Die Zahlen sinken. Dennoch wird es schwer, diesen Kurs "locker" bis Jänner zu halten
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 261
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In der Fortsetzung seines gestrigen Beitrags und in Vorbereitung des heutigen Auftritts des virologischen Quartetts macht Robert Zangerle, Virologe von der MedUni Inssbruck, heute noch einmal ganz klar, was das Ziel aller Maßnahmen sein muss. Und er nimmt der Politik auch nicht die Schwierigkeiten ab, mit welchen Maßnahmen sie dieses Ziel erreichen kann. A.T.
»Reden wir heute noch einmal von unserer angestrebten 7-Tages Inzidenz von weniger als 50 neuen Infektionen pro 100 000 (entsprechend 645 neuen Diagnosen täglich), um den kommenden Winter mit weniger Leid bewältigen zu können. Ein solches Ziel ist attraktiv und notwendig, vor allem weil diese Zahl die Grenze bildet, über der TRIQ ins Stottern käme und die Infektionsketten nicht mehr nachverfolgt werden können. Nur so können auch Reisewarnungen aus Deutschland und den Beneluxländern hintan gehalten werden.
Bundeskanzler Kurz nannte es in der Pressestunde, war sich jedoch nicht sicher, ob es im heurigen Winter erreichbar wäre. Auch Angela Merkel sagte in der Regierungserklärung vom 26.11.: „Unser Ziel ist und bleibt es also, die Infektionszahlen so weit zu senken, dass die Gesundheitsämter wieder in der Lage sind, Infektionsketten zu erkennen und zu durchbrechen, das heißt eine Inzidenz kleiner als 50 Infizierte pro 100 000 Einwohner in 7 Tagen.“ Über den Weg dorthin haben die beiden manche unterschiedliche Ansichten. Würde Deutschland flächendeckende Massentests durchführen, wären zu wenige Antigentests am Markt verfügbar, sodass er für wichtige Indikationen (Krankenhäuser, Hausärzte, Pflegeheime) nicht zur Verfügung stünde. Geographisch umschrieben, durch hohe Inzidenz begründete Massentests, wie sie gerade in Annaberg, Tennengau, anlaufen, sind jedoch zielgerichtet (aktuelle 7-Tagesinzidenz 519,5/100 000!) und zu begrüßen!
Wir nähern uns diesem Ziel zwar langsamer als offiziell prognostiziert, aber in den nächsten Tagen wird sowohl die Halbwertszeit von 14 Tagen, als auch der damit assoziierte Reproduktionsfaktor von 0,8 in fast allen Bundesländern erreicht. Die große Schwierigkeit wird sein, diesen Kurs (trotz Rücknahme von Maßnahmen („Lockerungen“) bis Mitte Jänner zu halten. Die Massentestungen werden einen sehr geringen Effekt auf das Geschehen haben, eben weil offensichtlich die dort gefundenen positiven Fälle nicht verfolgt / „geTRIQt“ werden (können) – aus Kapazitätsgründen. „Behutsam“ (Elisabeth Köstinger) zu „lockern“, hieße eins nach dem anderen, etwa zuerst die Schule (wenn endlich auch dort ernster gemeinte „Hygienekonzepte“ wirksam werden), dann den Kleinhandel, dann erst Einkaufszentren, alle zwei Wochen ein Schritt. Eine Lawine von kontroversen Vorschlägen zur Reihung der „Lockerungsschritte“ droht uns zu ersticken. Was also käme als Nächstes dran?
Museum oder Restaurant? Kirche oder Theater? Albertina oder Staatsoper? Christkindlmärkte oder Kunst & Kultur? Skilift oder Schwimmbad? Rücknahme der Reduktion der elektiven Eingriffe oder Versorgung von Skiverletzten? Über solche Tauschgeschäfte zum Ausstieg aus dem „Lockdown“ ist man sich weitgehend uneinig (hier und hier). Dafür gibt es auch keine epidemiologischen Rezepte, die den politisch Verantwortlichen als Blaupause dienen könnte. Man kann hier nur, fast um Entschuldigung heischend, sehr plakativ ein Ziel benennen: eine möglichst große epidemiologische Wirkung bei möglichst kleinem wirtschaftlichen Schaden. Zum x-ten Mal: Das Schlimmste für die Wirtschaft ist die lähmende Wirkung einer starken Epidemie, es sind nicht die Maßnahmen dagegen.
Gänzlich ungeeignet, aber unausrottbar für Verhandlungen etwaiger Tauschgeschäfte sind Argumente, dass es da – „da“ kann überall sein – „noch nie einen Cluster gegeben habe“. Als ob das der Wahrheit entspräche! Viele der Ansteckungen blieben unaufgeklärt. Mitte September waren es die Hälfte, bevor dieser Anteil im Oktober noch kleiner wurde. Man mag sich in Erinnerung rufen (vielfach belegt), dass Risikoverhalten systemisch mit dem VOR und dem DANACH von Veranstaltungen/Kultur- und Freizeitaktivitäten verknüpft ist. Auch unser Alt-Bundeskanzler macht da fachlich unhaltbare Aussagen.
