Die ganz gewöhnliche Bösartigkeit des Rezensenten. Noch etwas zu Igor Levit.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 218

Armin Thurnher
am 20.10.2020

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Armin Wolf und Natascha Strobl interessieren sich neuerdings für klassisches Klavierspiel. Nein, natürlich nicht. Sie interessieren sich für Igor Levit. Ginge es um Pianistisches, würde ich die Expertise des Wiener Gesundheitsstadtrats Hacker vorziehen, denn der hat Klavier studiert und mit der Konzertreifeprüfung abgeschlossen. Das ist keine Garantie dafür, dass er als Kritiker gute Figur machen würde.

Wolf und Strobl, diese beiden, begeben sich nicht auf das Feld der Musikkritik. Sie verteidigen nur Igor Levit, mit dem sie vielleicht auf Twitter netten Kontakt hatten. Anders als ich, mich nahm er nicht einmal wahr, klar, zu wenige Follower, aber sehen Sie selbst: ich bin überhaupt nicht beleidigt.

Levit wurde von Helmut Mauró, einem Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung, in einem schnöselhaften, ressentimenttriefenden und insgesamt völlig unzumutbaren Artikel mit  weitgehend außermusikalischen Argumenten angegriffen. Er stellte Daniil Trifonov als den besseren Pianisten hin und qualifizierte Levit als Medienfigur ab, deren pianistische Fähigkeiten begrenzt seien und jedenfalls hinter ihre schauspielerischen Fähigkeiten zurückträten.

Das ist Unsinn. Beide sind großartige Pianisten, genialisch könnte man sie nennen, und mir, wenn man mich fragen würde, liegen die Repertoireentscheidungen Levits näher als jene Trifonovs. Aber das ist ungerecht und greift zu kurz.

An beiden gäbe es pianistisch dies oder das zu kritisieren, was hier keinen Menschen interessiert, was Fachleute aber bereits getan haben und weiterhin tun werden. Ich habe höchsten Respekt vor beiden, sie so gegeneinander auszuspielen ist eines Kritikers unwürdig.

Mauró hat sich mit seinem Bubenstückchen selbst disqualifiziert. Sein Motiv war klar: er litt darunter, dass Levit sich die Corona-Krise zunutze machte, aus dem klassischen Konzertbetrieb auszubrechen und auf Twitter äußerst erfolgreiche „Hauskonzerte“ zu geben, die musikpädagogisch zwar nicht den Anspruch eines Leonard Bernstein der 1960er Jahre hatten, aber doch ein großes, bisher nicht klassikaffines Publikum erreichten, während sich Trifonov auf den klassischen Konzertbetrieb mit allen seinen Macken beschränkt (manche Starpianisten zicken und sagen gern ab; es gibt aber auch welche, die der Inbegriff der Verlässlichkeit waren; ich würde sie zu den besten aller Zeiten zählen).

Zweite Sünde Levits: Er engagiert sich politisch, gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass. Und er hat sich von Twitter infizieren lassen. All das empfindet Mauró offenbar als Grenzüberschreitungen des klassischen Musiksystems und fühlt sich befugt, auf seine Art zur Ordnung zu rufen, ja Rache zu nehmen und dem Juden Levit „Opferanspruchsideologie“ vorzuwerfen. Das geht natürlich gar nicht.

Die Kritikerin Strobl verblüfft es so, dass sie zu einem langmächtigen Twitter-Thread (56 Tweets, doppelt so lang wie dieser Text!)  ausholt, in dem sie Mauró alle möglichen Diskurssünden an den Kopf wirft, viele davon zu Recht, andere nicht. Was mich verblüfft, ist ihre Verblüffung über die ganz gewöhnliche Bösartigkeit des Rezensenten, die doch zum Festbestand des Feuilletons gehört. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Groß- und Mittelkritikerinnen literarische Verrisse miteinander per Fax verabredeten. Aus meiner Frühzeit als Theaterkritiker kenne ich Ähnliches, in der Musik sind die Kriterien oft genug von persönlichen Ab- und Zuneigungen nicht nur gefärbt sondern geradezu durchfressen, und selbst im politischen Journalismus soll es persönliche Aversionen geben, die alles Sachliche annihilieren. Nicht immer wird es so offensichtlich wie in Maurós Fall, aber das Prinzip Ressentiment überwiegt allzu oft das Prinzip Kritik. Maurós Ressentiment war wegen seiner antisemitischen Töne ungewöhnlich massiv und arm an Qualität, aber insgesamt so ganz ungewöhnlich nicht.

Die Gegenwelt zum klassischen Feuilleton ist die Solidarität aus Clan- oder Gruppengründen in den Social Media, wo es bekanntlich weder Ressentiment noch Missgunst gibt. Niemals wären den Verteidigerinnen Levits irgendwelche altmodischen Feuilletongemeinheiten gegen eine Künstlerin oder einen Künstler aufgefallen, hätte es sich nicht um einen Twitterstar gehandelt. Die Süddeutsche reagierte darauf denn auch (eher mau) auf Twitter.

Herr Mauró wollte sich offenbar gegen den Eintritt der Social Media in sein Milieu zur Wehr setzen. Er wollte vermutlich die musikalischen Maßstäbe seines Metiers gegen die gefühlige Übermacht der Twitter-Blase verteidigen (die Levit nicht für die Beurteilung seiner Musik beanspruchte, das hätte er nicht nötig). Natascha Strobls Analyse sieht das nicht, und in manchem schießt sie weit übers Ziel.

Zum Beispiel wirft Mauró Levit vor, er posiere. Strobl behauptet, der Vorwurf der Pose, des Unechten sei ein Topos des Antisemitismus. Der Antisemitismus mag ihn benützt haben, aber ich denke, der Vorwurf der Unechtheit ist so alt wie die Kunst.

Eine weitere dieser überschießenden Strobl-Formulierungen hat mir dann gereicht. „Neologismen“, schreibt sie, „sind nicht ohne Grund eine sehr beliebte Strategie extrem rechter Sprache, umso derber, umso ausschweifender. Zum Beispiel der ,Schuldkult‘ oder die ,Teddybärenwerfer‘. Mit solchen Neologismen wird Sprache zur Waffe und es geht nicht mehr um die Diskussion.“ Als Schöpfer des einen oder anderen Neologismus beharre ich darauf, mit „Feschismus“ oder „Karottenballett“ nicht zur Beendigung, sondern zur Anregung der Debatte beigetragen zu haben.

Dann gab ich es auf und schrieb ein paar Verslein, die mir, Gott weiß es, auch nicht helfen werden. Aber dazu sind Gedichte ja nicht da.

Der jüngste Skandal

           oder

Misseton im Feuilleton

Ich sag mal so:

der Herr Mauró

macht niemand froh.

Als Antisemit

gegen Igor Levit

zieht der Schnösel mit

die feine Ess-Zett,

welche, würdig und nett,

auch abkriegt ihr Fett.

Geschmäcklerisch-doof

macht Mauró den Hof

seinem Trifonov.

Grob führt drauf Frau Strobl

den Twitter-Hobel.

Fühlt sich saunobel,

zählt alle zu Rechten

die Neologismen flechten –

auch ich bei den Schlechten!

Dann rudert – zum Glück? –

die SZ zurück.

So endet das Stück.

Ja, der Verteidigungs-Rigor

des schutzwürdigen Igor

kennt keine Siegor.

Rechts Ranküne-Gestinke.

Im Reflex quietscht die Linke.

Während ich? Posierend abwinke.

Moral:

Wo Diskurse so entgleisen

schlage dich in Schneisen

und singe mit den Meisen,

zumindest mit den leisen.


Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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