Die Grippe in Zeiten von Covid19, Teil II

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 224

Armin Thurnher
am 26.10.2020

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Gestern lasen Sie hier Teil 1 dieser Informationen über Grippe in Zeiten von Covid. Sie stammten, wie die heutige Kolumne, vom Virologen Robert Zangerle von der Med-Uni Innsbruck. Die heutige Folge (Schluss der Miniserie über Grippe) leitet er mit einer leicht grantigen Notiz zum Stand der Corona-Dinge ein.

»Ehe wir zum Thema Grippe zurückkehren, eine aktuelle Covid-Anmerkung: Langsam bekommen auch die Vertreter der Strategie einer Herdenimmunität in Österreichs Krisenstäben ein wenig das Muffensausen wegen Überlastung des Gesundheitssystems (alles andere, auch die Wirtschaft, ist denen wurscht), weil sich aktuell die Verdoppelungszeiten doch verkürzt haben (Hospitalisierung 12 Tage, Todesfälle 8 Tage). Lediglich die Steigerung der Belegung von Intensivstationen ist annähernd unverändert (26 Tage). Es sollte klargestellt werden, dass sich am offenen Zugang zu dieser Versorgung nichts geändert hat. Wer alles ist für das krass gesundheitsgefährdende Verhalten bei der Demonstration in Innsbruck und beim Fußballmatch in Salzburg verantwortlich? Rein rechnerisch ist es wahrscheinlich, dass bei Beachtung der jetzigen Verbreitung das Virus von dort in Haushalte eingeschleppt wurde. Ist die Staatsanwaltschaft wegen § 179 StGB schon aktiv? –

Nun zur Grippe. Schützen nicht „die Maßnahmen“ (NPI = nicht-pharmazeutische Interventionen) uns auch vor der Grippe? Hier ist gesichertes Wissen ebenfalls Mangelware. Zweifellos scheinen die harten „Lockdowns“ in Neuseeland wirklich kausal zu sein, da dort von Anfang Juni bis Ende August nur bei 6 Patienten Grippeviren nachgewiesen wurden!).

Dann wird die Datenlage aber sehr schütter. Und wer kennt schon das Verhalten der Menschen im kommenden Winter und wer will wissen, welche Maßnahmen getroffen werden? Jedenfalls wird das Händewaschen noch wichtiger, weil Grippeviren im Vergleich zu SARS-CoV-2 mehr über Schmierinfektion übertragen zu werden. Deshalb wird ganz generell eine Grippeimpfung ab dem 6. Lebensmonat empfohlen.

Wirklich? Selbst wenn ausreichend Impfstoff zur Verfügung stünde, könnte kein Land der Welt die gesamte Bevölkerung innerhalb von 2 Monaten gegen Grippe impfen, ohne das Gesundheitssystem massiv zu überlasten. Deshalb wird die Grippeimpfung NUR für so genannte „Risikogruppen“ empfohlen, die sich von Land zu Land etwas unterscheiden .

 

In Österreich gilt „Besonders empfohlen ist die Impfung daher unter anderem für:

  • Kinder ab dem vollendeten 6. Lebensmonat

  • Personen mit chronischen Erkrankungen

  • Menschen ab dem 60. Lebensjahr

  • Personal des Gesundheits- und Pflegebereichs

  • In Gemeinschaftseinrichtungen betreute Personen und Personal (z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen, Kindergarten, Schulen, soziale Einrichtungen/Sozialberufe, etc.)

  • Schwangere und Frauen, die während der Influenzasaison schwanger werden wollen

  • Personen mit häufigen Publikumskontakten (z.B. Personal in Tourismus, Gastronomie, Handel, Friseur- und Kosmetikbetrieben, etc.)“

Ist genügend Impfstoff da, um wenigstens die „Risikogruppen“ zu impfen? Diese Frage kann mit einem klaren NEIN beantwortet werden. In Österreich stellt sich die Frage jedoch anders: Kann die Nachfrage nach Impfstoff gedeckt werden? Höchstwahrscheinlich ist auch diese Frage mit nein zu beantworten. Wieso? In Österreich nimmt 8-10% der Bevölkerung die jährliche Grippeimpfung in Anspruch (Schlusslicht in Europa), heuer schaut es so aus, dass dieser Anteil viel größer sein könnte, obwohl es dazu keine belastbaren Daten gibt. Angenommen 20% der Bevölkerung möchte sich heuer gegen Grippe impfen lassen, so ist es nach den herkömmlichen Regeln schlicht nicht vorstellbar, dass eine solche Steigerung des Bedarfs gedeckt werden könnte. Die Produktion der Grippeimpfstoffe ist technisch aufwändig und es gibt unzureichend Produktionsstätten. UNICEF beschreibt das diplomatisch: „manufacturers’ flexibility is considered low“ .

