Die USA und ihre zwei feindlichen Medienstämme. Wir hätten eine Lösung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 302

Armin Thurnher
am 12.01.2021

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Als ich gestern meinen Kommentar für den Falter schrieb, über Trump naturgemäß, über die Wechselwirkungen von Social Media und Politik, kam ein Mail von Matt Taibbi herein. Taibbi ist ein ehemaliger Rolling-Stone-Reporter, mit Glenn Greenwald Ex-Intercept Mitarbeiter der ersten Stunde. Taibbi schreibt in der Tradition von Hunter Thompson parteiischen Gonzo-Journalismus, saftig, aber durchaus mit qualitätsvoller Information, sodass sich auch der Soziologe Wolfgang Streeck auf seine Informationen über das korrupte amerikanischen Polit-Establishment stützte.

Taibbi ist jetzt als Einzelkämpfer auf Substack unterwegs, wo man in einem Land wie Amerika Millionen im Jahr verdienen kann, wenn man sein Publikum findet. Wir in Österreich bleiben geografisch bedingt Bettler. Manche werfen Taibbi vor, er habe sich auf die Seite Trumps geschlagen, weil er die Berichterstattung der New York Times und anderer Medien in der Russia-Gate-Affäre kritisierte. Nichts dran, behauptete er. Ich traute meinen Augen kaum, als ich Taibbis Mail las. Der rotzfreche Provokateur schlug geradezu zerknirschte Töne an. Und er zitierte ausgerechnet Mitch McConnell, den dämonischen republikanischen Senats-Ex-Mehrheits-Leader, Trumps Kardinal Richelieu, der sich erst in allerletzter Minute von Trump abgewandt hatte.

Aus der CNN-Kurzzusammenfassung des Sturms auf das Kapitol Screenshot © CNN

McConnell sagte: „Wir zerfallen in zwei getrennte Stämme, mit getrennten Fakten und unterschiedlichen Realitäten, mit nichts gemeinsam außer unserer Feindseligkeit gegeneinander und dem Misstrauen gegenüber den wenigen nationalen Institutionen, die wir alle noch gemeinsam haben.“

Und Taibbi ergänzte: „Der Fehler im System besteht darin, dass selbst die größten Nachrichtenunternehmen jetzt davon ausgehen, dass ihnen höchstens die Hälfte ihres potenziellen Publikums zuhört. Dies führt zu allen möglichen Problemen. Die Tatsache, dass der einfachste Weg, ihre eigene Konsumentenzahl zu erhalten, darin besteht, negative Geschichten über andere zu erzählen, ist nur die offensichtlichste. Auf allen Seiten neigen wir jetzt dazu, explosive Karikaturen zu zeichnen, weil uns finanziellen Anreize dazu drängen.“

Die finanziellen Anreize folgen der Aufmerksamkeit, um die Medien miteinander kämpfen. Dieser Kampf wird algorithmisch brutalisiert. Wir brauchen nicht in die USA zu schauen. Eine kleine Seuchenkolumne reicht, um zu kapieren, wie das funktioniert. Schreibe ich eine Philippika gegen Kanzler Kurz oder Parlamentspräsident Sobotka (Ogottka!), kann es gut sein, dass gleich Hunderte die Seuchenkolumne abonnieren.

Ein gepflegtes Mediengespräch mit dem Kater bringt zwischen zehn und 50. Ein Herzenstext über Musik: knapp über Null.

Gut, ich kann mich mit Kochrezepten retten, manchmal auch mit Sport, aber mit einem fein übersetzten Gedicht von W. H. Auden oder Robert Lowell sind sie schnell vertrieben. Die Wut selbst der kleinen Gruppe, die ihre Aufmerksamkeit auf mich lenkt, ist hinreichen fokussiert, dass ich weiß, was ich zu tun hätte.

Ich folge solchen Impulsen nur sehr bedingt und zwinge mich ab und zu zur Anti-Quotendisziplin. Das alles spielt sich bei mir im läppischen Zwergenbereich ab, vermag aber doch mein moralisches Sensorium hinreichend zu kitzeln, um ein wenig darüber nachzudenken, wohin das alles führt. Vor allem: Ich bin angestellt, ich kann es mir leisten, poetisch zu werden. Wie würde es sich verhalten, wäre ich freier Unternehmer wie Taibbi und Zustimmung würde Bargeld bedeuten? Ich spüre den Druck und habe nicht vor, ihm nachzugeben.

Auf Twitter las ich verschiedentlich, Menschen hätten die Kapitol-Szenen stundenlang auf CNN angesehen. Auch ich gehörte zu ihnen. Es konnte einem nicht entgehen, dass die Berichterstattung nur in Schnappatmung vorgetragen wurde, dass die Kommentierenden gänzlich die Distanz und die Contenance verloren. Ich konnte mir gut vorstellen, wie es auf der Gegenseite aussah, bei Fox & Co – nicht besser, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Würden Armin Wolf und Co sich so benehmen, es gäbe einen Skandal – zu Recht. Die können das nämlich besser.

Taibbi geht dann so weit, ein neues Mediensystem für die USA zu fordern. Mit einem keiner Partei zuzurechnendem Medium, das verdammt klingt wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk.

Ich dachte mir, den haben wir ja. Weiß der, was er für uns ist? Weiß die Politik, was sie an ihm hat? Sagt uns der ORF, warum er wichtig ist, und warum ihn die Rechte so wütend attackiert? Dass ihn die Blau-schwarze Regierung demontiert hätte, wäre nicht Ibiza dazwischengekommen? Wird er gegen die schleichende Türkisifizierung kämpfen oder verteidigen sie nur noch Teilbereiche?

Versteht der Sender, was der Zustand der amerikanischen Öffentlichkeit für uns, für ihn bedeutet? Werden sie es noch lernen? Oder werden wir sehenden Auges unsere Medienlandschaft unter dem Unschuldsmotto „digitalisiert euch!“ weiter amerikanisieren, statt das Gute zu erhalten, das wir haben? Nach 1945 wurden Deutschland von den Alliierten öffentlich-rechtliche Medien verordnet, um die Wiederkehr des Faschismus zu verhindern. Sie selbst haben das Rezept, wie die Lage in den USA zeigt, vergessen.

Kürzlich schrieb ich einem Politiker, der bei mir über den Verfall der ZiB1 klagte: Man muss trotz des ORF für ihn sein. Er sah es auch so.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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