Sind wir ein Failed State? Nein, es regiert der homogene Dilettantismus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 241

Armin Thurnher
am 13.11.2020

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Ist Österreich unter Kurz ein „failed State“, wie Robert Misik auf Twitter kürzlich behauptete? Natürlich nicht. Allerdings visiert Kurz in seinen beiden Regierungen eine andere Form von Staat an, eine Art Nicht-Sozialstaat oder so. Dank Ibiza blieben viele seiner staatsfeindlichen Maßnahmen unvollendet. Dennoch gelang bereits einiges an Zerstörung.

Das Gesundheitsministerium verlor jene Abteilung, die wir in der Pandemie am dringendsten gebraucht hätten. Die Selbstverwaltung der Krankenkassen wurde zerschlagen; ihre Zusammenlegung ersparte nichts und brachte nur den Unternehmern das Übergewicht.

Der ORF blieb trotz Plänen zur Zerschlagung und Übernahme noch einigermaßen unangetastet und wird nur durch Förderung der Konkurrenz geschwächt. Kurz missachtet das Parlament noch schärfer als alle seine Vorgänger, und das will etwas heißen. Das Nationalratspräsidium zuerst als Parkplatz für Frau Köstinger zu missbrauchen und dann mit dem untragbaren Sobotka zu schmücken, zeigt das deutlich.

Alles, was nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit roch, wurde in den Griff genommen. Die Beamtenschaft, Rückgrat des demokratischen Staates, wurde durch bezahlte private Berater zurückgedrängt; Fachexpertise tendenziell durch Medienberater ersetzt; die Ministerien durch weisungsgebundene Generalsekretäre entmündigt, der Verfassungsdienst aus dem Kanzleramt geworfen. Legistische Stümperei ungesehenen Ausmaßes riss ein.

Ministerin Susanne Raab im Quartett der Qual. Ob virologisch oder anti-islamistisch – immer dilettantisch

Foto @ ORF

Dazu kam eine Personalpolitik, die nicht auf die Besten ihres Faches setzte, sondern auf die Loyalsten jener schwarzen Jugendbewegung, die Kurz an die Macht brachte. Homogener Dilettantismus war die Folge. Regiert wird dilettantisch, aber diszipliniert. Man hält sich an die Parolen aus dem Chefpropagandabüro.

Mit dem neuen Koalitionspartner bleib es bei diesem Stil; die Grünen wurden einerseits als Partner schlecht gemacht, wo es ging; andererseits umarmt, wo es ihnen schadet (man denke an die unappetitliche Liaison der Klubobleute August Wöginger und Sigi Maurer). Justizministerin Zadić wurde nicht über die Existenz des Ibiza-Videos informiert, Gesundheitsminister Anschober versuchsweise in die zweite Reihe gedrängt, solange es dem Kanzler Propagandaerfolg versprach, als erster Corona-Krisenmanager aufzutreten.

Europapolitisch verfolgte Kurz seinen beklagenswerten, von allen nicht nachahmenswerten Konservativen inspirierten Kurs der Renationalisierung weiter und versuchte, sich durch Provinzialisierung den Status eines nationalen Helden zu sichern.

Für die Diagnose „failed State“ reicht das alles nicht. Im großen und ganzen funktioniert der Staat, funktionieren seine Organisationen, und vor allem die Gegenkräfte der Zivilgesellschaft sind intakt. Von Somalia oder Afghanistan trennt uns doch fast alles. Der Begriff zeigt eher die Nervosität der Kritikerinnen und Kritiker.

Von Versagen nicht der, aber in der Regierung muss man dennoch sprechen. Corona zeigt, wie kontraproduktiv der egobezogene Kommunikationsstil des Kanzlers wirkt. Das Kommunizieren in Pandemien überlasse man Fachkräften. Man wende alle Energie auf die Bündelung der (durchaus vorhandenen) fachlichen Kompetenz in eine national und international vernetzte Task Force und darauf, durch transparente Kommunikation das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Man mache den Leuten nicht dies und das vor, man übergieße sie nicht mit Werbung, man ängstige sie nicht, vielmehr überlege man, wenn man schon all die Kommunikationsfachleute hat, wie man das Verhalten der Menschen zum Sinnvollen wendet. Übrigens eine klassisch-aufklärerische Frage.

Man hätte sich durchaus eine Medien-Task-Force dazu vorstellen können, eine öffentliche Debatte: wie kommuniziere ich in diesem Sinn was richtig, etcetera. Das ersparte man sich, weil man nach dem Grundsatz des Ökonomen Philip Mirowski vorging „Never let a good crisis go to waste“ (Mirowski meinte es zynisch).

Aus dem von Kurz selbsternannten Corona-Musterstaat Österreich wurde ein europäisches Schlusslicht; man sieht es kommen, wie Kurz das erste sich, das zweite dem Gesundheitsminister umhängen wird.

Das gleiche Muster – Kommunikation zwecks Eigennutz zur Ablenkung von eigenem Versagen – sehen wir nach dem Terroranschlag in Wien jetzt beim Thema „politischer Islam“. Der Staatsbesuch von Kurz beim französischen Präsidenten, Frau Raab als neue Karte im Quartett der Qual, die missratenden Bildinszenierungen: all das soll Ablenken vom in diesem Fall eklatanten geheimdienstlichen Versagen und davon, dass der verantwortliche Innenminister, Nehammer mit Namen, nicht wissen will, was Verantwortung bedeutet.

Der Islamismus muss bekämpft werden, keine Frage. Das hat bisher nicht funktioniert. Aber all den Regierungsdilettantismus ständig mit mit propagandistischem Zuckerguss zu überziehen, das ist nicht mehr auszuhalten. Erstens ist Macrons Haltung die eines französischen Präsidenten, und das bedeutet: Laizismus. Man kann nicht auf den Islam hinzeigen, wenn man den politischen Katholizismus außer Acht lässt, der in Polen Häuser von LBGT-Aktiven anzündet, die Hindutva, die in Indien gern Eisenbahnzüge voller Moslems abfackelt, terroristische jüdische Siedler oder Buddhisten, die bei Bedarf Köpfe ihrer Gegner einschlagen.

Zweitens geht es innerhalb des Islam zuerst um die seit hunderten Jahren – und seit Jahrzehnten auf dem Balkan! – von Saudi-Arabien geförderte Strömung des Wahabitismus. Und auch um die Frage, ob sich ein souveräner Staat (Österreich) von einem anderen (Türkei) religiöse Erziehung, Vereine und Imame finanzieren lässt. Was übrigens ist dem Integrations- und Außenminister Kurz zu den arabischen Financiers des Islamismus bisher eingefallen? Was hilft

eine Scheinallianz mit Macron, von dem Kurz mehr trennt als ihn verbindet?

Keinesfalls sollte eine Religion pauschal diffamiert werden. Wenn es um Religion geht, dann muss man im französischen Sinn über die Trennung von Staat und Kirche reden.

Werden solche Unterschied weggewischt, entsteht eine verschmierte, ressentimentgeladene Politik, die nur in Selbstdarstellung und Selbsterhalt der Macht ihr Ziel sieht. Trumpismus light, zweifellos. Bodenlosigkeit, gewiss. Demokratiegefährdung, möglicherweise. Aber noch kein failed state. Wir, die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, müssen es uns ja nicht gefallen lassen.


Lese ich das durch, fürchte ich, an diesem Freitag, dem 13. hat es mir den Humor verschlagen. Ich verspreche, mich gleich auf die Suche zu machen.

Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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