Was für ein Land möchte ich haben?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 294

Armin Thurnher
am 04.01.2021

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Diese Frage stellte ich vergangenes Jahr schon einmal, ich finde es aber angemessen, sie zum Jahresanfang (dieser erste Werktag gilt noch als Anfang) erneut zu stellen.

Was für ein Land wollen wir haben, das fragte ich, als die Frage der europäischen Corona-Finanzhilfe anstand, die unter deutscher Führung trotz österreichischer Querschüsse dann doch eine Vergemeinschaftung von Schulden ergab.

Und ich stellte sie anhand von Moria, das nun Kara Tepe heißt, aber als Symbol österreichischer Regierungsignoranz weiterhin schmerzt, mit wachsender Intensität. Wir haben gelernt: Appelle von Bischöfen, ja Kardinälen sind wurscht. Vorrang hat der im Minutentakt überprüfte Volkswille und der sagt: Sebastian, bleibe hart. Nun, so bleibe er der hartherzige Sebastian und gehe als solcher in die Geschichte ein.

Auch das Missmanagement in Sachen Corona und Corona-Kommunikation gestatte ich mir, an jenem Mann festzumachen, der jeden Erfolg für sich reklamiert. Dann soll er wie ein harter Mann auch für die Misserfolge einstehen und nicht wie eine Heulsuse die EU, Rudi Anschober oder jeden beliebigen roten Landeshauptmann dafür verantwortlich machen.

Lassen wir das. Ich frage, ganz ohne Plural, zur Probe nur mich selbst:

Was für ein Land möchte ich haben?

Ich möchte ein Land haben, dessen Führung Klartext redet. Die Bemühungen von Alexander van der Bellen anerkennend, stelle ich fest, dass er seine Rolle auf die des freundlichen Zeigefingerhebers beschränkt, der seine Wiederwahl (und Solokandidatur) nicht durch Differenzen mit dem Ballhausplatz gefährden will. Ich verstehe das, billige es aber nicht. Denn wir haben ihn dafür gewählt, dass er sein Amt schwächt, aber so haben wir es nicht gemeint: wir meinten es verfassungsrechtlich. Von einer juristischen Initiative zur Ent-Autorisierung seines Amtes wurde nichts bekannt. Schreiben wir es Corona zu, und sagen wir, es war noch nicht die Zeit dafür.

Ich möchte ein Land haben, dessen Bundespräsident nicht nur Hinsichtl-Rücksichtl-Mahnungen ausspricht, sondern ernste.

Ich möchte aber vor allem eine Regierung haben, die mit seriösen, kompetenten Personen besetzt ist und nicht mit dilettantischen, in jeder Hinsicht außer in Dienstfertigkeit überforderten Ministrantinnen (Männer sind mitgemeint) eines Kanzlerkaplans, die devot eine Liturgie nachbeten, die im Hinterzimmer des Kaplans zusammengepanscht wird.

Ich möchte ein Land haben, dessen Verwaltung nicht auf irgendwelchen mir unbekannten amerikanischen Beraterstandards beruhen, sondern auf einer modernisierten, österreichischen, dem Staat dienenden Beamtentradition.

Ich möchte ein Land haben, dessen Regierung Gesetze verfassen kann.

Ich möchte ein Land haben, dessen Parlament funktioniert und nicht von der Regierung ignoriert, verhöhnt und mit einem unzumutbaren parteiischen und vom handfesten Anschein der Befangenheit umflorten Funktionär als Präsidenten verunziert wird.

Ich möchte ein europäisches, demokratisches Land haben. Einen Rechtsstaat, der nicht Beute einer Partei wird.

Ich möchte ein Land haben, dessen Regierung uns erklärt, welche Position Österreich in Europa und der Welt einnimmt und welche es einnehmen möchte. Will sie Trumpismus im Westentaschenformat, Anlehnung an die illiberalen Demokratien in Europa, Abschottung von einer menschenrechtsorientierten EU? Will sie, wofür es Grund zur Annahme gibt, eine Art englischen Weg einschlagen, eine Art Öxit ohne Exit, eine wahrhafte österreichische Lösung? Boris Johnson und David Cameron waren Kurz’ Vorbilder, schon ehe er Kanzler wurde. Außer floskelhaftem Bedauern habe ich von ihm noch nie ein Wort der Distanzierung von deren europaschädlichem Verhalten vernommen.

Ich möchte ein Land haben, das seine sozial- und gesundheitspolitischen Traditionen nicht nur als wohlfeile Floskeln vorträgt, während es heimlich darauf sinnt, sie abzuschaffen. Ich möchte ein Land haben, das sie als Grundlage einer menschlichen Gesellschaft respektiert und in diesem Geist erneuert. Einen vorbildlichen Sozialstaat.

Ich möchte ein Land haben, das die Corona-Krise nicht als Business-Opportunity sieht, sondern als Impuls zur kritische Überprüfung und Erneuerung seines Gesundheitssystems.

Ich möchte ein Land haben, das sich seiner, wenn auch nur rudimentär und paradox vorhandenen, aber immerhin existierenden Tradition der Vielvölkerstaats besinnt und nicht einem dumpfen neonationalen Austrochauvinismus frönt.

Ich möchte kein Land haben, das klein, fett und reich wie es ist, militärischen Bündnissen fernbleibt, seine Verteidigung verrotten lässt und aus seinem Pazifismus nur die Rosinen herauspickt. Ich möchte ein Land haben, das sich im Gegenzug für die Rosinen verpflichtet, ein humanitäres Vorbild zu sein. Ich möchte, dass es laut hörbar für eine humane europäische Flüchtlingspolitik argumentiert, dass es Probleme benennt, wie die Einstellung der Zahlungen an Flüchtlingslager im Libanon und anderswo, dass es bei der Hilfe vor Ort glaubwürdig ist und nicht mit Schall- und Rauchenberg’schen Phrasen herumnebelt, wenn vor Weihnachten der Druck zu groß wird.

Und ja, ich möchte ein Land haben, das Gesten setzt, wie jene der Aufnahme von Flüchtlingskindern von den griechischen Inseln.

Ich möchte ein Land haben, das versteht, was Öffentlichkeit ist und dessen Medien nicht zu großen Teilen von der Regierung geschmiert (privat) oder gepresst (öffentlich-rechtlich) werden.

Ich möchte ein Land haben, das Digitalisierung nicht nur als Phrasenballon vor sich herträgt und dabei nur vor den US-Tech-Konzernen buckelt.

Ich möchte ein Land haben, das Kulturpolitik als Frage des republikanischen Selbstbewusstseins versteht.

Ich möchte ein Land haben, für das ich mich nicht genieren muss.

Als das Wünschen noch geholfen hat, konnte man sich so ein Land gut wünschen. Jetzt sollte man vielleicht überlegen, wie man so ein Land bekommt.


Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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