Kanzler Kurz und das Mahnmal Ish-Gul

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 211

Armin Thurnher
am 13.10.2020

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Gern hätte ich heute die Lyrik-Serie fortgesetzt, aber wie das so ist, gibt es immer wieder harte Unterbrechungen. Dabei war die Verleihung des deutschen Buchpreises an Anne Weber für ein zur Gänze in freiem Vers verfasstes Werk, ein Heldinnenepos, ein Exempel für das Argument, das da lautet: die gebundene Rede eröffnet oft größere Freiheiten als die scheinbar frei schweifende.

Ich vertage das, weil sich der Bericht der Untersuchungskommission zu Ischgl formatfüllend ins Bild schiebt. Die Seuchenkolumne kann an diesem Seuchenbericht nicht vorbei, sonst brauchte sie nicht so zu heißen. Es war eine eher formlose „Expertenkommission“ unter dem Vorsitz des ehemaligen Höchstrichters Ronald Rohrer. Dieser erläuterte die Findungen der Kommission gestern in der ZiB 2 bei Armin Wolf.

Die Kommission schrieb Prosa, aber auch Klartext. Die Behörden haben nicht viel richtig gemacht, anders als es ihre Vertreter immer wieder behauptet hatten, nicht zuletzt der unvergessliche Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg, aber auch der Gendarm aus Zams, Landeshauptmann Günther Platter, und auch due Inkarnation der Fehlerlosigkeit, unser aller Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Bereits vor mehr als zehn Tagen hatte die New York Times einen Bericht gebracht, der etwas weniger beachtet wurde als andere Berichte dieser Zeitung über Österreich. Dort wurde Ischgl („pronounce: Ish-gul“) als das geschildert, was eh jeder weiß: als Ort, von dem aus Europa und die Welt mit Corona infiziert wurden.

Nun wissen wir zwar nicht zuletzt von Platter und Donald Trump, dass es sich um ein Chinese Virus handelt. Im Blickpunkt unseres Interesses steht aber der mehr oder weniger verantwortliche Umgang mit ihm.

Der ehemalige Oberstrichter Rohrer genoss seinen TV-Auftritt sichtlich nicht, scheute ihn aber auch nicht. Er kommentierte die Findungen der von ihm geleiteten Kommission trocken, ohne Rachsucht und Schadenfreude. Er gab das Musterbeispiel des österreichischen Beamten: an den Fakten interessiert, nicht an deren Erfüllung mit emotionalem Leben. Die Motivation der handelnden Personen, sagte er Armin Wolf immer wieder, könne er nicht beurteilen. Er beurteile nur, ob ihr Handeln den Gesetzen entsprach und der Lage angemessen war. Beides musste er in großen Teilen mit Nein beantworten.

Auch das Handeln des Kanzlers war nicht sachgemäß. Hier wurde Rohrer gar nicht mehr nach seiner Einschätzung der Motivation des Kanzlers gefragt, man kannte seine Antwort im voraus. Den Sachverhalt selbst hätte man nicht klarer beschreiben können. Hier eines Passage aus der gestrigen ZiB 2:

Kommissionsvorsitzender Ronald Rohrer im Interview bei Armin Wolf in der ZiB 2, 12.10.2020

Armin Wolf: Noch zur Bundesebene. Sie schreiben, das völlige Chaos bei der Abreise aus dem Paznauntal hat der Bundeskanzler durch seine Ankündigung der Quarantäne am Freitagnachmittag ausgelöst, obwohl der Bundeskanzler dafür gar nicht zuständig war und diese Abreise auch nicht genügend vorbereitet war – was wäre denn die richtige Vorgangsweise gewesen?

Ronald Rohrer: Also sinnvoll wäre es gewesen, nach dem Epidemiegesetz vorzugehen und danach ist ausschließlich für diese Verkehrsbeschränkungen, wie sie dann auch eine Quarantäne darstellen, die zuständige Bezirkshauptmannschaft zuständig. Gegen diese Zuständigkeit wurde zweifelsohne verstoßen, sinnvollerweise wäre zuerst die Kommunikation mit dem Land herzustellen gewesen und dem Land Gelegenheit zu geben, hier eine entsprechende Verordnung zu erlassen und erst danach damit in die Öffentlichkeit zu gehen – das hätte wahrscheinlich diese Panikreaktionen weitestgehend vermieden.

Alle haben Fehler gemacht, Gesundheitsministerium, Kanzler, Landeshauptmann, Landesrat, Bürgermeister. Das wurde nun aufgeklärt und wird auch der politischen Verantwortlichkeit nach aufzuklären sein. Ob es dafür einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss braucht, hängt wahrscheinlich auch von der Reaktion der betroffenen Personen ab: Wenn sie weiterhin schweigen wie Kurz oder alles beschönigen wie Platter, der meint, durch diese Beschönigung der Tourismuswirtschaft etwas Gutes zu tun, als wäre Medien nicht international und würden sein Herumgerede nicht schonungslos glossieren, dann wird dieses Verhalten wohl zu einem Ausschuss führen. (Selbst in der hiesigen Kurz-Adoranten-Presse wird das Versagen des Kanzlers nicht verschwiegen, nur die bei Springer erscheinende Tageszeitung Die Welt, führendes Organ der deutschen Kurz-Anbetung, schafft es, das Wort Kurz in ihrem ausführlichen Bericht zu vermeiden).

Ich möchte aber tun, was Rohrer verschmähte. Ich möchte etwas zur Motivation von Sebastian Kurz sagen. Ich bin kein ehemaliger Höchstrichter und brauche mich nicht zurückzuhalten. Sebastian Kurz ist damals naturgemäß nicht vorgeprescht, ohne die Konsequenzen seines Handelns zu bedenken. Er hatte eine Konsequenz sehr wohl im Kopf: Ich bin der starke Kanzler, ich bin der, welcher über den Ausnahmezustand gebietet, ich exekutiere hier öffentlich Autorität. Ich lasse diese Krise nicht ohne meinen Profilierungsgewinn an mir vorübergehen.

Dass er dabei in Kauf nahm, das Gesetz nicht zu beachten, die behördlichen Wege zu ignorieren und Chaos anzurichten, gehört zu diesem disruptivem Denken. Move fast und break things lautete ein Facebook-Motto, dem Kurz bei seiner Entmächtigung des beamteten, rechtsstaatlichen Regierens zugunsten seines cliquengemanagten politischen Theaters folgt. Europa und wir zahlen den Preis dieser egozentrischen Movement-Show. Ish-gul ist ein Mahnmal am Rand dieses Wegs.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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