Elegie auf Lida Winiewicz
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 209
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Ich bitte alle um Vergebung, die von mir heute Wichtiges zur Wienwahl erwarten. Im Falter und um den Falter herum ist alles gesagt. Sie werden sich selbst eine Meinung bilden oder schon gebildet haben, wie ich. Stattdessen folgt ein elegischer Nachruf auf und eine Abbitte an eine vergangene Woche gestorbene Autorin. In einer Art von Hexametern. Das Kursive sind eine Art wörtliche Zitate aus ihren Memoiren „Achterbahn“.
Lida Winiewicz © Braumüller Verlag
Schuld. So heißt ein Projekt von mir, das mehrere Bände
füllt, und dicke. Untaten, nicht Getanes enthaltend.
Ein Kapitel, für das ich mich schäme, schreibe ich heute.
Lida Winiewicz starb im Alter von zweiundneunzig.
Wienerin war sie, Schriftstellerin, Autorin von Stücken,
Drehbüchern, Büchern. Vor allem meisterte sie den lakonischen
Witz. In ihren Memoiren erzählt sie, sie habe
„Frau mit Stock“ als Kolumne verschiedenen Tageszeitungen
angeboten. Gnädigerweise verschwieg sie, dass auch
mir sie sie anbot. Dann bemerkt sie: Unverlangte
Manuskripte nicht abzudrucken, ist euer gutes Recht.
Nicht einmal „Danke, Nein!“ zu mailen, auch. Fragt sich nur,
ob ein gutes. Nicht erwähnt sie, dass auch ich mich
ihr gegenüber des gleichen Vergehens schuldig machte.
Dank für die Diskretion. Warum aber tat ich’s? Weil ich mich
unsicher fühlte, wie ich’s der Redaktion schmackhaft machen
sollte, die a) sehr viel jünger war als Frau Winiewicz und auch viel
jünger als ich. Wir hatten zu viele Kolumnen, und ständig
schmetterte ich Ideen zu neuen Kolumnen ab. Und
b) weil ich Angst hatte, ihr eine Abfuhr zu schicken. Was sollte ich
sagen? Kolumnen nicht gut genug (sie waren gut, aber
so gut nicht…)? Sie sind zu alt? So blieb ich schockstarr, a
moral failure, verschwieg die Sache der Redaktion und
schrieb ihr nie einen Brief. Dass tief ich’s bedaure, nützt ihr jetzt
gar nichts. Trotzdem oder deswegen bin ich ihr etwas schuldig.
Wer mit alten Leuten zu tun hat, weiß, dass sie nach und
nach verstummen. Ich hätt ihnen gern eine Stimme geliehen,
schrieb Sie mir. Ich versagte als Stimmenverleiher. Leider.
Lida Winiewicz, ich hatte von Ihnen ein falsches Bild. Zu
viel haben Sie für das Fernsehen gemacht, weil sie als Autorin
leben mussten. Elternschule, Scheiderbauer und
Marischka. Nicht mein Milieu, dachte ich, aber ihres war’s auch nicht.
Bin keine Feministin, schrieb sie. Und korrigierte sich:
Falsch! Ich bin Feministin, aber de facto. Weder
programmatisch noch militant. Seit meinem sechzehnten
Lebensjahr erhalt ich mich selbst. All das und viel mehr steht in
„Achterbahn“, ihren sardonischen Memoiren, Untertitel, „Vom
Schreiben leben“. So knapp und trocken der Witz eines Mädchens,
jüdisch versippt, das, beide Eltern in Auschwitz verloren, in
Händen ein Formular für „Wiedergutmachung“, sagt: ein
Wort von kindlicher Naivität. Und: Ich zerriss das
Formular. Und hatte das Thema meines Fernseh-
spiels gefunden. Der Regisseur sprach zu ihr, sie war erst am
Anfang: „Schade, dass Sie nur einen Einakter schrieben. Wer
weiß, wann Ihnen so was Gutes wieder einfällt!“
Mehr, ja viel mehr fiel ihr ein. Sie schrieb die Memoiren Ernst Waldbrunns, des
Komikers, einst unterhaltend Hans Frank, den Nazi-Schlächter von
Polen, sich selber dafür verachtend, fürs Leben gestraft mit
Selbsthass. Waldbrunn gab nicht Lida Kredit als Autorin,
tat, als hätte er’s selbst geschrieben. Sie aber seufzte nur
trocken: Ach, Ernstl! Hier ist, was man Wiener Witz nennen kann, in
vielen lustigen Anekdoten, ohne die Spur von
Selbstmitleid. Sei’s der Steuerberater, der nackt vor ihr sich
auszog, sein Honorar zu kassieren; Winiewicz sagte bloß,
passen Sie auf, sich nicht zu verkühlen, und floh; oder auch die
Story vom kriegsversehrten Theaterdirektor, von dem einer
bissig meinte, einarmig passe schlecht für seinen
Job, wie wolle als solcher er applaudieren? – Zu spät, das
alles, für mich. Umso schwerer die Schuld, da Alfred Brendel
suchte, uns miteinander bekannt zu machen. Diskreter als
ich nennt sie seinen Namen nicht – er ist nur der lebens-
lange Freund, dem Lachen die Lieblingsbeschäftigung ist. Von
musikalischen Freuden nennt sie bloß Michael Gielen. Sie
selber studierte Gesang. Während des Krieges blieb durch ein
Schockerlebnis die Stimme im Hals ihr stecken und wurde nicht
mehr repariert. Die Hoffnung, zu singen, erfüllte sich nicht. – Zu
spät seh auch ich nun – andere sahen es früher – wir hätten uns
gut verstanden. Versäumtes bringt’s nicht zurück, so zieh ich zum
Abschied den Hut vor der großen Kollegin, die nie eine wurde.
Sie aber können es besser machen als ich; lesen Sie ihre
Bücher, den Jugendbericht und ihr Buch übers Schreiben.
Hier habt ihr eine, von der könnt ihr lächelnd was lernen. Was Besseres
wüsste von keiner Literatur ich zu sagen. Adieu, Frau
Lida, zu spät, aber nun nicht mehr unbekannterweise.
Ö1 sendet heute, Sonntag, 11.10 um 14:05 Menschenbilder in memoriam Lida Winiewicz
Das zitierte Buch Achterbahn, die Kindheitserinnerungen Der verlorene Ton und viele andere sind hier erhältlich.
Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher