Elegie auf Lida Winiewicz

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 209

Armin Thurnher
am 11.10.2020

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Ich bitte alle um Vergebung, die von mir heute Wichtiges zur Wienwahl erwarten. Im Falter und um den Falter herum ist alles gesagt. Sie werden sich selbst eine Meinung bilden oder schon gebildet haben, wie ich. Stattdessen folgt ein elegischer Nachruf auf und eine Abbitte an eine vergangene Woche gestorbene Autorin. In einer Art von Hexametern. Das Kursive sind eine Art wörtliche Zitate aus ihren Memoiren „Achterbahn“.

Lida Winiewicz © Braumüller Verlag

Schuld. So heißt ein Projekt von mir, das mehrere Bände

füllt, und dicke. Untaten, nicht Getanes enthaltend.

Ein Kapitel, für das ich mich schäme, schreibe ich heute.

Lida Winiewicz starb im Alter von zweiundneunzig.

Wienerin war sie, Schriftstellerin, Autorin von Stücken,

Drehbüchern, Büchern. Vor allem meisterte sie den lakonischen

Witz. In ihren Memoiren erzählt sie, sie habe

„Frau mit Stock“ als Kolumne verschiedenen Tageszeitungen

angeboten. Gnädigerweise verschwieg sie, dass auch

mir sie sie anbot. Dann bemerkt sie: Unverlangte

Manuskripte nicht abzudrucken, ist euer gutes Recht.

Nicht einmal „Danke, Nein!“ zu mailen, auch. Fragt sich nur,

ob ein gutes. Nicht erwähnt sie, dass auch ich mich

ihr gegenüber des gleichen Vergehens schuldig machte.


Dank für die Diskretion. Warum aber tat ich’s? Weil ich mich

unsicher fühlte, wie ich’s der Redaktion schmackhaft machen

sollte, die a) sehr viel jünger war als Frau Winiewicz und auch viel

jünger als ich. Wir hatten zu viele Kolumnen, und ständig

schmetterte ich Ideen zu neuen Kolumnen ab. Und

b) weil ich Angst hatte, ihr eine Abfuhr zu schicken. Was sollte ich

sagen? Kolumnen nicht gut genug (sie waren gut, aber

so gut nicht…)? Sie sind zu alt? So blieb ich schockstarr, a

moral failure, verschwieg die Sache der Redaktion und

schrieb ihr nie einen Brief. Dass tief ich’s bedaure, nützt ihr jetzt

gar nichts. Trotzdem oder deswegen bin ich ihr etwas schuldig.

Wer mit alten Leuten zu tun hat, weiß, dass sie nach und

nach verstummen. Ich hätt ihnen gern eine Stimme geliehen,

schrieb Sie mir. Ich versagte als Stimmenverleiher. Leider.


Lida Winiewicz, ich hatte von Ihnen ein falsches Bild. Zu

viel haben Sie für das Fernsehen gemacht, weil sie als Autorin

leben mussten. Elternschule, Scheiderbauer und

Marischka. Nicht mein Milieu, dachte ich, aber ihres war’s auch nicht.

Bin keine Feministin, schrieb sie. Und korrigierte sich:

Falsch! Ich bin Feministin, aber de facto. Weder

programmatisch noch militant. Seit meinem sechzehnten

Lebensjahr erhalt ich mich selbst. All das und viel mehr steht in

„Achterbahn“, ihren sardonischen Memoiren, Untertitel, „Vom

Schreiben leben“. So knapp und trocken der Witz eines Mädchens,

jüdisch versippt, das, beide Eltern in Auschwitz verloren, in

Händen ein Formular für „Wiedergutmachung“, sagt: ein

Wort von kindlicher Naivität. Und: Ich zerriss das

Formular. Und hatte das Thema meines Fernseh-

spiels gefunden. Der Regisseur sprach zu ihr, sie war erst am

Anfang: „Schade, dass Sie nur einen Einakter schrieben. Wer

weiß, wann Ihnen so was Gutes wieder einfällt!“


Mehr, ja viel mehr fiel ihr ein. Sie schrieb die Memoiren Ernst Waldbrunns, des

Komikers, einst unterhaltend Hans Frank, den Nazi-Schlächter von

Polen, sich selber dafür verachtend, fürs Leben gestraft mit

Selbsthass. Waldbrunn gab nicht Lida Kredit als Autorin,

tat, als hätte er’s selbst geschrieben. Sie aber seufzte nur

trocken: Ach, Ernstl! Hier ist, was man Wiener Witz nennen kann, in

vielen lustigen Anekdoten, ohne die Spur von

Selbstmitleid. Sei’s der Steuerberater, der nackt vor ihr sich

auszog, sein Honorar zu kassieren; Winiewicz sagte bloß,

passen Sie auf, sich nicht zu verkühlen, und floh; oder auch die

Story vom kriegsversehrten Theaterdirektor, von dem einer

bissig meinte, einarmig passe schlecht für seinen

Job, wie wolle als solcher er applaudieren? – Zu spät, das

alles, für mich. Umso schwerer die Schuld, da Alfred Brendel

suchte, uns miteinander bekannt zu machen. Diskreter als

ich nennt sie seinen Namen nicht – er ist nur der lebens-

lange Freund, dem Lachen die Lieblingsbeschäftigung ist. Von

musikalischen Freuden nennt sie bloß Michael Gielen. Sie

selber studierte Gesang. Während des Krieges blieb durch ein

Schockerlebnis die Stimme im Hals ihr stecken und wurde nicht

mehr repariert. Die Hoffnung, zu singen, erfüllte sich nicht. – Zu

spät seh auch ich nun – andere sahen es früher – wir hätten uns

gut verstanden. Versäumtes bringt’s nicht zurück, so zieh ich zum

Abschied den Hut vor der großen Kollegin, die nie eine wurde.


Sie aber können es besser machen als ich; lesen Sie ihre

Bücher, den Jugendbericht und ihr Buch übers Schreiben.

Hier habt ihr eine, von der könnt ihr lächelnd was lernen. Was Besseres

wüsste von keiner Literatur ich zu sagen. Adieu, Frau

Lida, zu spät, aber nun nicht mehr unbekannterweise.


Ö1 sendet heute, Sonntag, 11.10 um 14:05 Menschenbilder in memoriam Lida Winiewicz

Das zitierte Buch Achterbahn, die Kindheitserinnerungen Der verlorene Ton und viele andere sind hier erhältlich.


Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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