Lieber Onkel Kurz! Danke, dass du unser Seuchenmessias bist!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 253

Armin Thurnher
am 25.11.2020

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Wir erleben derzeit so etwas wie Erleichterungszwang, Hoffnungspflicht und Zuversichtsnötigung. Allerorten finden sich frohe Runden medial zusammen, das Licht am Ende des Tunnels scheint so hell, dass der Tunnel bereits größer ist als der Berg, und das alles nur, damit uns der Kanzler als Seuchenerlöser erscheinen kann.

Der Seuchenadvent ist gekommen, bald ist erster Adventsonntag, und die Krone zündet schon das Licht am Ende des Tunnels an. Ich entnahm sie pflichtgemäß am Sonntag dem Beutel und fand im Farbumschlag ein Foto eines traurigen Rudi, dafür aber strahlte im Hauptblatt der Messias umso mehr, der uns mit vertrauter Drei-Bier-Geste nun auch dem Impfstoff ordert und zur Verfügung stellt. Der Schriftleiter gibt Parolen von „Bürgerpflicht“ aus.

Endlich, endlich sind die Mühen vorüber.

Zwar kommen vorher noch ein paar Tausend Pleiten, zwar müsse ein paar zigtausend alleinerziehende Mütter an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben, die Angehörigen der eigenen Klientel gut durch die Engpässe manövriert, der Ibiza-Ausschuss zum Sobotkasperltheater herabgewürdigt und die nötige Islamdebatte zur pauschal diskriminierenden Karikatur verunstaltet werden.

Aber „Bundeskanzler Sebastian Kurz blickt nach vorne“, zumindest im Bildtext. Die nächste PR-Kampagne steht. Die Regierung lässt sich das PR-Budget erhöhen! Gottseidank werden notleidende Media-Agenturen miteinbezogen, diese zu kurz gekommenen Ärmsten des Mediengeldsegens, nun kommen auch sie zu Kurz, es wird auch Ihnen geholfen, und auch die PR-Wirtschaft darf zur Privatisierung von Österreichs Öffentlichkeit beitragen und dafür Beiträge erhalten. Bald regnet es fette Falter-Inserate!

Sprich wahr zu uns, Seuchenmessias!

Sag, hast du den öffentlichen Brief  deiner finnischen Kollegin gelesen, dieser hübschen Sozialdemokratin (doppeltes Ärgernis)?

Gewiss hast du ihn gesehen, denn du liest unseretwegen alles, was erscheint, um die Botschaften darin zu kontrollieren, zu unserem Besten und zu deinem Fortscheine. Ich, der ich auch so manches lese, bin diesbezüglich Fleisch von deinem Fleischmann, Messias, und mit Vergnügen stellte ich fest, dass alles prima läuft für dich.

Du führst! Du führst uns in den Lockdown hinein, aus dem Lockdown heraus und an der Nase herum!

Du machst ihn zu spät, du öffnest ihn zu früh und du machst nicht den Fehler, zu erklären oder zu versuchen, das Verhalten der Leute zu verändern. Hat dich das je interessiert? Nein, denn du bist der Charismatiker deiner selbst, und diesen Zauber willst du nicht dadurch verlieren, dass du dich mit der Besserung von Verhältnissen, gar mit Menschen außerhalb deines homogenisierten Freundeskreises abgibst. Es ist die hohe Regierungskunst unserer Tage, einzusehen, dass man sich um sich selbst zu kümmern hat. Es gefällt den Leuten, wenn man sich um sie nicht schert. Kümmert man sich um sie, nehmen sie es als Schwäche wahr, und von Schwachen will niemand nicht geführt werden.

