Räuber unserer Möglichkeiten. Wrabetz twittert, Polzer polzt. Ein Quantum Wut über den ORF

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 247

Armin Thurnher
am 19.11.2020

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Gestern hatte ich ein Erlebnis. Jedem jungen Kollegen, der einen Text so begänne, würde ich ordentlich auf die Finger klopfen. Aber ich hatte gestern ein Erlebnis, bei dem mir das Noch-Nicht-Geimpfte aufging. Es war, als der notorische Sportreporter Oliver Polzer beim akustischen Begleiten – Kommentar wollen wir das nicht nennen – des Fußballspiels Österreich gegen Norwegen, einem veritablen Hundskick, in seinem unerträglich patriotisch-triumphalistischen Feldwebelton rief: „Jetzt brauchen wir Spektakel!“ Die Kamera zeigte das feldherrengleiche Antlitz des Marko Arnautovic, dieses Arnauten ohne Pferd, Anführer dieser Armee ohne Waffen, unserer Fußballnationalmannschaft, und im gleichen Moment, da Polzer nach Spektakel verlangte, man sah es schon kommen, starteten die Norweger einen Konter und schossen das 0:1.

Das ist Sport im ORF: Blind für die Fakten, unfähig die Vorgänge zu analysieren, in Emotionen kippend, in kläglich winselndem Patriotismus endend. Stammtisch mit Mikrophon. Sachlich, sprachlich, psychologisch und überhaupt daneben. In Kenntnis dessen, wie witzig und klug Herbert Prohaska im Fußballleben ist, kann man, was sie im ORF aus ihm machen, so richtig ermessen: sie berauben ihn seiner Möglichkeiten und stellen das stolz als Hauptabendtauglichkeit aus.

Ein schier unglaublicher Tweet des ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz, gewesener Sozialdemokrat von unerreichter Krisengeschmeidigkeit und Haftfähigkeit am Sessel, traf mit Polzers Holzspruch zeitlich fast genau zusammen und löste in mir diese Tirade aus, die ich nach nächtlicher Verzögerung mit neu erwachtem und durch nichts gemildertem Zorn nun Ihnen zumute.

Wrabetz sah, wie Rudi Fussi in einem Tweet die lockdownmäßige Schließung des Wiener Spielzeughandels beklagte und twitterte: „bitte 3x raten von wem R.Fussi gerade bezahlt wird?“ Falls es jemand nicht wusste, sprang ihm Richard Grasl bei, gewesener kaufmännischer Direktor des ORF, nunmehriger Kardinal Richelieu des Kurier und wesenmäßig Fleisch vom Fleische der niederösterreichischen ÖVP, also potentielles austropolitisches Spitzenmaterial. Grasl twitterte: „WK Wien.“

Was mich daran empörte? Dass hier zwei satte Machthaberer, durch keine mir erkenntliche Leistung für ihre Machtpositionen im österreichischen Mediensumpf qualifiziert, außer durch ihre Fähigkeit, sich an den jeweils größten Ast zu klammern, hier gemeinsam über einen kleinen Kollegen herfielen, dem sie, die großen Medienkaufleute, doch tatsächlich kommerzielle Käuflichkeit vorwarfen.

Wrabetz, der die Position des ORF, der seiner Gründungsidee nach den Medienmarkt kontrollieren einhegen und mit besserem Beispiel korrigieren sollte, in eine permanenten Tauschgeschäftigkeit mit dem Boulevard verstrickte. Grasl, der den Kurier, einst Organ einer gewissen Bürgerlichkeit, vollends zum kanzlerhörigen, türkisen Verlautbarungsorgan macht. Diese beiden Schlechte-Luftgeschäftsleute erfrechten sich, über Fussi herzufallen, der neben seiner beruflichen Basis als Leiter einer PR-Firma ein politisches Nachrichten-Kabarett macht, „Bussi Fussi“, und dessen Kommentare an Schärfe und Punktgenauigkeit sämtliche „politischen“ Freunderl-Tratschrunden im ORF locker in den Sack stecken.

