„Hier wird sich normal lustig gemacht“. Durfte sich die SZ bei Igor Levit entschuldigen?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 220

Armin Thurnher
am 22.10.2020

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Ulf Poschardt, der Chefredakteur der deutschen Zeitung Die Welt, besser bekannt als welt.de, weltberühmt durch ihren Wahlspruch „Online First“, hat in der Causa Süddeutsche Zeitung vs. Igor Levit einen Artikel geschrieben, den einer seiner Follower auf Twitter als „grandios“ bejubelt. „Wer Journalismus betreibt, sollte nicht beim ersten Shitstorm einknicken“ lautet der Titel dieser Grandiosität.

Gewiss. Einknicken ist kein empfehlenswertes Verhalten; man schreibt es eher stehenden Gegenständen zu, etwa Masten, Pfosten oder Bäumen, als Journalisten, die als betreibende Wesen ja beweglich sind, von Gegenstand zu Gegenstand treibend, von klassischer Musik zu Social Media zu Moral und zurück.

Ulf Poschardt, Welt-Chefredakteur, Diskursathlet

Einer der eifrigsten Betreiber von Journalismus ist Ulf Poschardt, sozialisiert beim Magazin der Süddeutschen Zeitung, wo er als leitender Redakteur die Lügengeschichten des „Borderline-Journalisten“ Tom Kummer ungeprüft publizierte, was die Süddeutsche Zeitung bewog, den Abgang Poschardts zu betreiben.

Solche alten Geschichten würde ich nicht auftreiben, ginge es nun nicht ausgerechnet um die Süddeutsche Zeitung, deren Chefredaktion der eifrige Poschardt nun „Einknicken“ vorwirft. Die Chefredaktion hatte sich dafür entschuldigt, dass eine Polemik im Feuilleton ihrer Zeitung gegen den Pianisten Igor Levit antisemitische Töne angeschlagen hatte. Sie stellte Levit als im Vergleich zu seinem Kollegen Daniil Trifonov zweitrangigen Interpreten hin, der nur aufgrund seiner Twitter-Aktivitäten, seines forcierten Gutmenschentums und seiner deutschfeindlichen Antifa-Haltung bei der meinungsdiktierenden Mehrheit in der deutschen Gesellschaft reüssiere.

Selbst dem vom Boulevardschmutz getrübten österreichischen Auge fiel auf, dass der von Poschardt nicht genannte Autor des Textes, Helmut Mauró, seine Kritik an der Twitterperson Levit mit der Kritik des Künstlers Levit und – unterschwellig, aber deutlich genug, die Rede war von „Opferanspruchsideologie“ – mit Kritik am in Deutschland Gastrecht genießenden Juden Levit so gründlich miteinander vermischte, bis man das eine nicht mehr vom anderen unterscheiden konnte.

Bei Poschardt liest sich das so: „In einem für das Feuilleton vollkommen normal kritischen Text über Leben und Werk des Pianisten und Moral-Darstellers Levit wurde sich auch ein wenig über dessen oft genug regressives Twitterverhalten lustig gemacht. Wer Levits Œuvre kennt: Das war im Zweifel eher milde.“

Gern würde man wissen, was „normal kritisch“ bedeutet. Gibt es ein über-, unter-, abnormal kritisch? Und was wäre „vollkommen normal“? Meint Poschardt es ernst, oder hindert ihn seine ärmelsprengende moralische Prahlkraft nur daran, sich auszudrücken und parodiert er, während die Eiswürfel leise klirren, unfreiwillig den Tonfall eines Happy-Hour-Bargesprächs unter Springer-Angestellten, wenn er behauptet, dieser „vollkommen normal kritische Text“ habe sich mit „Leben und Werk des Pianisten und Moral-Darstellers Levit“ befasst?

Dessen Werk wurde bei Mauró nicht einmal gestreift, und wenn mit „Leben“ oder gar „Œuvre“ Levits Wirken auf Twitter gemeint sein soll, wäre das dürftig genug.