Vor lauter Ego-Kommunikation ist dir die Corona-Sache etwas aus dem Ruder gelaufen, auf einmal waren wir statt wie üblich smartester Klassenbester die abgehängten Versager, die Hinterbänkler Europas. In Finnland sieht das ganz anders aus. Man hat versucht, es mit der Technikaffinität der Finnen zu erklären, die zu 50 Prozent die Corona-App benützen, mit der Weiträumigkeit des dünn besiedelten Geländes. Vielleicht liegt es aber an der Art der Regierung, mit der Krise umzugehen?

Statt klar zu kommunizieren, was das beste Verhalten für alle wäre, statt klare Strukturen zu schaffen, statt Ziele zu erklären, die Wissenschaft sprechen zu lassen und dich nicht selbst als Krisenmanager zu vorzudrängen (ohne jede Ahnung von der Sache), hast du uns immerhin deine Ziele nicht vorenthalten:

Nie mehr Lockdown! Das Schloss ist offen, der Impfstoff bestellt, wir dürfen hoffen, der Kanzler unser Held! (Seite 2-3 aus der Sonntagskrone)

Den Wintertourismus. Weihnachten. Und jetzt den Nikolo. Blöd wärst du, würdest du Zahlen nennen, versteht eh keiner. „,Die Vorfreude auf den Nikolaus ist immer sehr groß, daher wollen wir auch dieses Jahr den Kindern diese Freude nicht nehmen‘, betont der Regierungschef und reagiert damit auf die Krone-Schlagzeile vom Montag“, so steht’s in der Krone.

Ich habe nur eine Frage. Warum hast du dir die Martinigans entgehen lassen? Der große Donald Trump, mit dem du doch recht gern posiert hast, wenn er zwischen Golf-Terminen und Fox-TV-Time Zeit für ein paar Fotos mit einem jungen Ausländer nach seinem Geschmack hatte, zeigt dir den Weg. Wie ich der New York Times entnehme, hat der traditionelle Akt der Truthahnbegnadigung in höchstem Maß das Gefallen dieses amerikanischen Präsidenten gefunden. Das war es, was er am Regieren liebte, strahlend mit patriotischen Nichtigkeiten vor dem Volk zu posieren.

Man begnadigt ein Federvieh, das auch einen Namen bekommt, während Millionen andere den Weg aller Thanksgiving-Turkeys gehen. Wie konntest du dir so etwas entgehen lassen? Die gerettete Gans! Legende vom heiligen Martin inklusive! Kardinal macht mit! Dank und Segen aller Wirte, Bauern und Boulevardmedien gewiss! Knusprige TV-Time satt!

Aber es kommt ein nächstes Jahr, und Ideen kannst du immer brauchen. Nicht, dass es dir an ihnen fehlte. Die Blendgranate mit den Massentests ist vorzüglich gelungen. Epidemiologisch eher schwachsinnig, teuer, geldverschwendend und am Ende eh nicht so gemeint. Aber: Lockdown, Lights up, Lockdown, Lights up – dieser zart politsadistische Rhythmus bringt dich und uns doch super über die paar nächsten pandemischen Runden.

Ob die Seuche dabei ist, uns in eine neue politische Ära zu überführen, in der Pandemien betrachtet werden wie Börsenkurse, scheinbar unsteuerbar, aber immer zum Vorteil der gleichen Leute verlaufend, wird man sehen. Ich kann den Unmut der Covidioten, der Krisenverlierer verstehen, auch wenn ich weder ihre Erklärungen noch ihre Motive in irgendeiner Weise billige.

Vielleicht denkt du einmal darüber nach, ob dein Stil des charismatischen Medienregierens zu diesem Unmut beiträgt, ehe du uns mitteilst, dass du, du allein die Virenroute geschlossen hast.

(Der immer zutraulicher werdende Ton und das Kippen ins Du-Wort schuldet dieser Text der Tatsache, dass ich nunmehr im Advent der Lichterl-Dreieinigkeit Nikolo, Weihnachten, Ende des Tunnels hinlänglich reinfantilisiert bin und den Kanzler nur mehr als gütigen Onkel wahrnehmen kann).

Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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