Auf ein Neues: Schneerosen, Musik, Neujahrsvorsätze

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 291

Armin Thurnher
am 01.01.2021

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Aus selbstauferlegter Disziplin melde ich mich im Jahr der Seuche täglich hier. Es ist mir zur Gewohnheit geworden, beinah zur Existenzweise, das zu tun. Und es freut mich, dass Tausende von Ihnen mir die Ehre erweisen, mich Tag für Tag nicht von ihrer Mailbox abzuweisen.

„Grüß Gott, ich bin der Neue, ich komm’ jetzt öfter!“, so pflegte sich ein junger Kaplan im Innviertel bei einer bekannten Familie vorzustellen. Es wurde dort zum geflügelten Wort. Ich komme also jetzt öfter.

Wie lange noch, das ist eine jener Fragen, die das Seuchenjahr beantworten wird; ich habe mir vorgenommen, es vorerst 365mal, also täglich einmal zu tun; danach geht es weiter, ob täglich, wird man sehen. Wobei der fulminante klinische Epidemiologe Robert Zangerle mir helfend zur Seite springt; mit seinen fundierten Ausführungen zur Seuche schmückt der Professor aus Innsbruck dankenswerterweise diese Kolumne und macht sie auch für Feuilleton-Allergiker verträglich (Gesundheitspolitiker lesen sie heimlich).

Sonst biete ich hier möglichst allen etwas, das sie nervt. Tierfreunden werden meine Dialoge mit dem klugen Kater gespreizt und überflüssig vorkommen; Musikfreunde ärgern sich über meine dilettantischen aber begeisterten Auslassungen; Literaturkennende meinen zu Recht mit meinem alten Haberer Karl Kraus, der essende Koch und der lesende Dichter machten sich verdächtig, aber noch schlimmer sei der dichtende Literaturhalbkenner, wie im vorliegenden Fall. Und außerdem kocht er!

Ich hoffe, Sie haben über alle dem, was ich Ihnen heute noch nicht zumute, nicht aufgehört zu frühstücken, oder falls sie später dran sind, den Philharmonikern beim Neujahrskonzert zuzuhören, im Goldenen Saal ganz ohne Japänerle, wie man Nippons Kinder in meiner Heimat nennt, wo man mittlerweile Skihotels als Clubs betreibt, um den Lockdown zu knacken. Ski Lifts first!

Es ist nicht alles schlecht: Im Garten blühen die Schneerosen Foto: © Irena Rosc

Nichts davon heute! Zu allem, was ich Ihnen sonst so anbiete, gehören, wie einige von Ihnen wissen, Tipps für fettes, ungesundes Essen (manchmal auch für gesundes). Auch das gibt’s heute nicht, denn für den richtigen Mayonnaisesalat ist es auch schon zu spät.

Dazu kommt noch meine Entschlossenheit, die Digitalisierung meiner selbst nicht als staatsbürgerliche Pflicht aufzufassen oder als Gottesgeschenk zwecks frühzeitiger Verübermenschung (Transhumanisierung) meiner selbst auf dieser Erde, sondern vielmehr als finsteren Plan einiger diebischer Kommerzheinis, mich zu Dingen anzustiften, die mich knechten, ans digitale Gerät fesseln und ihnen Geld in die Taschen spülen.

Wohlweislich lasse ich heute auch Politik draußen. Nicht, weil ich politisch Lied für ein garstig Lied halte, das sowieso; garstige Lieder haben aber etwas Anziehendes. Es gibt ja viel zuviel brave und gegroomte Politik. Andererseits vermag es eine gewisse Art heruntergekommener Politik, andere würden sagen, zeitgemäßer Politik, Leidenschaften in mir zu entfesseln, die ich stets misstrauisch darauf prüfe, ob sie mich nicht in einen Konservativismus treiben, den ich nicht wollen will.

Das Ringen um Menschlichkeit beginnt bei einem selbst, an Orten, wo man es nicht zuerst vermuten möchte. Ich habe das bei meiner Begegnung mit dem Pianisten und Schriftsteller Alfred Brendel bemerkt, einem der wichtigsten Musiker der vergangenen Jahrzehnte. Er hat mich im Ringen vieles gelehrt, worüber ich an dieser Stelle noch ein-, zweimal sprechen möchte.

Heute nur ein kleiner Hinweis: Im Radiosender Ö1 habe ich mit Rainer Elstner über Brendel geredet. Anlass ist der 90. Geburtstag, den Brendel dieser Tage feiert. Elstner und ich haben gemeinsam Musik ausgesucht, von ihm, für ihn, um ihn herum.

Was man sagt, nachdem man maskenbewehrt in eine Tiefgarage einbog, sich zwischen fettglänzenden SUVs in eine Parklücke presste, sich im zur Räumung bereiten Funkhaus einstellte, das trotz besterhaltenem Zustand die Stimmung einer sturmreif geschossenen Ruine verbreitet, was man da sagte über einen, der einem wichtig ist, das werde ich mir mit Bangen anhören. Vielleicht tun Sie es auch. Die Sendung ist zwei Stunden lang, beginnt um 22:05, und die Musik lohnt Ihre Zeit bestimmt.

Ich wünsche Ihnen ein unvorhergesehen schönes Jahr 2021! Und füge noch einen kleinen Zettel Silvestervorsätze an.


Den Brieföffner immer an die gleiche Stelle geben.

Rechnungen immer nie bezahlen.

Nicht immer Sätze mit der gleichen Wortstellung bilden.

Mehr Mozart hören.

Beethoven auf der E-Gitarre spielen (die Triller von Opus 111).

Ein Jahr lang statt „Opus“ „Ops“ sagen.

Wahlweise „Hops“.

Mehr Schönberg pfeifen.

Zu Schubert nichts sagen.

Bücher immer dorthin stellen, wo man sie hernahm.

Endlich mit dem Aussortieren beginnen.

Es ist zu viel von allem da.

Nicht für alle, aber

vor allem von einem selber.

Was sich wiederum von selbst aus der Welt schafft.

Das einzige, das man sich nicht vornehmen muss.


Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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