Was passiert bei der Herstellung? In sterile Eier wird Saatviruslösung injiziert. Durch Bebrüten werden die Viren vermehrt. Dann werden die Viren abgesaugt, mit Hitze oder Chemikalien deaktiviert und weiter zu Impfstoff verarbeitet. Das dauert etwa sechs Monate. Es wäre doch bekannt geworden, wenn neue Produktionsstäten im „Wuhan Style“ eröffnet worden wären. Deshalb ist die Behauptung, dass „im Lauf der nächsten Wochen und Monate aufgrund von Nachbestellungen und der zusätzlichen Produktion insgesamt 1,86 Millionen Dosen in Österreich verfügbar sein werden, berichtet Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des Österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller“ als höchst problematisch einzustufen. Welchem Land nimmt Österreich dann Impfdosen weg? Oder ist das nur eine Nebelgranate, um von den ethisch mehr als bedenklichen Verteilungsproblemen des Impfstoffes in Österreich abzulenken ?

Die Grippeimpfung in Österreich wird zum größten Teil vom freien Markt geregelt und da ist Transparenz ein Fremdwort. Allgemein ausgegangen wird von 1,25 Millionen Impfdosen in Österreich, davon sind 450 000 vom Bund eingekauft (vermutlich alles was möglich war). Nach Auskunft des Büros von Minister Rudolf Anschober teilt sich diese Menge so auf:

  • 300.000 nasale Impfungen für Kinder vom vollendeten 24. Lebensmonat bis zum vollendeten 15. Lebensjahr

  • 50.000 inaktivierte Impfungen für Kinder vom vollendeten 6. bis zum vollendeten 24. Lebensmonat und bei Kontraindikationen gegen Lebendvakzine

  • 100.000 Fluzone HD/Efluelda (Vierfachimpfstoff mit erhöhter Menge an Antigene) für Personen über 65 Jahren in erster Linie in Alten- und Pflegeheimen.

Fluzone wäre der Impfstoff, den ich mir wünschte, weil Vierfachimpfstoffe mit Verstärkung (Adjuvans oder mehr Antigen) erst nächstes Jahr auf den Markt kommen. So habe ich mit dem gewöhnlichen Vierfachimpfstoff vorliebgenommen (Bestellung Anfang Juni!). Grippeimpfstoffe gehören leider zu den nicht sehr wirksamen Impfstoffen, verstärkte Impfstoffe wären deshalb wünschenswert. Der einzige, der am Markt erhältlich wäre, ist ein Dreifachimpfstoff, der für Ältere durchaus attraktiv ist, weil diese Gruppe ein geringeres Risiko für Influenza B haben, aber um die Verfügbarkeit dieses Impfstoffes herrscht dichtester Nebel. Die Firmen hüllen sich in Schweigen. Ich muss Armin Thurnher dringlich um Nachhilfe in Kapitalismus bitten!

Den Vierfachimpfstoff lagere ich einstweilen im Kühlschrank, um mich und meine Frau Anfang Dezember zu impfen, um so dessen Wirksamkeit noch für Februar/März am besten zu nutzen (bei scharfer Beobachtung der Aktivität der Grippe). Inzwischen hat sich mein persönlicher Groll (falls ich auch keinen Impfstoff erhalten hätte) gegenüber der Einkaufspolitik der Stadt Wien, die 400 000 von insgesamt 800 000 Impfdosen vom freien Markt „eingekauft“ hat, in einen allgemeinen Groll gewandelt. Während eine Journalistin die Vorgangsweise Wiens sogar lobte , kommt mir eher die Anrufung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den Sinn. Wo bleibt der Aufschrei von Juristen? Die Stadt Wien handelte in bester Tradition des durch Covid-19 aufkeimenden Nationalismus/Regionalismus, wo Frankreich Anfang März als erstes EU Land ein striktes Ausfuhrverbot für medizinische Schutz Ausrüstung beschloss, Deutschland zog sofort nach und beschlagnahmte unmittelbar darauf bezahlte Ware aus Österreich und Tschechien machte das Gleiche mit Schutzausrüstung für Italien. Innerhalb weniger Tage war dieser Spuk wieder vorbei, weil die Kommission in Brüssel Tacheles redete und eine Durchführungsverordnung erlassen hat. Wer handelt jetzt in Österreich?«

R. Z.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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