In der Seuchenkolumne wurden die Clusteranalysen der AGES mehrfach, auch durch das Zitieren von internationalen Größen in der Epidemiologie, als vorbildlich hervorgehoben. Allerdings machte ich auch keinen Hehl daraus, dass man sich nicht mit einer unbefriedigenden Abdeckung der rückverfolgbaren Fälle zufrieden hätte geben dürfen, und dass man der daraus leicht entstehenden Überinterpretation, dass es „da eh“ keine Übertragungen gäbe, nichts selbstkritisch entgegen stellte. Schlimmer noch, die nicht nachgewiesenen Cluster wurden – wissenschaftlich völlig unbegründet – kausal mit irgendwelchen „Hygienekonzepten“ verknüpft, auch da hätte es Gegenrede gebraucht. Speziell in der Gastronomie stach das mit den zu knapp bemessenen Tischabständen besonders ins Auge. Aber nicht nur dort!
Bevor wir uns in eine Diskussion um Lösungen stürzen, schauen wir uns die österreichischen „Zahlen“ im Vergleich mit einer Auswahl an Ländern aus unserer Nähe an, die die Krise der „2. Welle“ bisher besser als Österreich bewältigten, oder ähnlich (Italien). Der Zusammenhang zwischen „Cases“ und „Deaths“ ist so naheliegend, dass man Altersstruktur oder Gesundheitssysteme zur Erklärung gar nicht bemühen muss. Was für chauvinistischen Schwachsinn man sich da zu Bergamo anhören musste, wo eines der modernsten Spitäler Europas steht, inklusive hypermodernem Krankenhausmanagement (z.B. weitgehende Auflösung von Abteilungsstrukturen, auch Infektiologie), dessen Konzeption wahrscheinlich zur Schwächung einer Pandemietauglicheit beigetragen hat.
Quelle: Our World in Data
Zurück zur Langzeitstrategie für den kommenden Winter und zu unserer angestrebten 7-Tages Inzidenz. In den einzelnen Bundesländern konnte ein sehr unterschiedlicher Rückgang der Fallzahlen beobachtet werden, sodass nach weiteren 3 Halbwertszeiten (zu je 14 Tagen, Reff 0,8), also Mitte Jänner, dieses Ziel vielleicht noch nicht von allen erreicht werden kann. Größere Probleme (d.h. auch sehr hohe Positivitätsraten) haben im Augenblick: Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Kärnten und die Steiermark.
Quelle: AGES
Die Gründe dafür sind unklar, wichtig jedoch scheint das Ausmaß und die Dauer des Versagens von TRIQ zu sein. Letzteres ist besonders interessant, weil sehr klug austarierte Modelle zeigen, dass die Dauer eines effizienten Lockdowns sowohl von der Reduktion der Kontakte, wie auch von der Dauer des Versagens von TRIQ abhängt (Grafik) . Nach diesem Modell würde ein Versagen von TRIQ von 6 Wochen und mehr einen Lockdown von 4 Wochen und mehr verlangen. Der Öffentlichkeit fehlen jedoch weitgehend Daten, wann und wo es zu einem Versagen von TRIQ kam. Vorarlberg teilte am 23. Oktober öffentlich mit, dass die Kapazitätsgrenze von TRIQ erreicht sei). Dort sind die Zahlen daraufhin im November explodiert, sodass von fast 4 Wochen TRIQ-Versagen ausgegangen werden muss. Da braucht es eine ordentliche Kontaktreduktion, sonst könnten die Erfolge eines Lockdown sich schnell verflüchtigen.
Quelle: Contreras S et al.
Vorarlberg hat den steilsten Abfall und könnte den Skibetrieb vielleicht gerade noch vor Ende der Weihnachtsferien öffnen, wären da nicht die vielen schwarzen Pisten, die den Älteren dort den Platz für die neue Hüfte im OP, durch Skiverletzte streitig machen würden.
Die Positivitätsrate ist laut Ampelkommission von 5,0% Mitte September zwischenzeitlich auf verheerende 23,2% (also fast jeder vierte Test fällt positiv aus) gestiegen. Sie lag zuletzt knapp über 15%, aber mit sehr unterschiedlicher Verteilung; Vorarlberg und Wien mit Werten um 10%. Gleichzeitig fiel der Anteil von Personen ohne Symptome bei der Testung von 25% auf Werte unter 15%. Die Positivitätsrate ist ein sehr guter Indikator für die allgemeine Verbreitung in der Bevölkerung, spiegelt aber auch die Teststrategie wider. Oft schwierig, das auseinanderzudröseln. Auch wenn sich an der Teststrategie nichts geändert hat, so kann sich doch schleichend das „Testverhalten“ ändern, zum Beispiel weil K1 Kontakte zunehmend weniger getestet werden. Als Folge hätte dann eigentlich die Positivitätsrate sinken müssen. Das tat sie aber bisher kaum. Die WHO verlangt Werte unter 5%. Während die Stadt New York Schulen sogar „geschlossen“ hat, weil der Wert 3% überstieg, habe ich bei uns noch zu viel Bereitschaft zum „Lockern“ bei einer Positivitätsrate über 10% vernommen Es wäre höchst an der Zeit, den Stellenwert der Positivitätsrate in der „Ampel“ zu korrigieren, und auch ENDLICH die Raten in den verschiedenen Altersgruppen bekannt zu geben, beziehungsweise zu erfassen.« R. Z.
Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!
Ihr Armin Thurnher