Aber darum geht es nicht. Es geht um den „Moral-Darsteller Levit.“ Über „dessen oft genug regressives Twitterverhalten“ „wurde sich auch ein wenig lustig gemacht.“

Erwähnt wird das Objekt, nicht der Urheber des Spaßes. Levits Name wird oft genug genannt, den seines lustigen Kritikers Mauró enthält uns Poschardt vor. Mauró ist es auch nicht, der sich hier lustig macht, vielmehr wird sich von anderer Seite ein wenig lustig gemacht, seitlich lustig gewissermaßen, und schon erkennen wir es, es ist ein anderer, wir können es nicht mehr zurückhalten, wir müssen ihn nennen, ihn, den unfreiwillig komischen Hauptdarsteller: Ulf Poschardt macht sich hier grandios lächerlich.

Er, der Levit als Moraldarsteller bezeichnet, fordert von der Chefredaktion der Süddeutschen moralische Festigkeit ein. Knickt nicht ein! Stellt Moral dar! Lasst euch von den Onlinern nicht ausbluffen!, ruft Ulf „Online First“ ihr zu. Beim Abwägen von moralisch richtigem Verhalten scheint Poschardt das stramme Haltungannehmen allemal der höhere Wert, als sich für einen begangenen Fehler, eine zugefügte Kränkung, eine verübte Beleidungung zu entschuldigen.

Sagst du Ja, bleibst du da, sagst du nein, gehst du heim, lautet der Merksatz für Verhöre bei der österreichischen Polizei. Bleibst du stehn, bist du schön, ruft Hypermoralist Poschardt den Einknickern von der Süddeutschen zu. Ein Modellathlet der Schuldumkehr. Ihr habt nichts getan, bis ihr euch dafür entschuldigt habt!

Es gibt bald keine liberale Öffentlichkeit mehr, klagen Poschardt und Genossen. Es gibt nur die Meinungsmeute des Juste Milieu und die gehetzten Meinungsfüchse und –hasen einer sich immer mehr in Paranoia verheddernden Springerpresse, dieser verfolgenden Unschuld, deren intellektuelle Galionsfigur Norbert Bolz kürzlich twitterte: „Worüber ich in letzter Zeit immer häufiger nachdenke: dass viele Juden es bis zum letzten Augenblick nicht glauben konnten, welches Ausmaß der Wahnsinn annehmen würde.“ Wahrscheinlich wird sich auch hier opferanspruchsideologisch lustig gemacht.

Die algorithmisch befeuerte Schwarmmeute existiert. Sie wirkt und wird mächtiger, keine Frage. Ihre akklamative Selbstberauschung, ihren kritikunfähigen digitalen Manichäismus kritisiere ich seit Jahr und Tag mit Gusto. Aber wenn Poschardt sich als diskursmoralischer Mister Universum gebärdet, ohne den Kontrast zur läppischen reflexjournalistischen Klappfigur zu bemerken, die er abgibt, und wenn er zudem andere noch vor dem Einknicken warnt, dann reichts.

In ihrer Entschuldigung erkenne man die Süddeutsche „als stolzes, liberales Blatt nicht wieder“, schreibt Poschardt, nicht ohne eine Reihe ihrer leitenden Herren im Plural zu beschwören. Der Vorname der Riehl-Heyses fiel ihm in der Geschwindigkeit nicht ein (es wäre Herbert, für die nächste Aufzählung).

Im Zweifel stets eher milde gestimmt, kann ich die Poschardts beruhigen. Gerade in ihrer maßvollen Entschuldigung erkennt man die Süddeutsche wieder, nicht in jenem ressentimentgetränkten Pamphlet, das die Poschardts in ihrem brutalistischen Kauderwelsch als „vollkommen normal kritischen Text“ bezeichnen.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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