In der Lügen-Pandemie: Harter Lockdown für die Wahrheit

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 242

Armin Thurnher
am 14.11.2020

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Fragen Sie sich manchmal, was diese Regierung antreibt? Hat sie einen Plan? Folgt sie einem Konzept? Immer öfter höre ich, sie verfolge dunkle Absichten, führe ein Experiment mit uns durch, teste, was man alles machen könne etcetera. Das ist Unsinn. Ich fürchte, sie agiert einfach konzeptlos und macht in der Art, wie sie agiert, vieles nur schlimmer. Vertrauen sollte sie herstellen, sie schafft Misstrauen. Nationalen Notstand sollte sie signalisieren und Solidarität schaffen, aber sie grenzt die Opposition aus und behandelt rote Bundesländer anders als schwarze.

Schnell sollte sie in der Pandemie handeln, sie handelt verzögert und – in meiner laienhaften Ansicht – noch schlimmer: mit Ansage. Was zur Folge hat, dass viele vorher sich noch einmal so benehmen, als gäbe es kein Morgen. Mit bekanntem Ergebnis. Schon ist es wieder so weit. Wirtschaft und Gesundheit werden als einander widersprechende Ziele definiert, wir müssen Kinder und Eltern quälen, damit das Weihnachtsgeschäft läuft etcetera. Die Gelddusche trifft die großtürkisen Spezis sicher, die Kleinen nur, wenn sie Glück haben.

Schau mir in die Augen, Virus. Ich bin’s, dein Kanzler!

Foto @ APA

Der Kanzler muss den propagandistischen Krisenprofit für sich lukrieren, also gibt er den Härtling. Der Gesundheitsminister kriegt den sanften schwarzen Peter. Zum Zweck des Agenda Setting erweist sich der Lockdown als Segen: wer redet noch vom BVT-Versagen, von Nehammers Verantwortung, von Ibiza und türkisem Postenschacher? Na, zumindest wir hier.

Kürzlich war ich im Spital, für einen kleinen Eingriff. Ein Leistenbruch. Als Angsthase bangte ich ordentlich vor der Operation, was sich naturgemäß als völlig unbegründet erwies. Es war ein kleines Ordensspital, die Betreuung hätte nicht besser sein können, ich lernte Menschen aus aller Herren Länder kennen, Schwestern aus Kerala, Kolumbien, Polen, Pfleger aus Gambia, Tunesien, Rumänien und von Weißgott wo noch.

Während ich dort lag (wenige Tage nur, Leserinnen der Kolumne haben es nicht bemerkt), füllte sich das Spital auch mit Corona-Patientinnen. Das ging schnell. Vor der OP hatte ich meinen sehr freundlichen und überaus kompetenten Arzt gefragt, ob es eh kein Problem mit der Seuche gebe (insgeheim hoffte ich, er würde die Operation auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagen), aber er nahm mich auf.

Das war wohl knapp, denn nun warten wir wieder auf neue Anordnungen der Bundesregierung, denen wie immer Ankündigungen der Anordnungen vorhergehen, vorzugsweise in den Gratisblättern Österreich oder Heute, danach in der Krone, den offiziellen Verlautbarungsorganen eines Staates, dessen Verlautbarungswesen man nur mehr ein Verlotterungswesen nennen kann.

Ehe ich wieder vollends in den Schimpfmodus verfalle, möchte ich nur ganz kurz das Loblied des ärztlichen und der pflegenden Personals singen. Wo wären wir ohne es? Es ist auch das Lied der persönlichen Betreuung, wie man in sie einem kleinen Spital erfährt. Meine Freundin N., dem Publikum dieser Kolumne ebenfalls bekannt, mobile Palliativschwester, mit einer Krebsdiagnose geschlagen, weiß aus größeren Spitälern ganz anderes zu erzählen: beste medizinische Versorgung, aber immer neue Ärzte, immer neue Schwestern, kein persönlicher Zuspruch, keine Möglichkeit, nachzufragen. Stress als Folge von Optimierung. Manche notwendigen Apparate und modernen Operationsmöglichkeiten für schwere Krankheiten stehen nur in großen Spitälern zu Verfügung. Auf öffentlicher Medizin lastet in der Pandemie noch größerer Druck als sonst auch. Je schwerer die Krankheit, desto öffentlicher das Spital. Versorgung grenzt an Entsorgung. Heilung braucht aber Nähe, Zuspruch, Vertrauen, Zuwendung, Zeit.

Kann man sich vielleicht für nach der Krise merken. Jetzt herrschen überall Ausnahmezustand, Erschöpfung und Überforderung. Leben Retten geht vor Heilen. So spricht halt der Laie, der sich wieder in sein Exil verziehen durfte.

Ich hatte jedenfalls Glück. Während ich im Spital lag, las ich Hannah Arendts Essay über Wahrheit und Politik. Erschienen unter dem Titel „Truth and Politics“ im New Yorker, 1967, als ich das Vergnügen hatte, ein Jahr in dieser schönen Stadt zu verbringen (Arendts Essay ging, zu meiner Schande bekenne ich es, damals an mir vorbei).

Eine klare Einsicht reiht sich darin an die andere, alles ist elegant formuliert und doch nicht leichtgewichtig. Arendts Stil ergibt sich aus ihrer humanistischen Bildung; in manchen ihrer Bücher, etwa in „Vita Activa“, erreicht er einen geradezu klassizistisch hohen Ton, wie wir ihn aus den schönsten Werken deutscher Dichtung erkennen. Denken ist bei ihr ein ästhetisches Erlebnis. Was sie nicht schön sagen kann, sagt sie gar nicht, scheint ihr Richtmaß zu sein.

Diese Höhe erreicht der erwähnte Essay nicht ganz, vielleicht, weil er im Original auf englisch erschien. Ein spätes Werk. Bei einer Passage fiel es mir wie Schuppen von den Augen: „Die modernen Reklame- und Propagandatechniker, die damit beschäftigt sind, ihre Funktionen und images den jeweils sich ändernden Umständen anzupassen, treiben richtungslos in einem Meer der Möglichkeiten, in dem sie nicht einmal der Glaube an die eigenen Machenschaften rettet.“

Richtungsloses Treiben (ich habe mir erlaubt, das „direktionslose Treiben“ des Originals darauf zu ändern), das ist es, was wir jetzt beobachten. Coronaversagen trifft auf Terrorversagen, zusammen mit dem nach Ibiza offenbar gewordenen Moralversagen (sprich dem habituellen Postenschieberdebakel) und mit dem europapolitischem Versagen ergibt das tatsächlich einen Ozean, auf dem wir die türkise Fraktion der Regierung richtungslos herumtreiben sehen. Weil sie sich immer nur anpasst, selbst kein politisches Konzept hat. Nur ein Ziel, dem sie alles unterordnet: Machterhalt. Machterhalt ist der Inhalt, richtungsloses Treiben die Form, homogener Dilettantismus die Erscheinung.

Manchmal meint man in ihren Gesichtern Spuren davon zu entdecken, dass sie an ihre eigenen Machenschaften nicht mehr glauben. Das muss eine Täuschung sein. Mit den Grünen können sie sowieso alles machen. Die tun einem schon leid. Klammern sich ans treibende Floß, weil sie alles brauchen, nur keine Wahl.

Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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