Was Sie über Antigentests wissen sollten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 275

Armin Thurnher
am 16.12.2020

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Noch immer ist die öffentliche Debatte von Fehlannahmen und Irrtümern über Corona-Tests durchzogen. Die Meinung etwa, man könne sich „frei testen“, klingt ziemlich unsinnig, wenn man weiß, was Antigentests aussagen. Lesen Sie hier Teil 2 der Test-Aufklärung des Immunologen Robert Zangerle.   A.T.

»Um den Einsatz von Antigen-Schnelltests und PCR-Tests (Polymerase Chain Reaktion, Polymerasekettenreaktion), dem unveränderten Goldstandard in der Pandemie zu erläutern, möchte ich ein wenig ausholen und die Entwicklung der viralen Vermehrung (Viruslast) nach einer Infektion illustrieren. Die Inkubationszeit, die Zeit von der Exposition mit SARS-CoV-2 bis zum Auftreten von Symptomen, dauert im Schnitt 6 Tage (2-21 Tage). Bei 9% treten Symptome erst nach 10 Tagen oder später auf. Die höchste Viruslast findet man vom Auftreten der ersten Symptome (Tag 0) bis zu Tag 5. Infektiös sind Betroffene aber bereits bis zu 2 (3) Tage vor dem Auftreten der Symptome und somit insgesamt bis zu 10 Tagen (bei ganz schwerem Krankheitsverlauf auch länger). Das Abschilfern von RNA („shedding“ von Viruspartikeln) kann viel länger andauern, aber kultivierbares, und damit infektiöses Virus konnte nur bis zu 9 Tage nach Auftreten von Symptomen gefunden werden.

Aus: Muke Cevik et al. Clin Infect Dis, ciaa1442

Der beste Zeitpunkt für einen Antigentest sind die ersten fünf Tage nach Symptombeginn. Wenn man wissen will, ob gerade aufgetretene Symptome durch eine Covid­19­ Erkrankung verursacht werden, dann ist ein Antigentest sehr nützlich, weil er sehr schnell eine Antwort geben kann. Welche Symptome können auftreten?

Häufig (in mehr als 50 Prozent der Fälle):

  • Störung des Geruchs- oder Geschmackssinnes

  • Fieber

  • (trockener) Husten

  • Kurzatmigkeit, Atemnot

  • Müdigkeit

  • Appetitmangel

Weniger häufig (in bis zu 50 Prozent der Fälle):

  • Auswurf

  • Muskelschmerzen

  • Brustschmerzen

  • Durchfall

  • Übelkeit, Erbrechen

  • Kopfschmerzen

  • Schwindel

  • Halsschmerzen

Selten (in weniger als zehn Prozent der Fälle):

  • Verwirrtheit

  • rinnende Nase

  • Kreislaufkollaps, Ohnmacht

  • Hauterscheinungen

Bei einem positiven Antigentest innerhalb von 6 Tagen nach Symptombeginn ist von einer Infektion mit SARS-CoV-2 auszugehen. Das heißt aber auch, dass Patienten bereits in der zweiten Woche mit Symptomen nicht mehr mit dem Antigentest getestet werden sollen (weil eben das Antigen = die Viruslast = die Zahl der Viren im Rachen dann bereits abnehmen), sondern mit der PCR, ergänzt mit einem Test auf Antikörper.

Der PCR-Nachweis ist aber nach wie vor der Goldstandard zur Diagnostik von SARS-CoV-2 und zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität und Spezifität aus. Aufgrund des großen personellen und materiellen Aufwands sowie von Engpässen in den Versorgungsketten sind PCR-basierte Tests jedoch eine begrenzte Ressource. Antigenbasierte Schnelltests lassen sich mit deutlich weniger Aufwand und Infrastruktur herstellen und durchführen und liefern ein Ergebnis in kürzerer Zeit. Sie haben allerdings den Nachteil einer geringeren Sensitivität und Spezifität. Je höher die Sensitivität eines Tests ist, desto sicherer erfasst er die Erkrankung (möglichst keine falsch Negativen). Die Spezifität eines diagnostischen Testverfahrens gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass tatsächlich Gesunde, die nicht an der betreffenden Erkrankung leiden (also in unserem Fall keine Viren haben), im Test auch als gesund und virenfrei erkannt werden (und nicht als falsch positiv).

Das bedeutet, dass bei einem negativen Antigentest und bei Symptomen von weniger als 6 Tagen, eine Infektion mit SARS-CoV-2 nicht ausgeschlossen ist, und deshalb eine Testung mit PCR nachfolgen muss (siehe Grafik Symptomatic). NAAT = Nucleic Acid Amplification Technology = PCR.

