Das Leben ist zu ernst, um es ernst zu nehmen, oder: Heute leider kein Gedicht

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 239

Armin Thurnher
am 11.11.2020

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Leser, Les’rin glaube nicht,

was die Überschrift verspricht!

„Das Gedicht in Seuchenkolumne 218 ,Noch etwas zu Igor Levit‘ ist vielleicht nicht das literarisch anspruchsvollste aus Ihrer geschätzten Feder, aber das, welches mir am meisten zusagt. Inhaltlich, aber auch die kurz-kurze Form (und das hat nix mit Sebastian zu tun, ich meine vielmehr kurze Zeilen und kurze Strophen)“ – dieses schrieb mir vor ein paar Wochen ein geneigter Leser aus Linz.

„Ich versuche mit diesen Al-Fresco-Verslein ja auch nicht große Lyrik, sondern eher etwas Populäres (auf diese Weise ist es mir möglich)“, antwortete ich ihm geschmeichelt, und sagte wie immer damit nicht genug. Dass ich mir das Populäre versage, war immer schon mein Fehler, eine Folge des Fuchs-und-die-Trauben-Syndroms und überhaupt Folge einer falschen Scheu, die ich lebenslänglich wohl begründen, aber nicht ablegen konnte.

„Warum schreibst du nicht einmal einen Bestseller“, fragt meine Mutter gern, wenn ich ihr wieder einmal ein neu erschienenes politisches Buch von mir in die Hand drücke. „Politischer Essay ist das einzige, was die Menschen von dir lesen wollen“, sagt mein Verleger (er drückt es höflicher aus, „das einzige“ sagt er natürlich nicht). „In Deutschland kennen Sie dich halt als politischen Schriftsteller“ („…wenn überhaupt“, setzte ich im stillen hinzu, aber das sagt er ebenso wenig). „Also, was willst du?“

Carl Spitzweg: Der arme Poet (1839)

Neue Pinakothek

Der Mensch will bekanntlich immer das, was er nicht hat, kann oder zu erreichen imstande ist. Aber nicht einmal ich wäre zur Verblendung befähigt, dass sich Lyrik tatsächlich verkaufen lässt. Einer der letzten, der das im deutschen Sprachraum zuwege brachte, war Wolf Wondratschek mit seinen Bänden bei Zweitausendeins, und das ist schon ein Zeitl her. Hans Magnus Enzensberger hat behauptet, die Obergrenze für verkaufte Lyrikbände liege bei 1437 Stück, oder so etwa. Es gibt Gegenbeispiele, aber die fallen mir momentan nicht ein.

Nein, mein sozialmedial-reimendes Bemühen hat andere Motive. Da wäre einmal die Kronen Zeitung. Die längste Zeit brachte dieses Blatt fast täglich grottenschlechte Reime eines Verseschmieds unseligen Andenkens namens Wolf Martin (der Künstlername war das Künstlerischste an ihm). Der weiland Herausgeber Hans Dichand, die Nase stets hart im Wind des Volkes (so ähnlich hat das einmal Helmut Gansterer formuliert), vom hetzerischem Rechtsextremismus bis zu geschmackssicher ausgewählten Fotos nackter Frauen, hatte Martin bei der linken Zeitschrift Forum entdeckt, wo Martin ein Spottgedicht veröffentlicht hatte.

Dichand bot ihm als Charaktertest den Job des täglich erscheinenden Poeten an. Martin nahm den Job. Die Gedichte durften natürlich nicht links sein, sie mussten zur Krone passen. So geschah es. Die Linke regte sich wunschgemäß über Martins Provokationen auf, was diesen nur umso mehr anstachelte, bis zu Huldigungsverslein an Führers Geburtstag, was die Krone problemlos druckte, der Soldatengeneration zuliebe.

Seit Martins Tod klafft hier eine Lücke, und warum sollte man nicht versuchen, sie anders zu füllen? Das gedichtete Couplet hat in Österreich eine glänzende Tradition, von Nestroy über Karl Kraus bis zum famosen Fritz Herrmann, den sein bekanntes, glänzendes Spottgedicht  den Job als Kulturberater des Ministers Fred Sinowatz (SPÖ) kostete. Sein Kopf musste rollen, damit Herbert von Karajan an der Oper blieb.

Ein weiteres Motiv stellt die leise Verachtung fürs Gedicht dar, die ihm in Kollegenkreisen meist entgegengebracht wird (Claus Pándi von der, ja genau, Kronen Zeitung bildet die rare Ausnahme). Tante-Elfi, der Autorinnenname, den ich unter meine Gedichterln setze, antwortet auf diese Verachtung. Indem sie behaupteten, was ich da produziere, sei Tante-Elfi-mäßig, wollten meine Kritiker die Tantenhaftigkeit, das Gelegenheitshafte und Lächerliche meines, ja, alles Gereimten behaupten und mich davon abbringen.

Gleich nahm ich diesen Namen an, er soll die Tagesaktualität und die Skizzenhaftigkeit dieser Versuche markieren; anders als die schnell ziehende und manchmal danebenschießende Tante zeichnet der Lyriker Armin Thurnher Gedichte und Übersetzungen mit seinem Namen.

Reimsucht kann als Motiv schon des Titels dieser Kolumne wegen nicht ausgeschlossen werden. Auf Twitter Reime zu veröffentlichen, wurde zusätzlich als Verhöhnung dieses ach so zeitgemäßen Mediums empfunden; genau so ist es gemeint. Nicht nur, aber auch. Es findet Nachahmung. Lyrik infiziert. Naturgemäß können dort meist nur kurze Tante-Elfi-Gedichte veröffentlichet werden. Anfangs waren es ausschließlich Journo-Limericks wie dieser:

Der Überlebenskünstler

Es war ein Mann namens Wrabetz.

Manch Schrecknis, kann sein, ihm nah geht’s.

Doch was immer geschieht,

schwimmt geschmeidig er mit,

und bei „ORF-Chef“ sein Name steht da stets.

Ich mochte auch diesen aus der Politlimerick-Serie ganz gern:

Legion Candor

Es fühlt sich Ministrin Edtstadler

als Sebastians Kampf- und Kriegs-Adler.

Ihre Phrasen sind dreist,

doch ihr Lächeln vereist

beim Kriegstanz, dem Firericht-Wadler.

Aber die Zeit des Sichtens und Überarbeitens ist noch nicht gekommen. Einiges liegt noch auf Halde. Die ganze Auslandspartie gab’s zum Beispiel noch nie (Heribert Prantl und Claas Relotius harren geduldig der Publikation). Hier ein Beispiel:

Zeitlos

Es spürt keiner geschmeidig den Trend so

wie Giovanni „Die Zeit“ di Lorenzo.

Der brachte es weit,

im Sattel der Zeit.

doch auch er weiß nicht, warum sie rennt so.

Das war nicht meine letzte Kolumne

zu Reimgewerb und Dichtungswesen.

Für heute dank ich dem Publikumne

höflich für sein Bis-Hierher-Lesen!


Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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