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Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 215

Armin Thurnher
am 17.10.2020

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Heute Nacht erwachte ich kurz, weil mich das Geräusch des neu startenden Computers weckte. Das kommt vor. Vielleicht versuchte mich jemand zu hacken, oder – wahrscheinlicher ­– der Strom fiel kurz aus. Ich lebe im Waldviertel, das strom- und datenmäßig zur Dritten Welt gehört, mitten in der Ersten. Über die Digitalisierungsversprechen türkiser Ministerinnen lacht hier sogar die St.-Basti-Singgruppe der jungen Volkspartei.

Jedenfalls sind die Folgen meines Computer-Absturzes katastrophal. Das betagte Word-Programm, das ich benutze (ich kann ohne Word nicht schreiben, die Füllfeder, die ich derzeit nur zur Korrektur verwende, ist zu langsam) macht dann folgendes: Es öffnet etwa hundert Fenster aller Dokumente, die ich in den vergangenen Tagen offen hatte. Ein Festival der antiken Computergrafik, wobei sich Rähmchen diagonal nett an Rähmchen schmiegt, bis der Bildschirm voll ist, dann setzt sich das von oben links fort. Ich kann es nur durch einen harten Neustart stoppen, was zur Folge hat, dass sich das Schauspiel wiederholt.

Die freundlichen Leute von der Falter- IT, in solchen Fällen im Büro hilfreich zur Stelle, sind weit. Warum kein Neustart? Weil dann die Lästigen von Twitter und Google komplizierte Anmeldungsrituale übers Handy verlangen. Überhaupt bin ich Handy-versklavt, ohne Doppelschirmexistenz könnte ich keine Banküberweisung durchführen und keinen einzigen Tweet absetzen.

Ich wäre keine digitale Heulsuse und könnte wieder leben wie ein normaler Mensch, aber wer will das schon?

Ich lasse also, um den Neustart mit zugehöriger Word-Rähmchenfolter zu vermeiden, die Kiste laufen. Heute früh ist die Zeit knapp, die Seuchenkolumne nicht geschrieben, und die Kiste verordnet mir jetzt, da ich Word neu gestartet habe, erst recht eine halbe Stunde Rähmchenfolter. Ich werde zum Buddhisten. Tief atmen. Die beliebte Hammer-Lösung läge nahe, würde aber wenig nützen.

A propos Hammer. Ich suche ein Foto mit Dirk Stermann. Der schrieb einen Roman mit dem Titel Hammer, über den Orientalisten Kammer-Purgstall. Lesen Sie ihn. Morgen durchbreche ich wieder einmal die Selbstisolation, um mich mit Dirk in Perchtoldsdorf öffentlich bei einem Frühstück zu unterhalten. Das hat den Zweck, Menschen zu unterhalten, die Eintritt zahlen, um uns frühstückend zuzuhören.

Das war in den vergangenen Jahren erfolgreich, wenn man den ausverkauften Saal und die gute Laune der Gäste als Maßstab des Erfolgs nimmt. Heuer wichen die Veranstalter deshalb von Baden auf die Burg Perchtoldsdorf aus. Mehr Platz. Dann kam Corona und sie verkaufen weniger Karten.

Stermann und ich bereiten uns nicht vor. Wir verstehen uns gut und reden sonst das ganze Jahr nicht miteinander, also fällt uns in einer Stunde genug ein. Wir kennen uns, ich habe es hier einmal erwähnt, aus dem fußballerischen Quartett glorreichen Angedenkens.

Ich suche ein Bild auf meiner Kiste und finde es natürlich nicht. Wir kamen damals darauf, dass wir an einem ähnlichen Leiden litten: wir sind Fans von hoffnungslosen Vereinen mit glorreicher Vergangenheit. Ich SW Bregenz, er MSV Duisburg.

Ich bin alt genug, um zu wissen was das M bedeutet: Meiderich. Der Meidericher Spielverein trug in seiner besten Zeit quergestreifte Trikots. Phantasievoll wie Sportreporter nun einmal sind, nannten sie die MSV-Kicker „Zebras“. Kurt Jara spielte dort. Der gute Kurtl wurde dieser Tage 70, und ich hatte den Eindruck, außer Stermann, Andreas Weber und mir weiß schon wieder niemand, wer das war.

Kurt Jara war ein Linksaußen jener legendären Mannschaft, die 1978, na Sie wissen schon. Schachner-Krankl-Jara, das war ein scharfer Sturm (Torino-Barcelona-Valencia waren die Vereine; heute sind wir schon mit Augsburg-Hoffenheim-Mainz zufrieden). Wenn ich in Innsbruck war, versäumte ich es nie, den Tivoli zu besuchen, um Jara spielen zu sehen, ehe er nach Deutschland und später nach Spanien ging. Jara war pfeilschnell, technisch glänzend und spielte so brasilianisch wie sein Name klang. Einmal sah ich im Fernsehen eine Szene, wo er die an die Mittellinie aufgerückte Verteidigung mit einem 30-Meter-Pass für sich selbst überhobt, dem Ball nachsprintete und am verblüfften Tormann vorbei, der nicht schnell genug herausgekommen war, einschoss.

1964 wurde der MSV Zweiter in der jungen deutschen Bundesliga. Später stiegen sie ab, jetzt gurken sie in der dritten Liga herum. Berühmtester Spieler des MSV war Helmut Rahn, der Boss, der 1954 die gedopten Deutschen zum Weltmeistertitel schoss. SW Bregenz krebst heute noch eine Klasse tiefer in der sogenannten Vorarlberger Eliteliga herum und schafft es nicht, sich für die Regionalliga zu qualifizieren.

Wenn Stermann und ich, beide keine Kinder überschäumender Freude, richtig melancholisch dreinschauen wollen, reden wir kurz über unsere Fußballclubs. Momentan schaue ich sowieso top-angefressen drein, weil ich die alten Bilder nicht finden kann. Stermann und ich posierten nämlich für die Werbung des fußballerischen Quartetts in den Dressen unserer Vereine.

Stellen sie sich uns einfach vor. Das einzige alte Fußball-Foto, das ich fand, zeigt mich in einem Bericht des Staten Island Advance 1967. Ich zeige es immer wieder gerne her. Morgen reden wir eh nicht über Fußball, sondern über Gott und seine missratenen Kreaturen auf Erden. Es gibt noch Karten.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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