Ein Land ohne Poesie ist ein armes Land

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 210

Armin Thurnher
am 12.10.2020

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Lyrik. Es ist schon viel zu lange her, dass ich darüber geschrieben habe. Sechs Monate. Inzwischen habe ich viele Gedichte gemacht, triviale, lächerliche, schöne, missglückte. Erst gestern ließ ich mich dazu hinreißen, eine Elegie in Hexametern zu veröffentlichen, einer Form, der Trauer ebenso angemessen wie dem Epos, dem Lobpreis und dem Triumph.

Ich war als Preisredner sehr beliebt, so beliebt, dass ich mir selber langweilig wurde und begann, Preisreden in Form hexametrischer Oden zu halten. Das ging drei-, viermal gut, dann hörten die Einladungen auf. Kann sein, dass es mit Corona zu tun hat, kann sein, dass die Öffentlichkeit keine Verse hören will. Sicher würde sie nicht an meiner gebundenen Rede genesen. Ebenso sicher ist, dass sie zu wenig Poesie hat. Sie leidet an der Seuche der Ausdrucksarmut.

Man braucht keine Vor- und Nachwahldebatten, um das zu erkennen. Sie sind das sprachlich und gedanklich Ödeste, was unsere an Ödnissen nicht arme Medienlandschaft zu bieten hat. Das ist umso bedauerlicher, als es uns an Dichterinnen und Dichtern überhaupt nicht fehlt. Es fehlt weder an großen, nobelpreiswürden Gestalten wie Friederike Mayröcker noch an einer Breite respektabler jüngerer Dichterinnen und Dichter noch auch an frischer Tradition, von H.C. Artmann bis Ernst Jandl, von Ingeborg Bachmann bis Hermann Schürrer, von Christine Lavant bis Elfriede Gerstl.

Literatur-Nobelpreisträgerin Louise Glück im Weißen Haus bei Barack Obama. Amerikanische Präsidenten (bis auf den jetzigen) pflegen ihre Dichterinnen

Foto: APA/AFP/Saul Loeb

Aber es fehlt an einer Dichtung respektierenden Öffentlichkeit. Wenn die altehrwürdige Poesiesendung „Du holde Kunst“ auf Ö1 demnächst ein Jubiläum  feiert, begeht man das, wie man eine Kuriosität feiert, ein Trachtenmuseum oder eine Sammlung historischer Kutschen. Es fehlt an jener Selbstverständlichkeit, mit der sie in angelsächsischen Ländern Zeitschiften Gedichte präsentieren, mit der sie dort Institutionen pflegen (Poet Laureate), Dichterinnen und Dichtern an Universitäten Lehrstühle einrichten, Dichtkunst an Schulen lehren.

Bei uns wird Poesie als tantenhaft empfunden, als unmännlich vielleicht, der harten politischen und wirtschaftlichen Rationalität unangemessen. Ein Land, das junge Menschen zwingt, sich mit 14 zwischen Kunst und Musikunterricht zu entschieden, kann gut ganz auf Poesie an der Schule verzichten. Im Fernsehen führen uns Sepp Forcher und andere durch die Landschaft, durch Dichters Lande führt uns niemand.

Die resultierende Sprachdumpfheit ist nicht nur, aber auch darauf zurückzuführen. Dass es keine nennenswerte Publikation gibt, geschweige denn eine Lyrik-Stiftung, die für Vermittlung sorgen könnte, versteht sich von selbst. Der Bildungsminister hat Besseres zu tun, als sich um Bildung zu kümmern. Die Schule darf, wie das unsere Wirtschaftsministerin ausdrückte, nicht am Markt vorbeiproduzieren. Also bewegt sich die Politik auf dem Niveau von Marktstandlern. Ich entschuldige mich bei den Marktstandlern.

Wer keine Gedichte liest, ist selber schuld. Wer schreibt und keine Lyrik liest, ist erst recht arm dran. Er wird kaum lernen, zu schreiben. Auch wenn manche Leute nie ein Gedicht verfassen werden, was für die Poesie kein Verlust ist, könnten sie doch für das Schreiben von Prosa unendlich viel von Lyrik lernen: zu komprimieren, den Klang der Wörter zu hören, ihren Rhythmus zu spüren.

Irgendwas in dieser Art twitterte ich vor kurzem, schon entspann sich ein kleiner Scherzdialog auf dem Kurznachrichtendienst, im Zuge dessen mir Kollege Claus Pándi von der Krone, of all papers, ein schönes Kompliment machte. Er hatte im Band „Natur“, herausgegeben vom schottischen Dichter John Burnside, eine Übersetzung von mir gefunden.

Ich bin zu faul, nachzusehen, aber ich habe mich, glaube ich, hier schon einmal damit gebrüstet, in diese Anthologie aufgenommen worden zu sein. Neben Kollegen wie Homer, Goethe, Ovid, Hölderlin, Lowell, Tranströmer und mehr als hundert anderen meiner Heroen. Der Herausgeber brachte einen Auszug meiner Übersetzung eines sehr langen Gedichts von Timothy Donnelly. Das ist ein amerikanischer Lyriker, der bewundernswerte Naturgedichte schreibt. Eines von ihnen hatte mich bei der Lektüre so berührt, dass ich mich spontan entschloss, es zu übersetzen.  So etwas tue ich manchmal, zum Vergnügen, als sprachliche Übung, um zu lernen und weil ich selber Gedichte schreibe.

Was mich freute, war Pándis Mitteilung, er lese jeden Morgen und jeden Abend ein Gedicht. Zum Beweis publizierte er gleich zwei. Das kam von unvermuteter Seite, in der eigenen Redaktion habe ich es zum Teil mit lyrikresistenten Gesellinnen und Gesellen zu tun. Aber auch mit wirklichen Dichtern wie Christian Zillner, von dem kaum einer weiß, dass er die österreichische Geschichte als Versepos „Spiegelfeld“ in acht Bänden vorgelegt hat.

Man nimmt an äußeren Anlässen, was man kriegen kann, und da diese Woche nach dem Welttag des Hundes der Welttag der Lyrik gefeiert wird (am 14.10.), habe ich vor, dieser Tage noch ein bisschen mehr zu Lyrik sagen. Heute folgt zum Abschluss nur ein kleines Gedicht, das letzte Woche zu mir kam und beides verbindet, Lyrik und Hund.

Beim Tierfriseur

Kurz blick ich

auf in den Spiegel.

Ich seh meine Augen,

Dackelfurchen über

hellblauen Maskenfurchen.

Schwarzes Barbiertuch

voll mit weißem Gewöll.

mehr Federn als Flocken,

wie vom Falken gewürgt,

nutzlos, Kissen zu füllen.

Brüsk bürstet Violetta,

die flotte Friseurin,

mein Schurgewöll fort,

dem Besen zum Raub.

Traurig wackel ich weg.

 

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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