Aus: CDC

Schwierig ist die Beurteilung der Rolle der Antigentestung bei Fehlen von Symptomen. Das Problem dabei, man weiß nicht, ob man in der Frühphase der Infektion testet, also, ob man den Test zur richtigen Zeit anwendet. Deshalb ist es so wichtig (auch wenn wir es nicht mehr hören können), klar dazuzusagen, dass Ergebnisse von Antigentestungen immer nur Momentaufnahmen sind. Wenn man vor dem Einlass in das Pflegeheim getestet wird, kann man reingehen (Vorsicht: AHA gilt immer!). Aber daraus darf man nicht ableiten: morgen auch. Solange man dieses Fenster also kurzhält, ist es auch kein Problem, wenn man Asymptomatische testet.

Ein positiver Test bei jemandem ohne Symptome muss jedoch mit PCR bestätigt werden! (siehe auch Grafik). Die Rate an falsch Positiven beim „Massentest“ lag im erwarteten Bereich, weil die besten verfügbaren Tests verwendet wurden (Sensitivität >90 % und Spezifität > 99,5 %) und alle positiven Fälle ausnahmslos durch PCR bestätigt wurden. Das wurde in der Slowakei, wohl aus Kostengründen, verabsäumt, damit wurden dort relativ viele Leute zu Unrecht in Isolierung gebracht!

Vom Paul-Ehrlich-Institut (Deutschland) und vom Robert Koch-Institut wurden Mindestkriterien für Antigentests festgelegt: Sensitivität > 80 % und eine Spezifität > 97 %. Doch einige Studien, wie zuletzt von der Berliner Charité, konnten nachweisen, dass die Empfindlichkeit und Genauigkeit einiger Antigentests deutlich niedriger liegen. Wie das? Als Medizinprodukt braucht der Test lediglich eine CE Zertifizierung aus irgendeinem EU Land, letztlich reichen dafür die Angaben der Hersteller. Eine Reform dieser Bestimmungen, die zu einer unabhängigen Validierung bei Diagnostika von Infektionen (besonders strenge Bestimmungen für Diagnostika für Infektionen, die zu einer Pandemie führen können), wird 2022 in Kraft treten. Bis dahin gilt ein wenig ein Wildwestmarkt, den ich schon bei HIV erleben durfte, da waren ebenfalls schlechte Tests zu lange am Markt. Das Vertrauen auf die Selbstdeklaration der Importeure, deren Kernkompetenzen oft nicht bei Medizinprodukten liegen, scheint zumindest, wenn man die Erfahrungen mit dem FFP2-Masken-Debakel berücksichtigt, nicht ungefährlich. Das angefragte Seminar „Einführung in den Kapitalismus I“ durch meinen Seuchenheiligen Armin Thurnher hat noch nicht begonnen!

Um den Wildwuchs in die Schranken zu lenken, erstellen Fachgesellschaften Leitlinien, und es gibt dann auch so genannte Rundversuche unter der Leitung von führenden Institutionen, wie sie das das Institut für Virologie an der Medizinischen Universität Wien sehr schnell und sehr qualifiziert für die Validierung der PCR in Österreich gemacht hat. Wenn ich kurz abschweifen darf: diese Diskussion um die PCR Tests war sowas von unnötig! Neuseeland testete Hunderttausende ohne positiven Befund.

In Deutschland hat eine Gruppe um die Infektiologin Claudia Denkinger eine Webseite mit einer Tabelle, auf der die „guten“ Antigentests gelistet sind. In Österreich ist es nicht leicht, zufriedenstellende Informationen zu erhalten: „Zur korrekten Durchführung von Antigen-Tests ist zur Probennahme ein Nasen-Rachen-Abstrich notwendig. Im Gegensatz zum PCR-Test, werden zur Analyse und Interpretation der Ergebnisse kein Labor und daher auch kein Labormediziner benötigt. Aus diesem Grund sollten Antigen-Tests zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausschließlich unter fachkundiger Supervision durchgeführt werden, um eine korrekte Interpretation sicherzustellen. Das Ergebnis muss mit den Spezifikationen des Tests, den Krankheitszeichen und der Vorgeschichte der Patientin/des Patienten und der Vortestwahrscheinlichkeit in Kontext gesetzt werden“. Aha, so ist das. Bei Nachfrage zur Regelung von Antigentests kriegt man „das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) sieht dafür keine Rechtsgrundlage“ zu hören. Luft nach oben.

Weil gefragt wurde: Bei einem Test mit, wenngleich auch nur geringfügig, eingeschränkter Sensitivität will man bei der Abnahme möglichst empfindlich bleiben, deshalb der Nasen-Rachen-Abstrich. Sehe ich auch so.

Schon wieder locken Tauschgeschäfte: bei Teilnahme an der nächsten Massentestung winkt ein innenstadttauglicher Porsche Cayenne als Gewinn, bei einem negativen Antigentesttest kann man ohne Krawatte in die Staatsoper oder ins Bordell. Stay tuned.«  R.Z.

 

Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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