Corona, Cumulus, Q-Anon und das K-Wort. Mein Gespräch mit Dirk Stermann

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 217

Armin Thurnher
am 19.10.2020

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Heute Vormittag Gespräch mit Dirk Stermann. Machen wir einmal im Jahr, immer eine große Freude. Intelligenter Gesprächspartner, kein Pointchen wird vergeudet. Wir besprachen ALLES: Corona, Sobotka, Blümel, die SPÖ, Wien, Trump. Mehr in der morgigen Seuchenkolumne. (Büro Thurnher  gestern auf Twitter)

Man fährt wieder Auto. Als hätte es Dirk gespürt, eröffnet er das Gespräch mit der Bemerkung, er fühle sich in vollen öffentlichen Verkehrsmitteln nicht wohl. Virologisch seien diese unbedenklich, den bekannten Clustern nach, erwidere ich, obwohl mir gleich einfällt, dass mein Virologe ständig schreibt, über die Cluster sei viel zu wenig bekannt.

Ich habe ein neues gebrauchtes Auto, bin sehr zufrieden. Es hat einen kleinen Bildschirm, der mir beim Rückwärtsfahren das Umdrehen erspart, indem er das Geschehen zeigt, dazu hysterisches Abstandsgepiepe auf allen Seiten, unterstützt durch Farbmarkierungen, die ich mit freiem Auge als falsch einstufe. Im Rückspiegel taucht ein oranger Punkt auf, wenn sich ein anderes Auto im toten Winkel befindet. Kurz: die wollen meinen Hals immobilisieren. Wechsle ich die Spur, werde ich gewarnt. Dutzend kleine Kameras sind montiert, ich bin ein fahrendes Spionagegerät, will nicht wissen, was wann daraus wohin gesendet wird.

Aber! Die Fahrt nach Perchtoldsdorf ist schön und wird durch ein blaues Fenster im grauen Wolkenhimmel aufgehellt, das freundlich auf kommendes Wetter weist. Wenig Verkehr. Bei der Rückfahrt – im Radio eine mir etwas derb erscheinende Version der Jupiter-Symphonie mit dem Philharmonia Orchestra unter Paavo Järvi – dann Constable-Wolken, eine Schicht geballten Cumulus-Weißgraus unterm Blau, darunter geballtes Grün von Busch und Baum, Herbstgrün mit farbigen Einsprengseln, Barockkirchen, Weingärten, Wiesensäume, eine Spielkartenlandschaft. Allein die Fahrt wäre es wert gewesen. Nur dass ich sie nie unternommen hätte, an meinen Schreibtisch gebannt durch Virus und Kolumne.

Dirks Haar ist übrigens einer Cumulus-Wolke verwandt, so wollig-wolkig-lockig weißgrau. Ich bin froh, dass er seinen Bart gestutzt hat, sodass der nicht auch noch cumulusartig sich ballt, sonst würde ich nur in sein Gesicht starren und könnte nicht mit ihm um Pointen ringen. In Wahrheit ringen wir gar nicht. Vielleicht ringt er, denn er ist ein Talkmaster, ein wahrer Meister der Gesprächsführung, aber man merkt es nicht, alles geht von leichter Hand, und so lasse ich mich gern führen, es ist ja kein Ochsen-Führen wie bei jenen Moderatoren, die einen am liebsten mit den Worten begrüßen würden: Grüß Gott, Herr Thurnher, unsere Zeit ist leider am Ende.

Ich weiß, dass meine Zeit abgelaufen ist, aber Dirk versteht es, ein Gespräch zu führen, wie man einen Tanzpartner führt, womit ich nicht auf Homoerotisches anspielen, sondern lediglich das Tänzerische unserer Dialoge hervorheben will.

Da wir beide Literaten sind, fällt es uns leicht, den anderen nicht daran zu hindern, verbal ein wenig zu pirouettieren. Dirk, ganz im Bann von Donald Trump, malt aufs Üppigste die Q-Anon Phantasien der Weltverschwörer aus, die da meinen, Hillary Clinton und andere Demokraten hielten Kinder im Keller von Pizzerias gefangen, um sich von ihrem Blut und ihren Organen zu mästen, um sich ewiges Leben zu verschaffen. Die solches glauben sind die Leute, die Trump wählen.

Auf Dirks Frage, ob ich befürchte, dass ein Bürgerkrieg in den USA ausbräche, falls Trump die Wahl verlöre, sage ich nein, das befürchte ich nicht. Einerseits sei es zwar katastrophal, sagte ich, dass das Faustrecht in einer zerfallenden Öffentlichkeit sich mehr und mehr Geltung verschaffe. Andererseits würden Big Business und die Industrie es nicht dulden, dass der Welthegemon USA durch eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung unter Sektierern geschwächt würde. Sage ich so.

Vorher

Nachher

@Foto: Alex Felten

Wir sind beide keine Corona-Leugner, betreten das Lokal pflichtgemäß mit Masken, sehen die Gäste hübsch distanziert an ihre Tischen sitzen, ohne Masken, nehmen selbst unsere Masken ab und setzen uns in gebührender Entfernung. Danach, gebeten für ein Foto zu posieren, stellen wir uns nebeneinander, erst als uns der Fotograf bittet, etwas auseinanderzutreten, merken wir, was wir getan haben.

Sonst haken wir Sobotka, Blümel und die SPÖ ab. Ich kann meine Theorie des Karottenballetts zu Gehör bringen, vor allem meinen Anspruch öffentlich dokumentieren, dieses Wort erfunden zu haben. In den 1980er Jahren, als Kunstvolk und arbeitende Bevölkerung noch nebeneinander im weitläufigen Lokal Koranda, heute Plachutta/Wollzeile saßen und tranken (Walter Pichler kommandierte die Kunst im Fond, neben der Eingangstüre hockten Jandl und Mayröcker wortkarg nebeneinander), kamen um Mitternacht die Mistkübler in Montur, tanzten an die Bar und tranken ein Seiderl. Dort fiel mir das Wort ein, und ich schrieb es in einem Bericht: „Karottenballett“.

Sie gehen in Wien symbolstark und effizient durch die Stadt, die Mistkübler, hinter jeder Demo, Parade oder sonstigen Verschmutzung als ein reinigendes Gewitter, oder vielmehr als ein integrierter Teil davon. Michael Häupl nannte sie seine Prätorianergarde, das durfte man aber nicht schreiben. Der heutige Bürgermeister benützt das K-Wort ganz selbstverständlich.

Jedoch, sagte ich, solange die Opposition das Karottenballett nicht versteht, kann sie faseln, sie wolle Wien sonstwohin bringen, am Ende wird sie selbst vom Ballett entsorgt. So sprachen wir und hätten noch lange fortgesprochen, hätte Dirk nicht wie zufällig auf die Uhr geblickt, und siehe, die Zeit war am Ende, wir begaben uns auf die verkehrsarmen Straßen, ich hörte im Autoradio die Jupitersymphonie, und Constable’s Clouds standen über Niederösterreich und mir am Himmel.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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