Südstaaten-Flagge schwenken sie zum Zeichen).

Wenn man kein vernünftiges Gesundheitssystem hat, wenn die Gefängnisse überquellen, nicht zuletzt, weil sie privatwirtschaftlich organisiert sind, wenn die Pharmalobby in unerträglicher Form das Gesundheitssystem diktiert, wie an den immer wieder aufgekommenen Suchtaffären sichtbar, dann darf man sich nicht wundern, wenn die deklassierte und demographisch tendenziell auf eine Minderheitenposition zurückgedrängte weiße Ex-Herrenrasse ihre letzte Kraft in ein physisches Aufbegehren wirft und ihre Würde aus dem Besitz von Waffen zieht. Mit Mobs wie diesem, der sichtlich in den bewaffneten Verbänden des Staates Verbündete hat (sie kamen etwas zu leicht ins Kapitol), mit Medienmacht und Milliardären im Hintergrund haben Hetzer schon andere Demokratien abgeschafft.

Solche Vorgänge in jener Nation, die als Schutzmacht demokratischer Staaten, wherever they are, gelten will, sind beunruhigend. Es ging allerdings, falls sich jemand damit beruhigen möchte, immer schon eher um Macht als um demokratische Moral.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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