Sobotka und Marsalek in Moskau. Ein Bild wie ein Geständnis

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 277

Armin Thurnher
am 18.12.2020

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Es muss nichts zu bedeuten haben, dass einer nicht die Wahrheit sagt. Wenn er aber einem Gremium vorsitzt, das zum Ziel hat, die Wahrheit über eine Staatsaffäre herauszufinden, hat es vielleicht doch etwas zu bedeuten.

Man muss hier über Wolfgang Sobotka nicht mehr viel sagen, aber soviel zu Erinnerung doch, dass er Präsident des österreichischen Nationalrats ist, den er so parteiisch führt wie keiner und keine seiner Vorgänger und Vorgängerinnen.

Wolfgang Sobotka, dieses Bröckerl aus dem Urgestein der niederösterreichischen ÖVP, ließ sich nicht davon abbringen, auch den Vorsitz des Ibiza-Untersuchungsausschusses zu übernehmen. Dies, obwohl man ihm Befangenheit vorwarf, weil er als Präsident des Alois-Mock-Instituts Inserate von der ebenfalls im Ausschuss untersuchten Glücksspielfirma Novomatic entgegennahm.

Sobotka ist jedenfalls im juristischen Sinn befangen, weil der Anschein von Befangenheit genügt, um den Tatbestand zu erfüllen. So handhabt das die Justiz. Sobotka kümmerte sich kein Jota um diese juristische Binsenweisheit, erklärte einfach, er sei der Präsident und entscheide über sich selbst, somit sei er nicht befangen. Der handfeste Anschein von Befangenheit bedeutet in seiner neofeudal-selbstherrlichen Interpretation soviel wie: leckt mich.

Nun könnte man das einem Ehrenmann durchgehen lassen, von dem man Grund hat anzunehmen, dass er in unangenehme Umstände gekommen ist, aber grundsätzlich gewillt ist, die Wahrheit zu sagen. So einer könnte für sich sozusagen die umgekehrte Befangenheit geltend machen und behaupten, sein allgemeiner Anschein der Korrektheit spreche für sein Korrektheit auch in diesem Fall.

Das hätte man bis gestern vielleicht zähneknirschend akzeptieren können. All seinen Absonderlichkeiten zum Trotz:

– der merkwürdigen Ausschussführung zum Trotz, die türkise Zeugen vom Kanzler abwärts aus jeder Bredouille herauszuhalten versuchte und oppositionelle hineinzuziehen versuchte, wo dies in keiner Weise angebracht war; mit einem Wort, einer Ausschussführung, die eher vertuschen als aufklären wollte;

– der merkwürdigen Gebetsstunde im Parlament zum Trotz, die man als Auftakt einer Offensive zur Rekatholisierung Österreichs ansehen könnte, zu einem neuen Kulturkampf, wären die Spitzen der Türkisen imstande, so etwas nicht nur im Blut zu spüren, sondern auch formulieren zu können;

– dem merkwürdigen Zwiegespräch zweier Seelenverwandter zum Trotz, mit Wolfgang Fellner in dessen von der Regierung reich alimentiertem „TV-Sender“, wo er nicht nur bekanntgab, im Wissen um die Gegengeschäftigkeit aller Geschäftstätigkeit mit seinem Gegenüber völlig einig zu sein, sondern wo er auch offenbarte, dass das Land Niederösterreich die Novomatic bei ihrer „Kulturpolitik“ berät, wem diese wieviel Geld geben soll. Wir wollen nicht darüber nachdenken, mit welchen Worten man eine „Kulturpolitik“ qualifizieren würde, die anderen Menschen Geld gibt, um deren Gunst zu erhalten, und mit welchen Wörtern man dieses gunstgewerbliche Verhältnis zwischen beschreiben würde – wir reden ja von Kunst, nicht von Gunst;

All das könnte man mit Nachsicht aller Taxen vielleicht übersehen. Ich kann es nicht, es hat mich dazu veranlasst, wie weiland Cato auf Twitter täglich die Forderung nach Sobotkas Rücktritt zu erheben. Auch die Opposition hat es nicht übersehen und zeigte Sobotka wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem U-Ausschuss an. Die Spitzen der Regierung hingegen machen Sobotka die Mauer, was mich bei den Türkisen nicht wundert, auch bei den Grünen nicht mehr, bei denen schmerzt es mich nur.

Seit aber gestern wissen wir, dass Herr Sobotka sich nicht nur nicht gut erinnern kann, sondern dass er tatsächlich dem Ausschuss die Unwahrheit sagt. Das ändert auch in Bezug auf das zuvor Gesagte alles. Man kann ihm nämlich nicht mehr den Anschein der Gutwilligkeit und des bloß patscherten Danebentappens zubilligen.

Seit klar ist, dass er die Öffentlichkeit über ein gemeinsames Abendessen mit dem flüchtigen und gerichtlich gesuchten Wirecard Manager und mutmaßlichen Milliardenbetrüger Jan Marsalek –für den naturgemäß die Unschuldsvermutung gilt – belogen hat, seitdem ist alles anders. Im U-Ausschuss als Auskunftsperson befragt, behauptete Sobotka, er habe Marsalek nie getroffen. „Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern“, sagte er in geradezu blümelesker Manier.

Ich will die Mutmaßungen des aufdeckenden Mediums ZackZack rundum dieses Treffen nicht qualifizieren, bewerten oder teilen. Sie mögen zutreffen oder nicht, das wird zu untersuchen sein. Jedenfalls veröffentlichte ZackZack das entscheidende Beweismittel: das Foto mit Sobotka und dessen Tischnachbarn – Jan Marsalek.

Moskau, 30. Mai 2017 – Jan Marsalek und Wolfgang Sobotka beim Empfang zu Ehren des damaligen Innenministers Wolfgang Sobotka in der österreichischen Botschaft Foto: @RedaktionZack

Fest steht: So ein Abendessen, das in einer fremden Hauptstadt zu eigenen Ehren gegeben wird, vergisst man nach nur drei Jahren nicht. Auch die Umstände prägen sich ein, zum Beispiel, wer der Tischnachbar war.

Wer aber einmal lügt, dem glaubt man nicht mehr. Der ist, auch wenn die Lüge mangels Gedächtnisschwäche keinen Straftatbestand darstellen sollte, politisch vollkommen unglaubwürdig und damit in seinem Amt als oberster politischer Wahrheitsfinder untragbar geworden.

Ein Nationalratspräsident, dem man nicht glaubt, dem man nicht vertraut, der kann nicht im Amt bleiben. Vielleicht will tatsächlich der Bundespräsident ausnahmsweise einmal mit seinem jugendlichen Freund vis-à-vis im Kanzleramt klare Worte sprechen. Sobotka muss gehen.

 

Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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