Rudi Fussi verlor wegen Regierungskritik, der ersten Pflicht jedes demokratischen Mediums, seinen Sendeplatz bei einer vom Kanzleramt mitfinanzierten Privat-TV-Station und setzte seine Sendung auf Youtube fort; jetzt pausiert sie, derweil bietet Fussi mit Natascha Strobl ebenfalls auf Youtube politische Analysen an.

Statt solchen Leuten sofort einen Sendeplatz anzubieten, verhöhnt sie der Generaldirektor des ORF. Es ist so jämmerlich, so kläglich, so österreichisch!

Was habe ich im Lauf meines Lebens nicht für den ORF alles geschrieben und getan! Ich begann für ihn zu schreiben, und er hat mich so mies behandelt, dass er – wofür ich ihm noch immer dankbar bin – gleich als Berufsperspektive ausschied. Bacher selbst hat mich noch zensuriert, der sterbende Robert Hochner gab mir sein letztes Interview, weil er um diese meine unglückliche, aber echte Liebe wusste, ich habe Lebenszeit geopfert, um ihn vor Regierungen zu retten und habe mit anderen dazu beigetragen, dass es wenigstens das Radio Symphonieorchester noch gibt, und – unwillentlich – dass Wrabetz seinen Posten behielt. Ich habe erlebt, wie korrupt und dienstfertig das System ORF ist: sobald einige Leute meinten, Grund zur Annahme zu haben, ich befände mich in der Nähe eines Kanzlers, kam ich in Sendungen auf einmal vor; sobald sie das Gegenteil vermuteten oder wussten, interessierte ich niemanden mehr.

Ja, es gibt dort die Nachrichtensendungen, es gibt tolle Anchormen und -women, es gibt redaktionelle Resilienz und es gibt vor allem Ö1, das fast schon exterritorialen Charakter hat, aber gewiss bald ins Visier des Kurz’schen Medienregimes gerät (ohne den Segen Ibiza wäre die Sache schon erledigt).

Aber, das will ich noch sagen: im ORF nicht eingeladen zu werden ist systemlogisch. Es können nicht alle drankommen. Ein Sender, der auf der Suche nach interessanten Stimmen sein müsste, diese Suche aber zugunsten von Quotendenken, vor allem aber zugunsten von politischen und medialen Tauschgeschäften hintanstellt, bleibt vor lauter Postenerhalt weit hinter seinem Auftrag zurück. Die vom Falter lädt man nicht ein, wenn es dem Kanzler nicht gefällt. Wie kann der ORF als Gegenkraft fungieren, wenn er zugleich die Fellners groß macht und die Krone groß hält? Diesbezüglich ist er leider durch und durch verrottet.

Nach jahrelanger Kritik, er sei nicht imstande, zu artikulieren, was man an ihm brauche, hat er jetzt mit einer Werbekampagne für sich begonnen. Die beste Werbekampagne wäre, würde der ORF aufhören, eine riesige Verhinderungsmaschine zu sein. Eine Ermöglichungsmaschine müsste er sein, er müsste die Besten unter den Jungen und Alten suchen und finden und ihnen einen Platz geben, wo sie lernen, wachsen, sich entwickeln können. Ja, sofort müsste er Bussi Fussi einen Sendeplatz geben.

Er müsste seinem Publikum phantasievoll erklären können, warum er ihr Sender, ihr kritischer, demokratischer, ihr systemnotwendiger Sender ist.

An der Spitze des ORF dürfte ein vages Gefühl dafür vorhanden sein, dass man bei dieser Aufgabe versagt. Dieses Gefühl erzeugt dann Äußerungen wie den Tweet von Alexander Wrabetz. Österreichisch wäre es, die Frage einfach dem Fragenden zu stellen. Im Polzer-Ton, zurückzustellen. So österreichisch wollen wir denn doch nicht sein.

 

Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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